Z Sex Forsch 2019; 32(01): 56
DOI: 10.1055/a-0839-7422
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Sexuelle Bildung in der Schule. Themenorientierte Einführung und Methoden

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Publication Date:
20 March 2019 (online)

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„Dieses Buch richtet sich an Lehrkräfte von Grund- und Sekundarschulen für die Arbeit in den Jahrgangsstufen 4 bis 10“ (S. 21). Es ist verfasst von zwei Sexualpädagog*innen, die sowohl in der praktischen Arbeit mit verschiedenen Zielgruppen, v. a. aber – als Mitglieder des renommierten Instituts für Sexualpädagogik Dortmund (ISP) – in der sexualpädagogischen Fort- und Weiterbildung über umfangreiche Erfahrungen verfügen. Das Buch ist folglich aus einer sozialpädagogischen Perspektive geschrieben und es verfolgt ein doppeltes Ziel: einerseits Schulpädagog*innen verschiedenster Fächer zu sexualpädagogischen Aktivitäten anzuregen, andererseits auf die kooperativen Möglichkeiten mit außerschulischen Anbietern sexualpädagogischer Projekte hinzuweisen.

Nach einer Einleitung zu grundsätzlichen strukturellen und methodisch-didaktischen Fragen werden in zehn Kapiteln sexualpädagogische Themen erörtert; der theorie- und empiriebasierten Darstellung der pädagogischen Relevanz des Themas schließt sich jeweils die differenzierte Darstellung einiger methodischer Zugänge an. Die Themen sind: Über Sexualität sprechen – Körper- und Sexualaufklärung – Fruchtbarkeit: Verhütung, Schwangerschaft, Schwangerschaftsabbruch, Elternschaft – Sexuell übertragbare Infektionen – Körper und Sinnlichkeit – Sexuelle Identitäten – Liebe, Freundschaft, Partnerschaft – Sexuelle Vielfalt – Sexualität und Medien – Sexuelle Gewalt.

Hervorhebenswert ist z. B. die ganzheitliche Sicht auf Familienplanung, in der die Behandlung von Fragen zu Fruchtbarkeit, Kinderwunsch und Elternschaft gleichwertig neben die traditionellen Aufklärungsziele der Verhütung ungewollter Schwangerschaften gestellt wird. Auch der Abschnitt zu Körper und Sinnlichkeit geht mit dem Aufgreifen von Aspekten wie Erfahrung mit Körperkontakt (etwa im Sportunterricht), Grenzen, Regeln, körperbezogene Nähe und Distanz, Wahrnehmung und Bewertung des eigenen Körpers weit über die traditionelle Thematisierung pubertärer Veränderungen hinaus. Im Abschnitt zu sexueller Vielfalt wird außer Erörterungen zu LSBTIQ* der thematische Bogen hin zum inter- bzw. transkulturellen Lernen gespannt, ausgehend von der Erkenntnis, dass geschlechts- und sexualitätsbezogene Normen in besonderer Weise kulturelle Differenzen prägen. Das Kapitel zu Medien und Medienkompetenzvermittlung widmet sich neben der Pornografienutzung auch den Themen Sexting und Cybermobbing. Hier gelingt weitgehend eine Balance zwischen Risiko- und Präventionsdiskurs einerseits und Ressourcendiskurs andererseits. Gefordert wird z. B. (unter Bezug auf die Medienwissenschaftlerin Nicola Döring): „Einvernehmliches Sexting als normalen Bestandteil des Erwachsenwerdens an(zu)-erkennen“ und „Das eigentliche Problem in den Fokus (zu) stellen: Das Herumzeigen und Weiterleiten privater Fotos ohne Einverständnis“ (S. 163). Angesichts des medialen technology gap zwischen den Generationen (der Tatsache, dass Heranwachsende heutzutage i. d. R. über eine ausgeprägtere Erfahrung mit internetbasierten Medien verfügen als Erwachsene) sind die ausgewählten Methoden in diesem Abschnitt in besonderer Weise partizipativ bzw. explorativ. In gewisser Weise zum Medienkapitel gehörig sind die Hinweise zu Internet-Informations- und Beratungsportalen im Anhang des Buches. Hier wären noch umfangreichere Anregungen zur Nutzung dieser Quellen bei der Vorbereitung und Durchführung sexual- bzw. medienpädagogischer Maßnahmen möglich gewesen.

An einigen Stellen des Buches fallen Erläuterungen bzw. Hinführungen sehr knapp aus. So wird auf S. 47 auf einen Aufklärungsfilm für Mädchen über den Besuch bei der Frauenärztin verwiesen, die Leser*innen müssen sich aber selbst erschließen, dass der Titel der Methode „Gut zu wissen…“ zugleich der im Internet abrufbare Filmtitel ist. Auf S. 154 wird die Methode Genderbread Person beschrieben. Auch hier bedarf es der eigenaktiven Recherche, um der etymologischen Eigentümlichkeit des Wortes auf die Spur zu kommen. Und auf S. 171 verweisen die Autor*innen in der Einführung der Interviewmethode zu Sexting und Pornografie darauf, mit der Frage 9e besonders sensibel umzugehen. Die dann folgenden Fragen sind aber gar nicht nummeriert.

Im Buch wird auf die Brisanz der aktuell sehr kontrovers geführten gesellschafts- und bildungspolitischen Debatten um die sexuelle Bildung in der Schule hingewiesen. In diesem Kontext wäre ein Abschnitt zu Arbeit mit Eltern, ihrer Information zu Projekten sexueller Bildung, der Gestaltung von Elternabenden sinnvoll gewesen. Auch konkretere Verweise auf die Möglichkeiten von Schulpädagog*innen, sich externe Expertise zur Durchführung sexualpädagogischer Aktivitäten in ihre Schulen zu holen, hätten dem Ziel des Buches gedient.

Dem Buch ist zu wünschen, dass es sein Anregungspotenzial in der Zielgruppe der Lehrer*innen entfalten möge, was am besten gelänge, wenn es als Literaturangebot in die sexuelle Bildung in schulpädagogische Aus-, Fort- und Weiterbildungskontexte Eingang finden würde.

Konrad Weller (Merseburg)