Adipositas - Ursachen, Folgeerkrankungen, Therapie 2019; 13(04): 186-187
DOI: 10.1055/a-0959-4119
Editorial

Mikrobiom

Rima Chakaroun
,
Peter Kovacs

Bei multifaktoriellen metabolischen Erkrankungen spielen sowohl Genetik als auch eine Reihe von Umweltfaktoren eine bedeutende Rolle. Dabei steht die Ernährung ganz weit vorn, da sie nicht nur zur überflüssigen Kalorienaufnahme führt, sondern auch unser Darmmikrobiom entscheidend verändern kann. Dessen Zusammensetzung und Funktion kann durch falsche Ernährung gestört werden und diese Störungen (z. B. eine reduzierte Vielfalt an Bakterien) können in verschiedene pathophysiologische Zustände wie z. B. Adipositas, Gewebsinflammation, Insulinresistenz und Typ 2 Diabetes mellitus münden.

Es wurde in zahlreichen Studien belegt, dass sich diese metabolischen Zustände durch einen Mikrobiotatransfer von Individuum zu Individuum übertragen lassen. Ein funktionelles Verständnis der Zusammenhänge zwischen dem Mikrobiom und dessen pathologischen Konsequenzen ist trotz Fortschritte der letzten Jahre immer noch eine große Herausforderung. Studien an experimentellen Modellen lassen einen Mechanismus vermuten, durch welchen die Diät-induzierte Veränderung der Zusammensetzung des Mikrobioms zu pathologischen, metabolischen Zuständen führen kann, die sogenannte „leaky gut“ Hypothese. Nach einer Hochfettdiät assoziieren nämlich diese Veränderungen in Mäusen mit einer intestinalen Entzündung, einer erhöhten Darmpermeabilität und transmukosalen bakteriellen Translokation in das Blut und das mesenterische Fettgewebe. Diese Ereignisse korrelieren stark mit Adipositas, Inflammation des mesenterischen Fettgewebes, metabolischer Dysregulation und Insulinresistenz.

Im Gegensatz zu den Daten aus experimentellen Modellen ist die Kenntnislage beim Menschen viel weniger klar. Aber auch hier mehren sich Studien, die den Zusammenhang zwischen Darmpermeabilität und den Merkmalen des metabolischen Syndroms wie Insulinresistenz, viszerale Adipositas und Diabetes belegen. Auch wurde schon nachgewiesen, dass die bakterielle DNA im viszeralen Fettgewebe mit einer Entzündung des Gewebes einhergeht. Allerdings fehlen immer noch Studien, die die bakterielle Translokation in Zusammenhang mit der Darmpermeabilität, Adipositas und Fettgewebsinflammation belegen.

In diesem Themenheft wird daher nicht nur die „leaky gut“ Hypothese näher ausgeführt, sondern auch die aktuelle Kenntnislage zur bakteriellen Präsenz in verschiedenen metabolisch relevanten Organen (Fettgewebe, Leber, Blut) und der aktuellste Wissensstand zu Assoziationen zwischen Mikrobiom und kardiometabolischen Erkrankungen vorgestellt. Auch die Möglichkeiten und Fortschritte der letzten Jahre in der Entwicklung neuer Techniken und Technologien zur Untersuchung des Darmmikrobioms und der Darmpermeabilität und daraus resultierende mechanistische Überlegungen dazu, wie das Mikrobiom uns beeinflussen und zum Erfolg von therapeutischen Maßnahmen wie bariatrischer Chirurgie oder Stuhltransfers beitragen kann, werden im Detail dargestellt und intensiv diskutiert.

Wie aus den Beiträgen in diesem Heft ersichtlich wird, gibt es trotz eines in den letzten Jahren gewonnenen besseren Verständnisses über die Rolle des Mikrobioms in metabolischen Erkrankungen eine lange Liste an Fragen, die auf die Forschung der nächsten Jahre gerichtet sind. Die Bedeutung weiterer Studien auf diesem Gebiet ist unumstritten, denn ultimativ könnten neue Erkenntnisse zu neuen, spezifischen und effektiveren Präventiv- und Therapieansätzen führen, von denen nicht nur Patienten mit Adipositas profitieren würden.

Rima Chakaroun und Peter Kovacs



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Article published online:
02 December 2019

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