B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2020; 36(01): 12-14
DOI: 10.1055/a-0976-4052
Wissenschaft

Ausdauersport bei systemischem Lupus erythematodes?

Endurance sports in systemic lupus erythematosus?
Andreas Schwarting
1   ACURA Rheumazentrum Rheinland-Pfalz, Bad Kreuznach
2   Schwerpunkt Rheumatologie und klinische Immunologie, Universitätsmedizin Mainz
› Author Affiliations

Im Vergleich zu Rheumapatienten mit gelenkbezogenen entzündlichen oder degenerativen Erkrankungen befällt der „systemische Lupus erythematodes“ (SLE) vornehmlich Frauen im Alter zwischen 15 und 35 Jahren. Der SLE ist eine heterogene Autoimmunerkrankung, die mehrere Organsysteme abhängig von der ethnischen Zugehörigkeit mit einer Prävalenz von 5–68 / 100.000 (europäische Bevölkerung), bzw. 240–500 / 100.000 (Nordamerika) betrifft [1]-[3]. In Deutschland leiden schätzungsweise 31.000 Menschen an SLE (2010) [4]. Trotz der Verbesserung der Gesamtüberlebensraten in der Vergangenheit zeigt eine aktuelle Untersuchung, dass auch in wirtschaftlich hochentwickelten westlichen Staaten das 15-Jahres-Gesamtüberleben bei 82 % stagniert, d. h. dass 18 % der jungen Lupus-Patienten 15 Jahre nicht überleben [5]. Hauptursachen für die erhöhte Mortalität sind neben der Krankheitsaktivität mit Organschäden auch medikamentös-bedingte Komplikationen, kardiovaskuläre Komorbiditäten (Diabetes mellitus, Arterielle Hypertonie etc.) und schwere Infektionen.

Befragt man SLE-Patienten nach ihrer subjektiven Beschwerdelast, so steht an erster Stelle jedoch die „Fatigue“ (Erschöpfungssyndrom), welche oftmals größere Auswirkungen auf die körperliche Lebensqualität haben kann als die Krankheitsaktivität oder der Schadensindex von SLE [6]. Unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit findet sich bei 67–90 % der Patienten eine Fatigue-Symptomatik, die sowohl physische als auch psychische Aspekte des Lebens beeinträchtigt und mit frühzeitiger Arbeitsunfähigkeit verbunden ist [7], [8]. Die Beschäftigungsquote in Deutschland liegt je nach Krankheitsdauer und Geschlecht bei 17–47 % unter dem Bevölkerungsdurchschnitt [9]. Ungefähr 50 % der SLE-Patienten treten 15 Jahre nach der Diagnose in den Ruhestand, d. h. im Alter von 30 bis 50 Jahren, basierend auf dem frühen Auftreten von Lupus.

Aufgrund seiner hohen Morbidität hat der SLE daher auch erhebliche sozioökonomische Auswirkungen. Die direkten Kosten in den USA belaufen sich auf 33.200,00 USD pro Patient und Jahr und steigen mit der Entwicklung von Organfunktionsstörungen, Krankheitsaktivität, Krankheitsausbrüchen und langer Krankheitsdauer [10]. Die indirekten Kosten liegen zwischen 1.200 USD und 20.000 USD pro Patient und Jahr [10]. Trotz der eingeschränkten Teilhabe finden sich nur in ca. 5 % der Patienten gezielte Rehabilitationsbehandlungen (persönliche Kommunikation).

Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass SLE-Patienten eine eingeschränkte maximale Sauerstoffaufnahmekapazität haben. Hierbei schwanken die Werte zwischen 19 und 24 ml / kg / min [11]. Die Pathophysiologie hierfür ist bislang nur unvollständig verstanden. Viele der Patienten befinden sich in einer Abwärtsspirale hin zu verminderter Belastbarkeit. Schmerzen beim Atmen (Pleuritis) und bei Bewegung führen zusammen mit Fatigue zu einer zunehmenden Inaktivität, die wiederum in einer zunehmenden Verschlechterung der Belastbarkeit mündet. Auch die oftmals seitens der Patienten beklagten kognitiven Störungen (Wortfindungsstörungen, Konzentrationssschwierigkeiten) korrelieren gut mit der Sauerstoffaufnahmekapazität und dem 6-Minuten-Gehtest [12]. Ein Circulus vitiosus, der nur schwer zu durchbrechen ist und einen entscheidenden Einfluss auf die soziale und berufliche Teilhabe der Patienten hat [Abb. 1]) [13], [14].

Zoom Image
Abb. 1 Abwärtsspirale der eingeschränkten Belastbarkeit.

Carvalho et al. (2005) untersuchten den Effekt eines aeroben Ausdauertrainings auf Fatigue, Lebensqualität, Depression und kardiorespiratorische Belastbarkeit bei SLE Patienten [15]. Nach 12 Wochen des überwachten kardiovaskulären Trainingsprogrammes zeigte sich eine signifikante Verbesserung nicht nur der körperlichen Fitness, sondern auch von Depression, Fatigue und Lebensqualität [15]. Das Training wurde 3 x pro Woche über 60 Minuten morgens durchgeführt und bestand aus 10 Minuten Aufwärmen, 40 Minuten Walken (herzfrequenzadaptiert entsprechend der individuellen aeroben Schwelle) und 10 Minuten Entspannung. Weitere randomisierte, kontrollierte Studien belegen den Effekt einer Trainingstherapie auf die verbesserte kardiorespiratorische Leistungsfähigkeit [16]-[19]. Hinsichtlich der subjektiven Parameter Depression, Fatigue und Lebensqualität zeigen sich unterschiedliche Ergebnisse, meist jedoch zumindest Tendenzen zur Verbesserung. Allerdings sind die Studien nur bedingt zu vergleichen, weil verschiedene Trainingsansätze angewandt werden (z. B. Frequenz, Steuerung, Dauer, Methoden etc.). Hinzu kommt die klinische Heterogenität der SLE-Patienten, die das unterschiedliche Ansprechen erklären kann. Kritisch anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass die Mehrzahl der Interventionsstudien SLE-Patienten mit einer nur sehr milden Krankheitsaktivität (SLEDAI < 4) eingeschlossen haben. In der Metaanalyse von O’Dwyer et al. (2017) findet sich eine Übersicht über Ansätze und Effekte randomisierter und nicht-randomisierter klinischer Studien zur Trainingstherapie beim SLE [20]. Für den klinischen Alltag von besonderer Bedeutung ist die Erkenntnis, dass es in keiner Studie zu einem Schub der Erkrankung unter der Trainingstherapie gekommen ist. Dies war eine oftmals geäußerte Befürchtung, die in der Vergangenheit zur „verordneten“ körperlichen Schonung und damit zur weiteren Inaktivität geführt hat.

Während die meisten der Studien Effekte über einen Zeitraum von 12 Wochen untersuchten, haben Boström et al. (2016) in einer randomisierten kontrollierten Studie mit 34 Lupuspatientinnen nach einer 3-monatigen initialen Trainingsphase mit enger Anleitung und einer anschließenden 9-monatigen Phase mit abnehmender Betreuung nachhaltige positive Wirkungen auf die aerobe Leistungsfähigkeit und Lebensqualität zeigen können [19]. Interessant ist allerdings, dass es keinen Unterschied zwischen Interventionsgruppe und Kontrollgruppe gab. Offenbar führten allein die regelmäßigen Untersuchungen (Herzfrequenz und Bestimmung der Leistungsfähigkeit mit einem Ergometer) zu einer verstärkten Motivation in der Kontrollgruppe, körperlich aktiv zu werden. Vergleichbar zu den übrigen klinischen Studien kam es auch in dieser 12-monatigen Untersuchung nicht zu einer Zunahme der zu Beginn milden bis moderaten Lupusaktivität [19].

Eine mögliche pathophysiologische Erklärung für das Ansprechen der Trainingstherapie auf den SLE konnte in der Studie von Perandini und Kollegen (2016, 2014) demonstriert werden [21], [22]. Eine 30-minütige aerobe Belastung führte zu einer Herunterregulation von proinflammatorischen Genen in Leukozyten von Lupuspatienten und Gesunden.

Zweifelsohne bedarf es weiterer kontrollierter Studien, um die zahlreichen offenen Fragen bezüglich Trainingstherapie und körperlicher Belastbarkeit, Fatigue und Lebensqualität bei SLE-Patienten zu klären (Einfluss der Krankheitsaktivität – mild versus hoch aktiv, Standardisierung der Trainingstherapie etc.).

Im Lupuszentrum der Universitätsmedizin Mainz laufen zur Zeit u. a. in Kooperation mit der Abteilung Sportmedizin der Johannes Gutenberg-Universität (Prof. Simon) und dem Landesrheumazentrum Bad Kreuznach zwei Studien, die sich unterschiedlichen Aspekten widmen: Einfluss des Trainings auf die Fatigue und die hiermit in Verbindung stehenden anti-NMDA Rezeptor Antikörper [23] sowie web-basierte Trainingseinheiten (SLEEP).

Auf der Basis der bisherigen Datenlage kann bei aller Unschärfe festgehalten werden, dass ein aerobes Ausdauerprogramm sowohl körperliche Belastbarkeit als auch die im Alltag so prädominante Fatigue Symptomatik verbessern kann.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.



Publication History

Article published online:
17 February 2020

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York