Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2019; 26(05): 200-201
DOI: 10.1055/a-0998-6995
Kasuistik
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Höhenbedingte Topographagnosie?

Altitude-specific topografical disorientation?
Rainald Fischer
1   Lungenärztliche Praxis, München
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Publication Date:
17 October 2019 (online)

Anamnese

Zwei höhenmedizinisch erfahrene Bergsteiger (w, 52 Jahre, m, 53 Jahre) planten eine Trekkingtour durch das Helambu- und Langtanggebiet in Nepal, nördlich von Kathmandu. Sie hatten 8 Tage Zeit und wollten zuletzt eine Höhe von 5000 Hm erreichen.

Da die geplanten Trekkingetappen zum Teil recht lang waren (üblich sind für diese Strecke 12–14 Tage), erfolgte eine Präakklimatisation in einem Hypoxiezelt zu Hause. Über insgesamt 14 Tage wurde die Hypoxie langsam gesteigert, zuletzt entsprechend einer normobaren Hypoxie von 4500 Hm (ca. 13 % FiO2). Die Dauer der nächtlichen Hypoxie betrug im Schnitt 6 h. Das Intervall zwischen der letzten Hypoxienacht zu Hause und dem Beginn der Trekkingtour betrug 6 Tage.

Nach dem Start der Tour im Kathmandu-Tal, 1460 Hm, und der ersten Übernachtung, 2100 Hm, folgte ein weiterer Höhenanstieg am zweiten Tag: Überquerung eines Passes kurz vor dem Schlafplatz, 3400 Hm, und Übernachtung, 3290 Hm. Am Tag 3 sollte die Überschreitung des Laurebina-Passes, 4610 HM, erfolgen und die Übernachtung danach in Gosainkund (laut Karte 3480 m).

Eine Wegbeschreibung wurde nicht mitgeführt, da eine detaillierte topografische Karte in Kathmandu erworben wurde und die Bergsteiger auf die Informationen in den jeweiligen Lodges und die Gespräche mit anderen Trekkern vertrauten. Zudem waren sie bereits mehrfach in Nepal trekken gewesen. Im Langtanggebiet waren sie vor über 20 Jahren, damals erfolgte auch ein Besuch von Gosainkund. Bei der zweiten Übernachtung trafen sie eine Wandergruppe, die davon berichtete, dass sie gerade in umgekehrter Richtung von Gosainkund unterwegs gewesen waren, allerdings benötigten sie für diese Strecke 2,5 Tage. Von Gosainkund auf den Laurebina-Pass (also von 3480 bis 4610 Hm) hätten sie nur etwa 2 Stunden gebraucht.

Mit diesen Informationen und der Karte machten sich beide Bergsteiger am dritten Tag auf den Weg, trotz der Meinung eines Nepalis während der ersten Teepause, 3690 Hm, dass es „impossible“ sei, von hier an einem Tag bis nach Gosainkund zu gelangen. Da Zelt und Schlafsäcke mitgeführt wurden, erschien das Risiko vertretbar, falls der Pass nicht erreichbar war, davor zu übernachten und den Anstieg am kommenden Tag zu versuchen. Allerdings war beiden Bergsteigern bewusst, dass in diesem Fall eine ziemlich rasche Steigerung der Schlafhöhe (auf etwa 4000–4200 Hm) möglicherweise mit einer Höhenkrankheit einhergehen könnte. Dies wäre nur durch den langen Abstieg nach Gosainkund (laut Karte 3480 Hm) mit Überschreitung des Passes davor zu vermeiden.

Am Laurebina–Pass (4610 Hm) bemerkten beide Bergsteiger die Hypoxie trotz Präakklimatisation deutlich, das Gehen war nur langsam möglich, es bestand leichter Schwindel. Nachdem der Laurebina-Pass dann nach einem langen Tag um circa 17 Uhr erreicht war, machten sich beide auf den Weg nach unten, um eine zu hohe Schlafhöhe zu vermeiden ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Abstieg vom Laurebina-Pass.
Quelle: Prof. Dr. Rainald Fischer

Nach etwa 30 min Abstieg konnte man im letzten Abendlicht bald einen See mit mehreren, offenbar bewohnten Häusern erkennen. In diesem Moment erst wurde beiden Bergsteigern klar, dass dies Gosainkund mit den heiligen Seen sein musste ([Abb. 2]). Daher konnte die Höhe in der topografischen Karte nicht stimmen, sondern müsste offenbar nicht 3480 Hm sondern 4380 HM lauten, also knapp 900 Hm Unterschied. Das machte das Erreichen des Zielorts natürlich deutlich einfacher, allerdings auf Kosten einer zu großen Schlafhöhe, was bei beiden Bergsteigern über Nacht zu einer mäßig ausgeprägten Höhenkrankheit mit Kopfschmerzen, Schlafstörungen und leichter Übelkeit führte.

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Abb. 2 Blick auf die Gosainkundseen im Abendlicht.
Quelle: Prof. Dr. Rainald Fischer
 
  • Literatur

  • 1 Thapa SS, Basnyat B. Acute mountain sickness (AMS) in a Nepali pilgrim after rapid ascent to a sacred lake (4380 m) in the Himalayas. BMJ Case Rep 2018: 11 pii: bcr-2017-222888
  • 2 Schnider A. Raumverarbeitungsstörungen. In Schnider A. Verhaltensneurologie. 2. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2004: 71-85
  • 3 Fischer R. [Acute mountain sickness: How can it be treated and how can it be avoided?]. Internist (Berl) 2014; 55: 268-273