Zeitschrift für Palliativmedizin 2019; 20(06): 296-299
DOI: 10.1055/a-1000-6936
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Doppelkopf: Karin Oechsle und Alexandra Scherg

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Publication Date:
30 October 2019 (online)

Prof. Dr. med. Karin Oechsle

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Zur Person

Ich leite ärztlich den Bereich Palliativmedizin innerhalb des Zentrums für Onkologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und des Universitären Cancer Centers Hamburg, den wir gemeinsam im multiprofessionellen Team in den letzten Jahren schrittweise aufgebaut haben. Dazu gehören neben den klinischen Strukturen auch ein umfassendes Lehr-Curriculum sowie eine wissenschaftliche Arbeitsgruppe. Seit Juli 2017 habe ich eine W3-Stiftungsprofessur für Palliativmedizin mit Schwerpunkt Angehörigenforschung inne, die maßgeblich von der Hamburger Krebsgesellschaft e. V. finanziert wird.

Wie kamen Sie zu Ihrem jetzigen Tätigkeitsfeld?

Als ich in meinem Pflegepraktikum am Anfang des Studiums zufällig auf einer onkologischen Station landete, faszinierte mich vor allem der Umgang mit den unheilbar kranken Patienten. Mich beeindruckte, wie es teils auch junge Menschen mit einer solchen Klarheit und Würde schafften, ihre letzte Lebenszeit zu verbringen, aber auch die offene Auseinandersetzung mit existenziellen Themen dieser schwer kranken Menschen berührte mich. Solche Begegnungen erlebte ich als sehr wertvoll und wünschte sie mir auch für meine berufliche Zukunft. Von Palliativmedizin hatte ich damals und in meinem ganzen weiteren Studium noch nichts gehört und entschied mich daher für die Onkologie. Als dann in Hamburg erste Schritte in der Palliativmedizin gegangen wurden und ich gefragt wurde, ob ich Teil davon sein wollte, merkte ich zunehmend, dass das genau mein Platz ist.

Was wäre für Sie die berufliche Alternative?

Manchmal träume ich von einem kleinen Café in einer Altstadt oder einem Buchladen, aber eigentlich weiß ich sehr genau, dass ich gar nichts anderes machen möchte als genau das, was ich gerade tue. Daher bin ich sehr froh, dass ich mir keine Gedanken über eine berufliche Alternative machen muss, sondern diesen Beruf ausüben darf.

Wie beginnen Sie Ihren Tag?

Da ich eher eine Nachteule bin, beginnt mein Tag meist damit, „in letzter Minute“ doch noch halbwegs rechtzeitig aus dem Bett zu steigen und mit einem Kaffee zu versuchen, nicht nur den Körper wach zu bekommen.

Leben bedeutet für mich …

vor allem ein wunderbares Geschenk, für das ich sehr dankbar bin!Es bedeutet für mich Begegnungen, Austausch, Erlebnisse, Eindrücke, Emotionen, Bewegung, Nähe, Familie, Freunde, Urlaubsreisen, Hobbies, Arbeit, Natur, Leichtigkeit, Freude, Wertschätzung, Würde, Hoffnung, Sinn, Glück, Wünsche, Träume und noch so viel mehr …

Sterben bedeutet für mich …

Abschied nehmen. Sich zu verabschieden, von all dem, was das Leben in seiner Vielseitigkeit geboten hat und vielleicht auch noch hätte mit sich bringen können.Den Blick verändern zu müssen von der Zukunft mit all den Wünschen und Träumen ins „Hier und Jetzt“ mit all seinen Grenzen und zurück auf das, was war: auf das Schöne, das Erlebte und das Gelungene, aber auch das was nicht gelungen ist, was versäumt wurde, was falsch erscheint. Und sich damit auseinanderzusetzen, dass kaum noch Zeit bleibt, daran etwas zu ändern.

Welches Ziel möchten Sie unbedingt noch erreichen?

Beruflich gesehen, habe ich viele Ideen, wo ich mich noch gerne miteinbringen würde, um etwas zu verändern bzw. zu verbessern, und ich freue mich über jede Möglichkeit, die sich für mich eröffnet. Eigentlich möchte ich davon eher „möglichst viele“ Ziele als ein bestimmtes erreichen. Privat möchte ich vor allem noch bestimmte Reiseziele erreichen – viele davon liegen in Südamerika.

Meine bisher wichtigste Lernerfahrung im Leben ist …

dass Zielstrebigkeit nicht bedeutet, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen, sondern sich selbst und die eigenen Ziele immer im Blick zu behalten, während man Umwege geht oder eine Pause macht. Dass man im Team immer weiterkommt als allein und dass man Netzwerke braucht – berufliche wie private –, die einen über die steinigen Passagen tragen.

Was würden Sie gern noch lernen?

Ich wünsche mir, mehr Gelassenheit lernen zu können. Auch mal öfter „Fünfe gerade sein“ zu lassen und die Ansprüche an mich selbst mit gutem Gefühl auch mal niedriger lassen zu können.

Woraus schöpfen Sie Kraft für Ihre Arbeit?

Aus dem Gefühl, etwas Wertvolles bei meiner Arbeit tun: aus berührenden Begegnungen, tief greifenden Gesprächen, aus Momenten der Verbundenheit, rückgespiegelter Dankbarkeit von Patienten, Angehörigen oder Kollegen und den Momenten, in denen man wirklich etwas verändern oder etwas Bleibendes schaffen konnte – auch wenn es oft vor allem kleine, manchmal sehr, sehr kleine Dinge sind.Kraft schöpfen kann ich außerdem bei meinen Freunden und der Familie, aber auch in der Natur – je unberührter und weitläufiger umso besser.

Mit wem aus der Welt- oder Medizingeschichte würden Sie gern einmal einen Abend verbringen?

Dietrich Bonhoeffer. Vieles, was er geschrieben hat, trägt mich durch mein Leben – vor allem in Momenten des Zweifels. Ich bewundere seine klugen und klaren Formulierungen, sein tiefes Vertrauen, seine aufrichtige Dankbarkeit und seinen grundfesten Glauben.

Wenn ich einen Tag unsichtbar wäre, würde ich …

Ich möchte mir das eigentlich gar nicht vorstellen – für mich ist das eher ein unangenehmer Gedanke. Ich freue mich, wenn ich mit dem was ich tue, sage und ausdrücke, Menschen erreichen kann. Für mich sind „sicht- und spürbare“ Begegnungen mit anderen Menschen mit das Wichtigste und Schönste im Leben.

Wie können Sie Alexandra Scherg beschreiben?

Alex Scherg lernte ich kennen als sie noch Medizin-Studierende in Hamburg war. Ich versuchte damals gerade, im Rahmen der Hamburger Studienreform ein umfassendes palliativmedizinisches Lehrkonzept zu etablieren. In dieser Zeit begegnete mir viel Desinteresse und Ablehnung und plötzlich war da Alex, die sich auch für die Wichtigkeit der Palliativmedizin in der studentischen Lehre einsetzte – sie kämpfte sich praktisch mir von der Studierendenseite entgegen.Vom ersten Moment an war ich beeindruckt von Ihrem Engagement und von ihrem Willen, auch für scheinbar Unlösbares Wege zu finden – unbeeindruckt von Konventionen, strukturellen und hierarchischen Grenzen. Die Leidenschaft und die Zielstrebigkeit, mit der sie sich für das einsetzt, was ihr wichtig ist, hat sie sich über all die Jahre, die ich sie kenne, bewahrt – und das schätze ich sehr an ihr.Ich bin ihr daher dankbar, dass wir inzwischen vieles gemeinsam auf den Weg bringen konnten – zuletzt das Lehrbuch, das wir zusammen herausbringen durften. Ich danke Alex aber nicht nur für diese wunderbare Zusammenarbeit in all den Jahren, sondern auch für viele wertvolle private Begegnungen und Erlebnisse.

Wie beenden Sie Ihren Tag?

Meist mit einem gedanklichen Rückblick auf den Tag bei einem leckeren Glas Wein und später mit einem guten Buch während ich mich langsam ins Bett kuschele. Leider fällt diese Lesestunde dann im Alltag doch oft etwas kürzer aus als ich mir das so wünschen würde …

Gibt es etwas, das Sie gern gefragt worden wären, aber noch nie gefragt worden sind?

Da ich eigentlich eher neugierig und offen bin, in Bezug auf das, wie andere mir begegnen oder was sie mich fragen, habe ich in dieser Beziehung grundsätzlich wenige Erwartungen. Ich lasse mich da gerne überraschen …