intensiv 2019; 27(06): 286-287
DOI: 10.1055/a-1007-2526
Kolumne
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ein Hoch auf die Routine

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Publication Date:
07 November 2019 (online)

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(Quelle: Paavo Blåfield)

„Routine erträgt der Mensch schlecht, noch weniger aber ihr Fehlen“

Paul Jandl (*1962), österreichischer Kulturjournalist und Literaturkritiker, in der „Neuen Zürcher Zeitung“, 07.04.2019

Heute möchte ich mal ein bisschen über Routine im Allgemeinen und im Besonderen schreiben.

Routine ist der Sammelbegriff für Erfahrung, Geübtheit, Praxis, Automatismus oder Gewohnheit. Letztere kann auch gern blind sein. Routine kann das Leben leichter machen, wahrscheinlich aber auch langweiliger. Es ist leicht, mit derartigen Weisheiten, die ich irgendwann mal irgendwo gelesen habe, um die Ecke zu kommen. Aber wenn der Alltag so richtig zuschlägt, komme zumindest ich nur schwer ohne gewisse Rituale in die Gänge.

Das geht schon morgens beim Aufstehen los. Das läuft bei mir wie am Schnürchen und es darf auf keinen Fall etwas dazwischenkommen. Wecker, Bad, Kaffee, Hund raus, zur Arbeit fahren. Dafür habe ich genau eineinhalb Stunden Zeit. Neulich ist es mir passiert, dass ich im Auto bemerkt habe, dass ich meine Lesebrille nicht eingepackt habe. Da ich ohne sie bei der Arbeit am Computer aufgeschmissen bin, musste ich auf halber Strecke umdrehen, um sie zu holen. Das war schon zu viel. Ich war raus aus meinem Trott. Kurioserweise war ich trotzdem pünktlich auf Station.

Dort geht es dann weiter. Routinierte Abläufe, wohin das Auge blickt. Übergabe mit Kaffee von müden Mitarbeitern an müde Mitarbeiter, Arbeit einteilen, noch fünf Minuten sitzen bleiben und los geht’s. Medikamentenkontrollen, Antibiosen auflösen, Blutentnahmen, Visite und dann endlich Frühstück für alle. So weit, so gut, und auch wenn ich in Sachen Frühstück oft nicht so begeistert bin (nicht jeder möchte um kurz nach sieben schon frühstücken), sind all diese Tätigkeiten schon allein wegen der zeitlichen Vorgaben nur routinemäßig abzuarbeiten.

Dann nämlich, wenn es an die Pflege an sich geht, sollte ein bisschen Individualität und Flexibilität an der Tagesordnung sein. Vorweg will ich nur kurz erwähnen, dass wir eine Station mit einem sehr hohen Anteil lange liegender, oft sehr kranker Patienten sind. Auf Stationen mit einem enormen Patientendurchlauf, wie es sie in unserem Haus auch gibt, sieht die sogenannte „Pflegeroutine“ sicherlich ein wenig anders aus. Wir versuchen, die Patienten – ohne sie zu überfordern – raus aus dem Bett zu pflegen. Ganzkörperwaschungen im Bett gibt’s bei uns nur, wenn es gar nicht anders geht. Körperpflege findet im Bad statt, am besten wird geduscht. Dann diese ewigen OP-Hemden und Einmal-unterhosen! Ein frisch gewaschener Schlafanzug oder ein sauberes Nachthemd machen gleich einen positiveren, normaleren Eindruck. Mahlzeiten werden im Sitzen eingenommen, noch besser am Tisch. Verbände und Verbandswechsel sollen – wenn möglich – nicht im Bett durchgeführt werden. Dafür haben wir einen sehr schönen Verbandsraum, mit dem wir gleich mehrere „Fliegen mit einer Klappe schlagen“: Der Patient ist mobilisiert, wird im Rollstuhl in den Verbandsraum gefahren, sieht mal etwas anderes als sein Zimmer, trifft bestenfalls noch andere Patienten und hat am Ende ein kleines Erfolgserlebnis.

Leider sehen es einige Patienten und die Krankenkassen oft anders. Es gibt tatsächlich Patienten, die ernsthaft mit uns sauer sind, weil sie ihre Mahlzeiten im Sitzen zu sich nehmen sollen – obwohl sie es durchaus könnten. Oder die die Mobilisation ins Bad strikt ablehnen und wochenlang auf unsere Flügelhemden bestehen. Patienten, die sich gewissermaßen in ihren Betten einrichten und dort manchmal ein regelrechtes Parallelleben führen. Das böse Erwachen kommt dann hundertprozentig immer dann, wenn es um die nachstationäre Versorgung geht.

Und die Krankenkassen? Wahrscheinlich könnten wir viel mehr Patienten unter PKMS-Kriterien abrechnen, wenn wir sie im Bett liegen ließen und fünf Mal am Tag drehen würden. Unsere Art der Pflege, die oft nicht die gewünschten Kriterien erfüllt, ist deshalb aber nicht weniger aufwendig und auch nur zu leisten, wenn das entsprechende Personal mit entsprechender Motivation und genügend Know-how zur Verfügung steht. Außerdem finde ich unser Konzept zeitgemäßer, frischer und optimistischer. Jeder Kollege ist angehalten, sich Gedanken zu machen, ein bisschen Ehrgeiz zu entwickeln und sich über positive Ergebnisse zu freuen. Nebenbei setzen wir durch diese Arbeit auch diverse Expertenstandards um und sind so voll auf der Höhe der Zeit.

Routine ist schon wichtig. Aber nicht, weil man irgendwas schon immer so macht, sondern weil wir professionell, routiniert und sicher arbeiten. Weil wir mehr sind als Betten schiebende, Schüsseln (jeglicher Art) von A nach B tragende, Patienten waschende und sich zu Tode dokumentierende Allzweckwaffen der Krankenhäuser. Hier sind dann allerdings bald die jungen Leute gefragt, die sich für Studiengänge in der Pflegewissenschaft oder im Pflegemanagement entschieden haben und hoffentlich in nicht allzu ferner Zeit viel Input auf die Station bringen und vermitteln können.

Und dann, nach Feierabend? Ich falle oft wieder in die ganz persönliche Routine zurück und arbeite vieles nach Schema F ab. Deshalb ist mein Leben nicht langweiliger. Außerdem würde sich mein Hund bedanken, wenn ich von unserer Routine abweichen würde.

In diesem Sinne Ihre

Heidi Günther
hguenther@schoen-kliniken.de