Z Geburtshilfe Neonatol 2019; 223(06): 397-398
DOI: 10.1055/a-1031-5218
Mitteilungen der DGPM
Standpunkt
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Künstliche Intelligenz – werden wir in Zukunft vom Computer behandelt?

Further Information

Publication History

Publication Date:
04 December 2019 (online)

Die Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI) und selbstlernenden Systemen (Deep Learning) ist im beruflichen wie auch im privaten Umfeld eine Selbstverständlichkeit geworden und ist daher nicht mehr wegzudenken. Die Rechner machen gegen Schachweltmeister eine ganz gute Figur. Der PC komponiert einfühlsame Musikstücke, man kann mit einem PC eine hochrangige Jazz-Session veranstalten. Der PC schreibt nette Gedichte und an Flugplätzen oder in Hotels kann man sich mit den kleinen freundlichen Robotern köstlich unterhalten. Körperlich anstrengende Tätigkeiten wie Rasenmähen, Fensterputzen oder Autoherstellung überlassen wir in der Zwischenzeit natürlich dem Roboter. Viele tragen heute schon Fitness- oder Lifestyle-Armbänder, sogenannte „Wearables“, oder nutzen Apps auf den Smartphones, die die täglichen Aktivitäten genauso dokumentieren können wie die persönlichen Schlaf-, Sex- und Essensgewohnheiten. Patienten tragen implantierte Messgeräte, deren Werte nahezu in Echtzeit – entweder zur reinen Dokumentation oder aber im Notfall mit einem Alarm – übertragen werden können. Durch eine Speicherung in der „Cloud“ sind alle persönlichen Gesundheitsdaten jederzeit und überall verfügbar, ob daheim, auf der Geschäftsreise oder unterwegs im Urlaub mit der Familie.

Die digitale Sphäre wird zunehmend in den Körper eindringen. Der Nanoroboter im Gehirn ist nicht mehr nur Science-Fiction. Warum soll der Roboter dann nicht auch die Patientenbetreuung übernehmen, da wir ja einen zunehmenden Ärztemangel und große Probleme bei der Umsetzung von Anforderungen im Pflegeberuf haben? Zudem ist die Rechenleistung unseres Gehirnes begrenzt, beim Computer ist keine Ende der Effektivität absehbar. Wie im September 2019 in Presseberichten veröffentlicht, scheint dem Team von Google gerade der große Durchbruch mit dem Quantencomputer gelungen zu sein. Mit der „Quantenüberlegenheit“ kann eine Rechenleistung, für die ein herkömmlicher Computer 10 000 Jahre benötigt, vom Quantencomputer in 3,3 Min. gelöst werden. Bei dieser außerordentlichen Rechenleistung stellt man sich die Frage, ob die Anwendung der Rechenleistung des menschlichen Gehirnes zur Lösung von Problemen dann noch gerechtfertigt ist. Stephen Hawking hatte dazu bereits ein klares Statement abgegeben: “The development of full artificial intelligence could spell the end of the human race”. Wenn der Mensch dann vielleicht noch in Reservaten als Fehlentwicklung der Evolution zu bewundern sein wird, dann wird die medizinische Betreuung dieser einstmals selbstbewussten Spezies sicher auch von KI übernommen worden sein. Wenn wir diese Entwicklung noch etwas hinausschieben wollen, dann ist die intensive Beschäftigung mit dieser Thematik dringend angezeigt.

Wo liegen nun die Chancen und Risiken von KI?

Klare Vorteile hat die KI natürlich in der Unterstützung bei der Bewältigung der für das menschliche Gehirn nicht mehr überschaubaren Datenmenge in der Medizin. Durch die genetische Diagnostik (Gesamt-Genom-Sequenzierung), „Omicstechnologien“, 3D-Bildgebung wird ein leistungsfähiger Computer allein für die Dokumentation gebraucht. Zusätzlich wird KI in der Diagnostik eingesetzt werden, da die Befunde rascher, zuverlässiger, kostengünstiger und unabhängig der Erfahrung des Mediziners erstellt werden. Therapiealgorithmen mit Berücksichtigung der aktuellen Literaturdaten werden unmittelbar mit der Diagnosestellung zur Verfügung stehen. Wenn diese Information dann von jedem Patienten auf dem Smartphone abgerufen werden kann, dann steht jedem Patienten die aktuell höchste medizinische Kompetenz zur Verfügung, was v. a. für Entwicklungsländer ein enormer Vorteil sein kann. Ändert sich ein Therapiekonzept aufgrund von neuen Studien, dann wird dem „KI-Arzt“ der neue Algorithmus einprogrammiert und es wird ab dann weltweit der neue Therapiealgorithmus umgesetzt. Wenn man bedenkt, wie vieler Kongresse, Publikationen und Leitlinien es heute bedarf, bis der „herkömmliche“ Arzt auf neue Therapiekonzepte reagiert, dann ist der „KI-Arzt“ natürlich für den Patienten zu bevorzugen.

Ein Nachteil des „KI-Arztes“ besteht nun darin, dass auch ein Computer fehleranfällig ist. Bei einem weltweiten Einsatz des „KI-Arztes“ wirkt sich der Fehler in sehr kurzer Zeit auf Mio. von Patienten umgehend aus. Durch die intensive Vernetzung der Daten ist es auch normal, dass es zur Verwechslung von Patientendaten kommt. Ich durfte vor wenigen Wochen selbst staunend miterleben, wie Ultraschallbilder von einer anderen Patientin in eine laufende pränatale Ultraschalluntersuchung eingespeist wurden. Die Patientinnen wurden zwar mit dem gleichen Ultraschallprogramm, aber völlig unterschiedlichen Identifikationsnummern im Programm aufgerufen. Es wurden hoch pathologische Befunde in eine normale Untersuchung eingespeist. Bei einer Analyse der Befunde durch den Computer hätte der KI-Arzt mit großer Wahrscheinlichkeit den Schwangerschaftsabbruch bei einer völlig normalen Schwangerschaft empfohlen. Man könnte nun an unzähligen Beispielen die Gefahr von KI in der Patientenbetreuung aufzeigen. Wie anfällig KI für Fehler ist, konnte man beim KI-Arzt Dr. Watson von IBM gut mitverfolgen. Der KI-Arzt hat zusätzlich den Nachteil, dass er auch die individuelle Entscheidung des Patienten nicht „verstehen“ kann. Viele Entscheidungen der Patienten sind ja manchmal sogar für den menschlichen Arzt schwer nachvollziehbar, aber der Wille des Patienten muss der zentrale Ankerpunkt unserer Therapiekonzepte sein. Die Risiken von KI sind jedoch vermeidbar, wenn der menschliche Arzt und nicht der KI-Arzt endgültige Therapieplanung in Absprache mit dem Patienten vornimmt. Dafür ist es aber erforderlich, dass KI transparent, nachvollziehbar und erklärbar bleibt. Wir brauchen klare Regularien, dass die endgültige Entscheidung beim Arzt liegt. Ebenso sind ethische und juristische Probleme zu bedenken. Wer ist bei Fehlern zur Verantwortung zu ziehen, der Computer oder der Arzt? Mit diesen Fragestellungen müssen wir uns zunehmend beschäftigen, wenn wir vermeiden wollen, dass Techniker uns Programme zur Verfügung stellen, deren Entscheidungswege wir nicht mehr nachvollziehen können.

KI wird die Medizin bereits in den nächsten Jahrzehnten entscheidend verändern. Ob sich dabei das technisch machbare System oder das für den Menschen adäquate Konzept durchsetzen wird, das wird davon abhängig sein, wie intensiv wir Mediziner uns hier einbringen. Ärzte die sich nicht mit KI beschäftigen, wird man in 10–20 Jahren nicht mehr benötigen. Wenn wir KI jedoch sinnvoll einsetzen, dann werden wir wieder Zeit finden, uns um die Wünsche des Patienten zu kümmern. Wir werden wieder Zeit für eine empathische Betreuung unserer Patienten finden. Dann wird der Arzt aber ganz sicher nicht überflüssig sein, sondern er wird weiterhin eine entscheidende Rolle in der Betreuung von Patienten haben. Um hier die Weichen frühzeitig richtig stellen zu können, ist eine intensive Beschäftigung mit KI, Big Data, Robotik, maschinellem Lernen und Deep Learning erforderlich. KI muss stärker in die Ausbildung der Studenten eingebracht werden. Sie muss einen hohen Stellenwert in der Facharztausbildung und Weiterbildung bekommen und sollte auf Kongressen und in der Literatur ein bestimmendes Thema werden. Wenn wir die Weichen richtig stellen, dann stehen uns mit dem Einsatz von KI enorme Chancen in der Umsetzung einer personalisierten Medizin zur Verfügung. Wenn wir uns von „Big Data“ einfach überrollen lassen, dann wird eine individualisierte menschliche Medizin auf der Strecke bleiben.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr