Der Nuklearmediziner 2020; 43(02): 93-94
DOI: 10.1055/a-1062-0877
Editorial

Nuklearmedizinische Bildgebung bei HNO-Tumoren

Nuclear medical imaging in ENT tumorsContributor(s):
Matthias Miederer
Klinik für Nuklearmedizin, Universitätsmedizin Mainz
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Bei onkologischen Erkrankungen wurden in den letzten Dekaden kontinuierlich wissenschaftliche Fortschritte erzielt, die zu erheblichen Verbesserungen der Morbidität und Mortalität führten. Dies hat zu beeindruckenden Erfolgen bei einer Vielzahl an Krankheitsentitäten geführt. Zum einen steht eine immer genauere und spezifischere Diagnostik zu Verfügung, mit der eine Charakterisierung von Tumorerkrankungen in einer enormen Detailtiefe gelingt. Neben Gewebeparametern, die aus Histologie und genetischen Untersuchungen gewonnen werden, ist die Bildgebung eine wichtige Säule der Einteilung von Malignomen. Schnittbildverfahren wie CT und MRT bilden mit hoher Auflösung die Anatomie ab und sind unabdingbare Voraussetzung für das Krankheitsmanagement. Darüber hinaus leisten funktionelle, nuklearmedizinische Verfahren einen weiteren wesentlichen Beitrag bei der Bildgebung von Malignomen. Zum anderen hat sich auch die Palette der therapeutischen Möglichkeiten deutlich erweitert, und es sind große Erfolge mit verschiedenen multimodalen Therapiekonzepten erzielt worden. Die Basis zur Umsetzung dieser fortschreitenden Entwicklungen ist eine breit aufgestellte multidisziplinäre Behandlung. Hier arbeiten bei jedem Patienten mehrere Fachdisziplinen Hand in Hand, um umfassende Ansprüche an Diagnostik und Therapie zum Wohle des Patienten umzusetzen. Für die interdisziplinäre Diskussion haben sich bei nahezu allen onkologischen Erkrankungen Tumorboards etabliert, in denen Diagnose-, Therapie- und Nachsorgeentscheidungen gebahnt werden. Dies trägt insbesondere vor dem Hintergrund eines sich schnell wandelnden Wissens zu dem Erfolg von multimodalen Therapiekonzepten bei. Aber gerade um Patienten individuell gerecht zu werden, ist es erforderlich, Methoden genau zu kennen und Umfeld, Grenzen und Alternativen einschätzen zu können.

Interdisziplinäre Tumorboards sind häufig um die jeweilig chirurgischen Fächer strukturiert, passend zum Stellenwert von operativen Verfahren und der klinischen Primärpräsentation von Malignomen. Daneben veranschaulichen althergebrachte und moderne Querschnitts-Tumor-Boards wie beispielsweise pädiatrisch-onkologische oder neuroendokrine-endokrine Tumorboards und molekulare Tumorboards die gelebte Interaktion zwischen verschiedenen organspezifischen Zentren. So sind die Grenzen der klinischen Fachdisziplinen zunehmend weniger starr. Methoden, Interaktionen und Forschung haben einen Einfluss auf die Bedeutung einzelner Fachgebiete in den interdisziplinären Teams. Hier spielt die klinische Nuklearmedizin in vielen Bereichen eine wesentliche Rolle. Aufgrund der nicht krankheitsspezifischen, sondern Methoden-zentrierten Definition des Fachgebiets sind die Anwendungsgebiete sehr breit gefächert. Die Grundlage ist jeweils die Verfügbarkeit von radioaktiv markierten Molekülen, die zur Diagnostik und Therapie einen Beitrag leisten können. Die nuklearmedizinische Bildgebung funktioneller Prozesse ist vor allem durch die FDG-PET/CT ein integraler Bestandteil beim Management einer großen Anzahl von malignen Erkrankungen. Dabei sind der hohe Bildkontrast, die Möglichkeit der Quantifizierung und die meist leichte und eindeutige anatomischen Zuordnung mittels CT oder MRT wesentliche Grundlage der hohen Wertigkeit für onkologische Entscheidungsprozesse.

Die genaue Einschätzung der Wertigkeit von Bildgebung in Hinblick auf patientenspezifische Outcome-Parameter wie Überleben („overall survival“) und Lebensqualität („qualitity of life“) leitet sich aus klinischen Studien und Beobachtungen ab, die somit einen steten Wandel in der klinischen Anwendung verursachen. Insbesondere für Kostenträger ist hochrangige Evidenz häufig die maßgebende Entscheidungsgrundlage über Erstattung von PET-Bildgebung. Zusätzlich spiegeln sich in den heterogenen Behandlungen und immer zielgerichteteren Therapieschemata für verschiedene Malignome auch Herausforderungen an die Evidenz der Bildgebung wider.

Durch moderne Bestrahlungstherapie können hohe Raten an lokaler Tumorkontrolle erreicht werden. Bei fortgeschrittenen HNO-Tumoren steht daher eine zweite sehr erfolgversprechende Methode zur lokalen Therapie zur Verfügung, die bei Patienten, bei denen eine primäre OP nicht möglich ist, typischerweise zur Anwendung kommt. In einer prospektiven, randomisierten Studie wurde gezeigt, dass bei Patienten, bei denen es in der FDG-PET/CT nach primärer Radiochemotherapie keinen Hinweis auf Resttumorgewebe gibt, eine weitere operative Behandlung nicht erforderlich ist. Diese höchstrangige Evidenz ist ein Meilenstein, der auch in Deutschland die FDG-PET/CT Erstattung bei HNO-Tumoren ermöglicht. Über das FDG-PET/CT hinaus gibt es eine Reihe vielversprechender Tracer, die eine klinische Weiterentwicklung z. B. bei der Bestrahlungsplanung erreichen könnten. Hier können lange bekannte Tracer zur Hypoxie-Bildgebung oder die Bildgebung von Tumor-assoziierten Fibroblasten (FAPI-PET) einen vielversprechenden Beitrag leisten. Darüber hinaus stehen einige schon langjährig etablierte nuklearmedizinische Untersuchungen wie die Speicheldrüsenszintigrafie und die Sentinel-Lymphknoten Darstellung in der Routine zur Verfügung. Ärzte für Nuklearmedizin sind daher zunehmend Partner des interdisziplinären Behandlungsteams bei HNO Tumoren.

Für diesen Sonderband konnten Experten auf dem Gebiet der Hybrid-Bildgebung gewonnen werden, die einen aktuellen Überblick über die neuesten Entwicklungen geben, aber auch lang etablierte Verfahren rekapitulieren mit denen der Nuklearmediziner Teil der Behandlungsgruppe bei HNO-Tumoren ist. Neben der Schnittbildgebung z. B. zur Bestimmung der TNM-Tumorformel spielt auch die Sonografie eine zentrale Rolle als gut verfügbare Modalität zur zervikalen Lympknotenbeurteilung. Bei der Wahl der Bildgebung und der Befunderhebung sind z. B. auch Kenntnisse über Neuerungen in der TNM-Klassifikation erforderlich, z. B. Unterscheidungen zwischen cTNM und pTNM. Darüber hinaus ist die PET-Bildgebung insbesondere für die Bestrahlungsplanung eine zentrale Methode. Hier sind nicht nur die häufig zur Verfügung stehende FDG-PET/CT eine Grundlage, um moderne Konzepte wie Dose-painting umsetzen zu können, sondern auch biologische Informationen, die mit anderen Tracern wie Hypoxietracern erhoben werden können, vielversprechend. Als genereller Vorteil der PET/CT gegenüber anderen Bildgebungsmethoden wird die Möglichkeit der bildbasierten Quantifizierung von biologischen Parametern gesehen. Aus dem nuklearmedizinischen Alltag sind die einzigartigen Möglichkeiten, die die Hybridbildgebung bietet, nicht mehr wegzudenken. Hierbei stellt die PET/MRT im HNO-Bereich eine relevante aktuelle Weiterentwicklung dar. Aber auch die konventionelle Nuklearmedizin mit 99mTechnetium hat mit in der Sentinel-Lymphknoten-Darstellung und der Speicheldrüsenfunktionsszintigrafie einen wichtigen Stellenwert. Neben sich stetig wandelnder wissenschaftliche Evidenz sind Kenntnisse über erforderliche Qualitätssicherung ein wichtiger Teil der nuklearmedizinischen Expertise. Aufbauend auf dem aktuellen Stand sind in Zukunft weitere Innovationen und Anwendungen im Bereich der nuklearmedizinischen Diagnostik bei HNO-Malignomen zu erwarten. Dies betrifft sicher neben Etablierung von innovativen neuen Tracern auch Indikationen zur Therapieplanung und Therapiemonitoring mit FDG-PET.

Matthias Miederer



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Article published online:
28 May 2020

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