Zeitschrift für Palliativmedizin 2020; 21(02): 47-48
DOI: 10.1055/a-1078-9585
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Emerging fields – neue Themenfelder in der Forschung und Palliativversorgung

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Publication Date:
28 February 2020 (online)

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Roman Rolke

Liebe Leserin, lieber Leser der Zeitschrift für Palliativmedizin,

ich möchte mich Ihnen als neuer Mitherausgeber der Zeitschrift vorstellen, verantwortlich für die Rubrik Originalarbeiten. Seit 2014 bin ich Lehrstuhlinhaber und Direktor der Klinik für Palliativmedizin am Uniklinikum der RWTH Aachen. Es ist mir ein wichtiges Anliegen, das Fach vor allem in der vernetzten deutschlandweiten und internationalen Zusammenarbeit weiterzuentwickeln.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigt in ihrem Fact Sheet Palliative Care, welche Krankheitsbilder weltweit einen Bedarf an palliativer Versorgung haben. Im Unterschied zur Verteilung der Krankheitsbilder auf einer typischen deutschen Palliativstation, wo zumeist Patienten mit einer Krebsdiagnose behandelt werden, sieht die WHO den größten Bedarf bei kardiovaskulären Erkrankungen.

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Abb. 1 Modifiziert nach WHO Fact Sheet Palliative Care (https://www.who.int/ncds/management/palliative-care/Infographic_palliative_care_EN_final.pdf?ua = 1; zugegriffen am 17.02.2020)

Die WHO weist in ihrer Übersicht darauf hin, dass unser Fach sich auf neue Themenfelder („emerging fields“) einstellen muss. Neben den Herz-/Kreislauf-Erkrankungen sehe ich vor allem neurologische Erkrankungen als wichtig an. Als Aufgabe ergibt sich das Anliegen für Palliativteams und Verantwortliche in Hospizen sowie Diensten der ambulanten Palliativversorgung mehr Kompetenz zu diesen Krankheitsbildern und deren Versorgung aufzubauen. Auch sollten sich die Einrichtungen mehr für eine Versorgung bei diesen Diagnosen öffnen. Von Kostenträgerseite besteht aus meiner Sicht eine neue Verantwortung für zunehmend selbstverständliche Zusagen einer Kostenübernahme auch bei anderen Diagnosen als Krebs.

Welche Themen bewegen sonst die deutsche und internationale Palliativszene? Internationale Übersichten befassen sich mit Gerechtigkeitsthemen einer globalen Welt. Hier zwei Beispiele: in einer viel beachteten Studie der LANCET Commission zeigen die Autoren eine ungleiche Verteilung im Zugang zu Palliative Care am Beispiel des Opioidgebrauchs im Verhältnis zum geschätzten Bedarf je Region. Vor allem in den USA gefolgt von Kanada und Australien besteht ein erheblicher Übergebrauch, teilweise um mehr als das 30-Fache. Bestimmte Regionen der Welt wie Afrika, Indien, Lateinamerika, Asien, China und Russland sind stark unterversorgt. Wir haben also weltweit zwei Opioidkrisen zur gleichen Zeit. Hieraus leitet sich der gesundheitspolitische Anspruch ab, den Zugang zu Opioiden in bestimmten Regionen zu verbessern und in anderen zu reglementieren. Andere Studien zum Projekt „Opioid Price Watch“ unter Schirmherrschaft der IAHPC (International Association for Hospice and Palliative Care) zeigen, dass der Zugang zu schnell wirksamen Opioiden in Ländern mit unterem mittlerem Einkommen und niedrigem Einkommen erschwert ist. Zahlen aus 43 Ländern zeigen, dass der Durchschnittspreis für eine Monatsbehandlung mit schnellwirksamen Morphin-Tabletten zwischen 3,3 und 376 US$ lag, was in einzelnen Ländern das durchschnittliche Monatseinkommen übertraf und einen sicheren Zugang zu einer Schmerzbehandlung unmöglich macht. Andere Internationale Forschung nimmt wiederholt „advance care planning“ und die Entwicklung von Versorgungsstrukturen auf, ein Thema, das uns gerade auch in Deutschland sehr beschäftigt. In der wertvollen Originalarbeit von Anneser, Brown und Thurn lesen Sie in der aktuellen Ausgabe unserer Zeitschrift über eine erste Bilanz palliativmedizinischer Dienste in Bayern nach Einführung des neuen OPS 8-98h („spezialisierte palliativmedizinische Komplexbehandlung durch einen Palliativdienst“). Die Bilanz fällt nüchtern aus! Dies liegt wesentlich an einer systematischen Unterfinanzierung dieses Dienstes für die Mitversorgung Schwerstkranker und Sterbender. Ich empfehle Ihnen auch den aktuellen CME-Beitrag dieser Ausgabe zum Thema „Therapiezielfindung und Kriterien der Entscheidungsfindung“. Der Beitrag von Alt-Epping et al. lehnt sich an die erweiterte S3-Leitlinie „Palliativmedizin für Erwachsene mit nicht mehr heilbarer Krebserkrankung“ an und fasst wichtige konsensbasierte Empfehlungen zusammen. Wichtige Empfehlungen betreffen einen kultursensiblen Umgang oder die Einbindung klinischer Ethikberatung. Auch international wurde Forschung aus Deutschland zum Umgang mit multiresistenten Keimen viel beachtet. Ich wünsche uns hier trotz gebotener Vorsicht einen möglichst barrierefreien Umgang mit den betroffenen Patienten, um einer Stigmatisierung und Isolierung am Lebensende entgegenzuwirken. Ein weiteres großes Forschungsthema ist die Einordnung der Bedeutung medizinischer Cannabinoide in der Palliativsituation. Hier werden Studien benötigt, die mehr auf Lebensqualität als auf die Linderung einzelner Symptome wie Schmerzen schauen. Auch das Thema „Mensch und Technik“ ist ein „hot topic“. Ich erwarte mehr Chancen als Risiken bei der Frage, wie neue Technologien rund um das Konzept „künstliche Intelligenz“ unsere multiprofessionelle Palliativarbeit unterstützen können.

In eigener Sache: ich bin besonders Maximiliane Jansky und Gabriella Marx als Organisatorinnen der Rubrik „Methodik in der Forschung“ unserer Zeitschrift für Palliativmedizin dankbar. Die dort eingestellten Methodenbeiträge sollen Inspiration für alle Forschenden sein und hoffentlich auch als Impulse zu vielen zukünftigen Beiträgen für unsere Zeitschrift beitragen. Bitte unterstützen Sie alle uns auf diesem Weg und zitieren bei eigenen Publikationen die Arbeiten der Zeitschrift für Palliativmedizin!

Mein Dank für sein langjähriges Engagement als vorheriger Herausgeber gilt an dieser Stelle auch dem neuen Präsidenten der Europäischen Palliativgesellschaft, Prof. Christoph Ostgathe, dem ich in seiner Aufgabe als Herausgeber der Zeitschrift für Palliativmedizin nachfolge.

Viel Freude und vor allem spannende neue Einsichten beim Lesen der aktuellen Ausgabe wünscht Ihnen Ihr

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Roman Rolke