B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2020; 36(02): 49
DOI: 10.1055/a-1120-5929
Editorial

„Mens sana in corpore sano“

Liebe Leserinnen und Leser,

dass ein gesunder Geist (kognitiv und emotional) einen gesunden Körper benötigt, wussten bereits die antiken Römer. Für uns heute lebenden Menschen erweist sich dies jedoch zunehmend als Problem. Die Genetik des Menschen hat sich im Laufe seiner Evolution nur marginal verändert. Im Gegensatz dazu haben sich unsere Lebensbedingungen und unsere Umwelt, auch bedingt durch unser (mitunter rücksichtsloses) Handeln, rasant und drastisch angepasst. Wir wissen heute, dass eine Vielzahl chronischer orthopädischer, internistischer und neurologischer Erkrankungen darauf beruhen, dass unser Lebensstil, v. a. mit Blick auf das Bewegungsverhalten und die Ernährung, nicht mit unserem biologischen Bauplan kompatibel ist. Der beschriebene „Missmatch“ aus den genetischen Voraussetzungen und dem heutigen Lebensstil wirkt sich auch negativ auf unser zentrales Nervensystem aus.

Unser Organismus zeichnet sich, im Vergleich zu anderen Säugetieren, durch zwei Besonderheiten aus. Zum einen sind wir, bezogen auf unsere physischen Eigenschaften, vielmehr „Allrounder“ als Spezialisten. Wir können weder besonders schnell laufen und hoch springen noch besonders gut sehen, hören oder riechen. Zum anderen verfügt unser zentrales Nervensystem über eine vergleichsweise hohe kognitive und emotionale Leistungsfähigkeit. Besonders in unserer heutigen Dienstleistungsgesellschaft stellen die kognitive und die emotionale Leistung zentrale Leistungsdeterminanten dar. Der Erhalt oder eine Verbesserung der kognitiven und emotionalen Leistung / Gesundheit haben einen bislang unerreichten gesamtgesellschaftlichen Stellenwert erlangt. Dieser beruht nicht nur auf den hohen kognitiven Anforderungen im Alltag von Schülern, Menschen in Ausbildung und im Berufsleben, sondern auch auf der Tatsache, dass mit steigendem Lebensalter unser gesamter Organismus degeneriert. Davon betroffen ist auch unser zentrales Nervensystem und somit unsere kognitive Leistungsfähigkeit.

Die Forschung der Dekaden zeigt, dass körperliche Aktivität als eine zentrale Komponente des Lebensstils sich positiv auf die Entwicklung, die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit unseres Nervensystems auswirkt. Dieses Wissen führte u. a. dazu, dass Bewegung und Sport in nahezu allen Lebensbereichen von der Schule über das betriebliche Gesundheitsmanagement, in Präventionskursen und Rehabilitationsangeboten, bis hin zum bewegungstherapeutischen Angebot in der stationären Geriatrie an Relevanz gewonnen haben. Von einem umfassenderen Verständnis dieser Relevanz sind wir noch weit entfernt.

Qualitativ hochwertige sportwissenschaftliche Human-Studien sind immer noch rar und dennoch unabdingbar, um die Evidenz kfür onkrete Bewegungsempfehlungen zum Aufbau, zum Erhalt und zum Wiedererlangen der kognitiven und emotionalen Leistungsfähigkeit zu verbessern.

Diese B&G soll selektive Aspekte der sportwissenschaftlichen Kognitionsforschung vorstellen. Neben einer generellen Einführung in die Thematik soll den Lesern zunächst Schwierigkeiten und Fallstricke für Praxis und Forschung sowie potenzielle Lösungsansätze dargestellt werden. Im Anschluss soll auf klinische Populationen (MS und Parkinson) fokussiert werden. Letztlich sei darauf hingewiesen, dass die Kognition ein Konstrukt ist, das durch viele Faktoren beeinflusst werden kann und dass Bewegung und Sport dieses Konstrukt mehrdimensional modifizieren. Diese Feststellung impliziert, dass erfolgreiche sportwissenschaftliche Forschung von vornherein interdisziplinäre Ansätze verfolgen sollte. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, freuen wir uns auch, zwei Originalarbeiten präsentieren zu können, die Ausschnitte aus dem breiten Spektrum sportwissenschaftlicher Kognitionsforschung abbilden.

Ich bedanke mich ganz herzlich bei allen Autoren und wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen!

Ihr

Philipp Zimmer



Publication History

Article published online:
14 April 2020

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