Diabetes aktuell 2020; 18(05): 177
DOI: 10.1055/a-1173-5398
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Diabetes virtuell

Antje Bergmann
1   Dresden
,
Peter E.H. Schwarz
2   Dresden
› Author Affiliations
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Publication Date:
20 August 2020 (online)

Die Herbsttagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) findet nun nicht als Prässenzveranstaltung, sondern digital und virtuell statt. Die Frühjahrstagung wurde komplett abgesagt, die Ausbildungskurse „Klinische Diabetologie“ wurden und werden dieses Jahr fast alle digital und virtuell umgesetzt – ist dies die Zukunft?

Es ist für uns zunächst eine Umstellung und sehr schnell fallen uns auch Nachteile solcher Formate auf. Es ist weniger interaktiv, es geht der persönliche Kontakt zu den Vortragenden oder zu den Zuhörern verloren, man kann weniger intuitiv auf die Bedürfnisse der Zuhörer und Studenten eingehen.

Andererseits können wir aber auch viel schneller auf eine große Anzahl von Kollegen zugehen, ohne dass es logistische Herausforderungen, An- und Abreisen bedarf. Wir können interaktive Formate nutzen, um Seminare durchzuführen, Abstimmungen zu etablieren und uns in einer sehr viel ungezwungeneren Atmosphäre auf wissenschaftliche und medizinische Inhalte – vielleicht sogar viel stärker – konzentrieren. Das ist ein Umdenken, von dem wir sicherlich alle profitieren können und das uns in den nächsten Jahren wahrscheinlich immer stärker begleiten wird.

Wie sieht es aber mit unseren Patienten aus? Auch hier hat die Pandemie fast einen Dammbruch ausgelöst. Festgeglaubte Pfründe aus der Vergangenheit, dass Online-Sprechstunden nur mit vielen Barrieren ermöglicht werden können oder telefonische Krankschreibungen nicht möglich sind, wurden schnell revidiert. Vorreiter, die digitale Schulungsformate auf Eigeninitiative in der Corona-Zeit etablierten, wurden allerdings leider von Berufsverbänden und Diabetologiekritikern sehr schnell „zurückgepfiffen“. Ich glaube, diese Verhinderungsbestrebungen haben kurze Beine.

Stellen wir uns vor, wir hätten in der Pandemie-Zeit die Möglichkeit gehabt, unsere Patienten intuitiv digital zu Hause zu betreuen. Digitale Helfer, die das Selbstmanagement der Patienten begleiten und an den richtigen bedürfnisorientierten Stellen unterstützen, wären fantastisch gewesen und hätten unsere Patienten in der Pandemie-Situation nicht allein gelassen. Stellen wir uns vor, wir hätten digitale Schulungsmöglichkeiten gehabt, die sich an den Bedürfnissen der Patienten orientieren und sie über viele Wochen und Monate begleiten. Auch das hätte für sehr viele unserer Patienten hilfreich sein können und vor allem auch Versorgungslücken schließen können. Stellen wir uns vor, wir hätten digitale Tools gehabt, die unseren Patienten sehr schnell dabei helfen, Falschinformationen und Fake-News zu erkennen und sie in ihrem Selbstmanagement unterstützen. Wir hätten sehr vielen Patienten Unsicherheiten nehmen können.

Eine digital virtuelle Diabetologie kann für viele Patienten einen Segen darstellen und sie an dem Punkt erreichen, wo ihr Lebensmittelpunkt liegt und sie dabei unterstützen, ein gutes Selbstmanagement umzusetzen. Es wird keine Lösung für jeden sein, aber es wird helfen, Versorgungslücken zu schließen und die Mehrheit unserer Patienten besser zu betreuen.

Ist somit die digital virtuelle, smarte Diabetologie die Zukunft für ein befriedigenderes Arbeiten als Diabetologe? Ich bin fest überzeugt davon. Wenn wir es schaffen, die Schwerpunkte selbst zu setzen, wenn wir die Bedürfnisse der Patienten in den Mittelpunkt stellen und uns an Evidenz und medizinischem Fachwissen orientieren.

So wie wir als Kollegen lernen müssen, mit neuen digitalen Formen umzugehen und einen neuen Level an medizinischer Fortbildung mit den Stärken der Digitalisierung erleben können, sollten wir auch offen dafür sein, mit unseren Patienten digital zu arbeiten, um mit den Stärken der Digitalisierung unsere diabetologische Betreuung zu verbessern.