Z Orthop Unfall 2022; 160(02): 143-145
DOI: 10.1055/a-1287-0186
Junges Forum

Ärzteschaft als Nachhaltigkeitsvorbild!

Orthopädie und Unfallchirurgie – Fachbereich mit größtem Nachhaltigkeitspotenzial?
Yasmin Youssef
1   Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Plastische Chirurgie, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Germany (Ringgold ID: RIN39066)
,
Lea Köster
2   Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Universitätsklinikum Bonn, Bonn, Germany
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Abb. 1 Logo YOUngsters. Quelle: Copyright DGOU/BVOU

Blickt unsereins auf das vergangene Jahr 2021 zurück, so bleibt dieses sicher insbesondere aufgrund zahlreicher Umweltkatastrophen und menschlichem Leid, ausgelöst durch Naturereignisse, welche ursächlich klar auf Klimaschädigung durch menschliches Verhalten zurückzuführen sind, als besonders prägend im Gedächtnis. Doch ist das Jahr 2021 nicht nur aufgrund seiner Erschütterungen besonders erinnerlich, sondern auch insbesondere positiv bahnbrechend in Bezug auf die gesamtgesellschaftliche Entscheidung, für die man sich in diesem Jahr aussprach. Im Frühling 2021 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass das durch die Bundesregierung 2019 beschlossene Klimaschutzgesetz in Teilen verfassungswidrig sei und verpflichtete diese zu einer Nachbesserung [1]. Es beinhaltete keine klimaschützenden Regelungen für nach 2030, was gegen die Grundrechte jedes Einzelnen und insbesondere die der jungen Generation verstoße [2]. So blicken wir zurück auf ein Jahr, in dem entschieden wurde, dass die Unversehrtheit jedes Einzelnen durch Klimafolgeschäden Grundrecht jedes Einzelnen ist. Ein Jahr, in welchem deutlich ausgesprochen wurde, dass Entscheidungsträger gesetzlich dazu verpflichtet sind, Verantwortung für nachkommende Generationen in der Vermeidung von Klimaschäden zu übernehmen. Ein Jahr, in dem man sich dazu entschlossen hat, konkrete Maßnahmen zu ergreifen und Verantwortung zu übernehmen.

Ärztlich zu handeln beinhaltet das Ethos der Fürsorglichkeit und des Schutzes Vulnerabler – umso notwendiger und zeitlich drängender erscheint es, diese gesamtgesellschaftliche Entscheidung mit allen Kräften auch im Medizinsektor umzusetzen, doch welche Maßnahmen erfordert dies konkret? Ein deutliches Zeichen, dass dieses Bewusstsein über die Notwendigkeit, Auslösefaktoren zu identifizieren, Maßnahmen neu zu erdenken und das ärztliche Handeln im Sinne von Ressourcenschonung und Umweltschutz neu zu definieren, bereits in der Mitte der Ärzteschaft angekommen ist, zeigte auch der 125. Deutsche Ärztetag 2021, welcher ganz unter dem Motto der Nachhaltigkeit und Klimaschutzmaßnahmen im Gesundheitswesen stand. Es wurde die Forderung festgesetzt, die Ärzteschaft solle alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um bis 2030 ein klimaneutrales Gesundheitswesen zu gestalten [3]. Der Klimawandel wird sich im 21. Jahrhundert in allen Bereichen, so auch im Gesundheitswesen, stark bemerkbar machen [4] [5]. Es erscheint daher für angehende und bereits praktizierende Ärzte besorgniserregend, dass viele der aktuell in der Medizin tätigen Menschen die Augen konsequent und fast schon systematisch vor den aktuellen ökologischen Entwicklungen verschließen und am Status quo von Abläufen und Ressourcennutzung festhalten.

Besonders die chirurgischen Disziplinen sind hierbei in die Verantwortung zu nehmen. Operationssäle sind ressourcenintensiv und 3–6-fach so energieintensiv wie Krankenhäuser als Ganzes [6]. Eine Studie, die Krankenhäuser in den USA, Kanada und Großbritannien untersuchte, schätzt den CO2-Fußabdruck von Operationssälen auf ca. 9,7 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr [6]. Demnach gestaltet sich der CO2-Abdruck einzelner Operationen (alle Fachrichtungen einbeziehend) sehr variabel (zwischen 6 und 814 kg CO2-Äquivalente) [7]. Amerikanischen Untersuchungen nach machen Krankenhäuser bis zu 10% der Treibhausgasemissionen aus [8]. Dies wird durch Anästhesiegase, den Nutzen von Elektrizität und vor allem die Nutzung von Ressourcen und deren Entsorgung erklärt [5] [6] [7] [8]. Dabei macht die Materialnutzung während Operationen circa 65% der Treibhausgasemissionen aus [9].

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Abb. 2 Eine spielerisch-provokative „was wäre wenn Dystopie“ fehlender Nachhaltigkeit im Medizinwesen. Auch wenn man mit Sicherheit die Mehrheit dieses Abfalls niemals im OP finden wird, soll sichtbar gemacht werden: auch Abfall außerhalb des OPs schädigt den Patienten. Quelle: Max Gede

Dass dieses Bewusstsein und die aktive Handlungsabsicht auch längst im Fachbereich der Orthopädie und Unfallchirurgie angekommen ist und die Reflexion über vorhandene Herausforderungen und Möglichkeiten bereits vielseitig erfolgt, zeigte insbesondere der Deutsche Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU) 2021. So referierte Kongresspräsident Professor Dr. Dieter C. Wirtz: „Ökologisch gesehen ist das Gesundheitswesen paradox. Wir helfen im Krankenhaus Menschen, tragen aber auch zur Gesundheitsschädigung durch Umweltverschmutzung bei“ und spielte in seinem Vortrag insbesondere auf das extreme Müllaufkommen in Krankenhäusern und die sich hieraus ergebenden CO2-Emissionen an [10]. Jeder, der schon einmal in einem Operationssaal war, kennt das Bild am Ende einer Operation, welches geprägt ist von Verpackungsmüllbergen und halb aufgebrauchten Materialien zur Einmalverwendung. So wurde in den vergangenen Jahren die Nutzung einer steigenden Anzahl von Produkten in den Operationsablauf integriert, welche lediglich zum einmaligen Gebrauch geeignet sind. Klassische Beispiele sind hierbei Einmalskalpelle, Einmalkittel, Einmalabdecktücher und Einmalschlauchsysteme. Insbesondere die Perfektionierung hygienischer Maßnahmen bildet in der Orthopädie und Unfallchirurgie die Inkarnation moderner Entwicklungen und Maßnahmen ab. Unter Schutzatmosphäre verpackte Einmalprodukte sind unter hygienischen Gesichtspunkten und der Leichtigkeit der Anwendung ein fragwürdiger Segen des medizinischen Alltags. Passierte dies stets unter der Handlungsabsicht, das Outcome der Patienten aus dem medizinischen Eingriff zu verbessern, Infektionsgeschehen einzudämmen und zur maximalen Verbesserung der Behandlung beizutragen, so ist durchaus nachvollziehbar, warum eine Abkehr von dieser Modernität der Hygiene in Form von Einmalprodukten aus allein ökologischen Gründen zunächst einmal nach einem Paradoxon klingt und eine Trägheit der Handelnden darin, nachhaltiger zu werden, erzeugt. Vollendet man den Kreislauf des ärztlichen Wirkens gedanklich in dem Sinne, so kehrt man stets zu der Tatsache zurück, dass dieses Handeln doch auch – so sehr es zum Schutze des Patienten gedacht ist – diesen trotzdem schädigt. Neben der energieaufwendigen Aufbereitung des Materials hat die Produktion von insbesondere Plastikmüll eine erhebliche Auswirkung auf Ökosysteme und schlussendlich auch auf die Gesundheit des Menschen: seien es ins Grundwasser gelangende Mikroplastikanteile oder bei der Müllverbrennung freiwerdendes CO2.

Jedoch gilt es, dieses Paradoxon aus Hygiene und Ressourcenschonung, Recycling und Patientenschutz nicht nur zu beklagen, sondern es ist definitiv festzustellen, dass bereits vielfältige Ansätze zur Bekämpfung dieser Problematik existieren. Bereits kleine Änderungen in alltäglichen Handlungsabläufen, wie beispielsweise eine konsequentere Mülltrennung, kann hierbei bereits große Unterschiede im Sinne einer Vereinfachung des Recyclings bewirken; die Verwendung nachhaltig erzeugter Materialien sollte obligater Teil der Entwicklung von Gerätschaften und Instrumente werden. Der Fachbereich O&U birgt nicht nur große Herausforderungen in Bezug auf Nachhaltigkeit, sondern es muss sich bewusst gemacht werden, dass sich insbesondere durch routinierte Abläufe und gute Personalschulungen in zu einem gewissen Maß vorhersehbaren Abläufen auch ein großes Fenster aus strukturellen Vorteilen ergibt, welches das „Nachhaltigerwerden“ im Vergleich zu anderen Berufszweigen definitiv erleichtert. Auch die intensive Verwendung von Materialien bietet nicht nur Herausforderungen, sondern gilt als einfach zu definierender Angriffspunkt nachhaltiger Maßnahmen und impliziert die Einfachheit und Praktikabilität von Lösungsansätzen in der O&U. Diese Vorteile müssen erkannt und genutzt werden, Schwachstellen konstruktiv behoben werden. Denn Modernität bedeutet heutzutage ökologisch zu handeln. Wer als Arzt oder Ärztin an die Zukunft seiner Patienten denkt, der sollte auch nachhaltig denken. Insbesondere Orthopädie und Unfallchirurgie sind Fachrichtungen, die nicht nur lediglich an eine Schadensbegrenzung denken, sondern in ihrer Philosophie versuchen, so nachhaltig wie möglich zu sein.



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Article published online:
30 March 2022

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