retten! 2021; 10(05): 372-376
DOI: 10.1055/a-1306-4450
Mein Einsatz

Fahrstuhl zum Hof

Daniela Erhard

Diesen Einsatz wird das Team wohl so schnell nicht vergessen. Denn bei der kuriosen Geschichte passte alles: das Team, die Kommunikation, die Patientin. Nur die Meldung der Leitstelle nicht ganz …

Kommentar

von Rico Kuhnke, Gesamtschulleiter und Prokurist an der DRK-Landesschule Baden-Württemberg gGmbH und Mitherausgeber von retten!

Der Einsatz zeigt sehr eindrücklich die besonderen Herausforderungen für das Rettungsdienstpersonal in ländlich strukturierten Regionen. Lange Fahrzeiten zur Einsatzstelle und danach in die Klinik binden Personal und Fahrzeug deutlich länger als im urbanen Umfeld.

Auf den ersten Blick ist der Einsatz ohne größere Komplikationen verlaufen, und die Patientin wurde optimal versorgt und in die Klinik verbracht. Auf den zweiten Blick gibt es aber durchaus Fragestellungen, die in einer kritischen Reflexion erörtert werden sollten.

Gleich nach dem Eintreffen am Einsatzort ist sich der Notfallsanitäter unsicher, ob eine Analgosedierung in der Kombination von Esketamin und Midazolam ein geeignetes Instrument wäre. Aus diesem Grund und wegen der erforderlichen Reposition des dislozierten Sprunggelenks entscheidet er sich, einen Notarzt hinzuzuziehen. Die Entscheidung ist richtig und macht Sinn. Da sich der Einsatzort „… janz weit draußen …“ befindet und die Straßenverhältnisse nicht optimal sind, wäre ein Rettungshubschrauber eine probate Alternative, die geprüft werden sollte. Die Eintreffzeiten eines Rettungshubschraubers sind sehr kurz und der Transport in die Klinik ist schonend.

Die Patientin klagt über stärkste Schmerzen und sie beginnt, wegen der kühlen Umgebungstemperaturen zu unterkühlen. Aufgrund der stabilen Kreislaufwerte erscheint die Patientin im Augenblick nicht vital gefährdet. Weder die Versorgungsstrategie „Load and Go“ noch „Stay and Play“ erscheinen mit diesem Befund hilfreich. Optimal wäre eine Kombination im Sinne eines „Treat and Run“, d. h. eine rasche Versorgung und danach ein Transport in den nebenanstehenden vorgewärmten Rettungswagen zur weiteren Behandlung. Diesem Konzept stehen im Fallbeispiel die stärksten Schmerzen der Patientin entgegen. Eine umgehende Analgesie mit Esketamin (0,25–0,5 mg/kg KG) und zumindest eine leichte Sedierung mit Midazolam (0,015–0,15 mg/kg KG) im unteren Dosierungsbereich durch den Notfallsanitäter könnten der Patientin Erleichterung verschaffen und ein Umlagern mit dem Spineboard ermöglichen. Warum auf diese Möglichkeit verzichtet und die Zeit für eine Inspektion des Unfallorts genutzt wird, muss zumindest diskutiert werden. Zwar bringt die Sichtung neue Erkenntnisse zum Unfallhergang und zur Sturzhöhe, doch ändert dies an der notwendigen Versorgungsstrategie nichts, und die Patientin bleibt unterdessen weiter in ihrer misslichen Lage.

Mit dem Eintreffen des Notarztes nimmt die Versorgung der Patientin wieder an Fahrt auf. Auch dieser verzichtet auf eine Analgosedierung mit Esketamin und Midazolam, obwohl diese Methode unter den erschwerten Bedingungen durchaus Vorteile hätte: Zum einen bliebe die Spontanatmung erhalten, und auf eine Intubation bei schwierigen Umgebungsbedingungen könnte verzichtet werden, zum anderen bliebe die Kreislaufdepression infolge der Gabe von Propofol aus.

Der Notarzt wählt als Narkoseform eine Intubationsnarkose. Dabei verzichtet er auf den Einsatz eines Muskelrelaxans und setzt auf eine eher ungewöhnliche Kombination der Hypnotika Propofol und Midazolam sowie auf eine auf den ersten Blick sehr hohe Dosierung des Analgetikums Sufentanil. Der Verzicht auf ein Muskelrelaxans in der Notfallmedizin wird zumindest kontrovers diskutiert. Aber gerade erfahrene Anästhesisten leiten lege artis mit dem kurz wirksamen Muskelrelaxans Succinylcholin (1–1,5 mg/kg KG) ein und setzen die Narkose, nach erfolgreicher Intubation, mit einem länger wirksamen Relaxans, z. B. Rocuronium (0,15 mg/kg KG) oder Vecuroniumbromid (0,02–0,05 mg/kg), fort.

Typisch für eine präklinische Intubationsnarkose wäre folgende Vorgehensweise: Einleitung mit einem Opiat (z. B. Sufentanil initial 0,3–2 μg/kg KG), danach ein Hypnotikum (z. B. initial Etomidat 0,15–0,3 mg/kg oder Propofol 1,5–2,5 mg/kg) und danach ein Muskelrelaxans (s. o.). Gibt man das Opiat zuerst, kann beim Hypnotikum eine geringere Dosierung gewählt werden und die kreislaufdepressive Wirkung ist nicht so ausgeprägt. Bei der standardisierten Vorgehensweise bei der Narkoseeinleitung kann das SOAP-M-Schema (S-uction, O-xygen, A-irway, P-armaceuticals, M-onitoring) helfen.

Am Ende ist es natürlich leicht, quasi vom grünen Tisch aus Empfehlungen zur Optimierung eines Einsatzes zu geben. In der Praxis sind es unendlich viele Dinge, die unsere Entscheidungen beeinflussen. Der Fehler will eigentlich immer das Richtige. Nur dann, wenn wir bereit sind, unsere Einsätze kritisch zu reflektieren, können wir uns zum Wohle unserer Patienten weiterentwickeln. Dazu benötigen wir Ihre Erfahrungen und Einsatzberichte – sprechen Sie uns einfach an.



Publication History

Article published online:
25 November 2021

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  • Literatur

  • 1 Bein B, Gräsner JT, Scholz J. Narkosemedikamente im Rettungsdienst. In: Scholz J, Sefrin P, Böttiger B. et al., Hrsg. Notfallmedizin. Stuttgart: Thieme; 2013
  • 2 Flentje M, Fiedel H, Eismann H. Narkose im Rettungsdienst – mehr als nur eine erfolgreiche Intubation. retten! 2020; 9 (03) 190-198
  • 3 Popp E, Erhard D. Narkose im Rettungsdienst – Darauf kommt es an. retten! 2016; 5 (02) 116-125