Geburtshilfe Frauenheilkd 2021; 81(03): 251-254
DOI: 10.1055/a-1313-4931
GebFra Magazin
Geschichte der Gynäkologie

„Antibaby“- versus „Wunschkind“-Pille

60 Jahre orale Kontrazeption – ein Blick auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten bei deren Einführung im geteilten Deutschland
Wolfgang Frobenius
,
Andreas D. Ebert
,
Matthias David

„Die Bundesregierung empfindet die Bezeichnung ‚Antibaby-Pille‘ als grob anstößig […].“ Mit dieser Feststellung reagierte der damalige Innenminister Hermann Höcherl (CSU) im Oktober 1964 vor dem Deutschen Bundestag auf die Anfrage eines Abgeordneten, der in dieser Etikettierung oraler hormonaler Kontrazeptiva eine Attacke gegen die im Grundgesetz geschützte Menschenwürde sah [1], [2]. Dies zeigt, wie emotionsgeladen die Debatte war, die in der BRD die Markteinführung der „Pille“ begleitete. Medizinische Aspekte spielten zunächst nur eine Nebenrolle. Es ging vor allem um ethische Fragen und das Geschlechterverhältnis in der westdeutschen Nachkriegs- und Wirtschaftswundergesellschaft, in der die vorherrschende Sexualmoral zunehmend als repressiv kritisiert und das tradierte Frauenbild der „Hausfrau und Mutter“ infrage gestellt wurde.



Publication History

Article published online:
05 March 2021

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Georg Thieme Verlag KG
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  • Literatur

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  • 2 Famulok J. Die Einführung der Antibabypille im medizinischen Diskurs der beiden deutschen Staaten, 1961 – 1970 [Masterthese, Global History]. Heidelberg: Uni Heidelberg; 2017
  • 3 Leo A, König C. Die „Wunschkindpille“. Weibliche Erfahrung und staatliche Geburtenpolitik in der DDR. Göttingen: Wallstein Verlag; 2015
  • 4 Mehlan K-H. Wunschkinder? Familienplanung, Antikonzeption und Abortbekämpfung in unserer Zeit. Rudolstadt: Greifenverlag; 1969
  • 5 Jütte R. Lust ohne Last. Geschichte der Empfängnisverhütung. München: C. H. Beck Verlag; 2003
  • 6 Malich L. Vom Mittel der Familienplanung zum differenzierenden Lifestyle-Präparat. NTM Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin 2012; 20: 1-30 doi:10.1007/s00048-012-0067-8
  • 7 Kirchhoff H, Haller J. Konzeptionsverhütung durch oral wirksame Gestagene. DMW 1959; 84: 2189-2192
  • 8 Mehlan K-H. Hrsg. Internationale Abortsituation, Abortbekämpfung, Antikonzeption. Tagungsbericht der Internationalen Arbeitstagung über Abortprobleme und Abortbekämpfung vom 5. bis 7. Mai 1960 in Rostock-Warnemünde. Leipzig: Georg Thieme Verlag; 1961
  • 9 Frobenius W. “The Rabbits are Prepared…” The Development of Ethinylestradiol and Ethinyltestosterone. J Reproduktionsmed Endokrinol 2011; 8: 32-57 (Special Issue 1 “50 Years Oral Hormonal Contraception”)
  • 10 Jenapharm. Hrsg. 50 Jahre Jenapharm. 1950 – 2000. Jena: 2000
  • 11 Onken D. Von der Schweinegalle zur Wunschkindpille. Jenapharm-Spiegel 2006; 55: 9
  • 12 Geschichte der Merck KGaA. Online (Stand: 16.01.2021): https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Merck_KGaA%23Aconcen
  • 13 Bauer G. Die Anti-Baby-Pille und die Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland in den 1960er und 1970er Jahren: Debatten, Diskurse und Emotionen. Mitteilungen zur Kirchlichen Zeitgeschichte 2018; 12: 41-66
  • 14 König C. Planwirtschaft und Eigeninitiative. Zur Einführung der „Wunschkind-Pille“ in der DDR. In: „Wenn die Chemie stimmt…“. Geschlechterbeziehungen und Geburtenkontrolle im Zeitalter der „Pille“. Gender Relations and Birth Control in the Age of the „Pill“. Göttingen: Wallstein Verlag; 2016: 286-295 (Zitat: pers. Mitteilung von Christian König)
  • 15 Durand-Wever A. Eine Pille reguliert die Fruchtbarkeit. Stern 1961; 26: 52-57
  • 16 de Nuys-Henkelmann C. „Wenn die rote Sonne abends im Meer versinkt…“. Die Sexualmoral der fünfziger Jahre. In: Bagel-Bohlan A, Saleweski M. Hrsg. Sexualmoral und Zeitgeist im 19. und 20. Jahrhundert. Opladen: Leske + Budrich Verlag; 1990: 107-143
  • 17 Kirchhoff H. Anti-Baby-Pille nur für Ehefrauen? [Interview]. Spiegel 1964; 9: 79-89
  • 18 Ulmer Denkschrift. Zur Frage der Geburtenbeschränkung. Deutsches Ärzteblatt 1965; 62: 2138-2141 [gekürzte Fassung]
  • 19 Hess V. Regulating Risks? Der Umgang mit Life-Style-Drugs zwischen potentieller Gefährdung und kalkuliertem Risiko. In: Münkler H, Bohlender M, Meurer S. Hrsg. Sicherheit und Risiko. Über den Umgang mit Gefahr im 21. Jahrhundert. Bielefeld: Transcript Verlag; 2010: 187-206
  • 20 Grau G. Sexualwissenschaft in der DDR – ein Resümee. In: Sigusch V. Geschichte der Sexualwissenschaft. Mit 210 Abbildungen und einem Beitrag von Günter Grau. Frankfurt, New York: Campus Verlag; 2008: 487-509
  • 21 Herzog D. „Sexy Sixties“? Die sexuelle Liberalisierung der Bundesrepublik zwischen Säkularisierung und Vergangenheitsbewältigung. In: von Hodenberg C, Siegfried D. Hrsg. Wo „1968“ liegt. Reform und Revolte in der Geschichte der Bundesrepublik. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Verlag; 2006: 79-112
  • 22 Frevert U. Umbruch der Geschlechterverhältnisse? Die 60er Jahre als geschlechterpolitischer Experimentierraum. In: Schildt A, Detlev S, Lammers KC. Hrsg. Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften (Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Bd. 37). Hamburg: Christians Verlag; 2000: 642-660