Gesundheitswesen 2022; 84(06): 517-525
DOI: 10.1055/a-1489-7998
Originalarbeit

Terminservicestellen für die fachärztliche Terminvermittlung – Wie wirksam sind sie wirklich?

Appointment Service Centres for Specialist Medical Appointments: How Effective are they?
Bella Sobiech-Eruhimovic
1   Medizintheorie, Universität Witten/Herdecke Fakultät für Gesundheit, Herdecke, Deutschland
,
Carsta Militzer-Horstmann
2   Wissenschaftliche Entwicklung, Wissenschaftliches Institut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung (WIG2 GmbH), Leipzig, Deutschland
,
David Martin
3   Medizintheorie, Universität Witten/Herdecke Fakultät für Gesundheit, Herdecke, Deutschland
› Author Affiliations

Zusammenfassung

Einleitung Zur Reduktion von Wartezeiten im ambulanten fachärztlichen Bereich sind seit dem 23.01.2016 Terminservicestellen (TSS) aktiv. Diese sollen Facharzttermine mit Dringlichkeitsüberweisung telefonisch innerhalb von vier Wochen an gesetzlich Versicherte vermitteln. Die Studie präsentiert erstmalig eine Analyse des Buchungsverhaltens der TSS für die fachärztliche Vermittlung (VM) in Westfalen-Lippe (WL), sowie einen Vergleich des Anteils der Facharztgruppen (FG) bei fachärztlichen Überweisungen (ÜW) an den Gesamtfacharztüberweisungen (GFA-ÜW) mit dem Anteil der jeweiligen FG an den fachärztlichen TSS-Vermittlungen (TSS-VM). Zudem stellt sie die Leistungen der Nervenärzte auf Basis von ÜW mit TSS-VM denjenigen ohne TSS-VM gegenüber.

Methode Für die Evaluation der Entwicklung der TSS-VM wurden die Buchungsdaten der TSS vom zweiten Quartal 2016 bis zum dritten Quartal 2019 ausgewertet. Aufgrund eines fehlenden Schlüssels zur Verknüpfung der TSS- und Abrechnungsdaten erfolgte die Bestimmung des Leistungsspektrums der TSS-VM mittels eines selbstentwickelten Algorithmus, indem 24.286.157 Abrechnungsdatensätze mit 12.648 fachärztlichen TSS-Datensätzen der Kassenärztlichen Vereinigung WL abgeglichen wurden.

Ergebnis Für 84% der (größtenteils zwischen 35-59-jährigen) Anrufer mit VM-Anspruch kommt es zu einer TSS-VM mit durchschnittlich 21 Tagen Wartezeit. Am häufigsten werden Termine bei den Bedarfsplanungsgruppen Nervenärzten (insbes. Neurologen), Fachinternisten und Radiologen vermittelt. 45% der TSS-VM erfolgen zu Nervenärzten, obwohl diese nur 4% der GFA-ÜW in WL ausmachen. Es gibt nur wenige Unterschiede in der Leistungsinanspruchnahme bei Nervenarztterminen mit und ohne TSS-VM. Statistisch signifikant ist die höhere Inanspruchnahme der psychotherapeutischen Erstabklärung im Rahmen der TSS-VM. Der Effekt ist jedoch klein.

Schlussfolgerungen Die TSS in WL kann ihren Auftrag zur VM von dringenden Facharztterminen gesetzlich Versicherter erfüllen, auch wenn ihre Nutzung recht gering (0,19% der GFA-ÜW) ist. Die durchschnittliche Wartezeit bei den TSS-VM liegt deutlich unter der gesetzlich vorgegebenen. Patienten beziehen jedoch auch weitere Faktoren in die Terminfindung mit ein. Auch wenn der Nutzen der TSS insbesondere für drei FG darstellbar ist, sollte weiter diskutiert werden, ob die TSS in der bisherigen Ausgestaltung sinnvoll sind. Die vorliegende Studie liefert sowohl methodisch als auch inhaltlich eine Evaluationsbasis und erste Impulse für eine Endscheidungsfindung.

Abstract

Introduction To reduce outpatient specialist waiting times and to help patients with statutory health insurance to get appointments and urgent referrals within four weeks, phone appointment service centres (ASC) were introduced in Germany in January 2016. The aim of this study was to analyse these booking patterns in the Westphalia-Lippe (WL) region, and to compare the types of regular specialist referrals with those made by the centers. Furthermore, neurology services to patients with ASC referrals were compared to those without.

Methods Appointment data from the second quarter of 2016 to the third quarter of 2019 were used, and an algorithm was developed to determine the range of services provided in appointments made by the ASCs. A total of 24,286,157 accounting slips were compared with 12,648 specialist service records from the Association of Statutory Health Insurance Physicians in the WL region.

Results The average waiting time for an appointment with a specialist was 21 days for 84% of the callers with a referral (aged mostly 35-59 years). Requests for appointments with neurologists, internists, and radiologists were the most frequent ones; 45% of service centre specialist appointments were made with neurologists, despite these comprising only 4% of total referrals in WL. There were only a few differences in the use of services in neurologist appointments with and without the mediation of the ASC. The higher level of ASC used for making neurologist appointments for initial psychotherapeutic assessment was statistically significant. However, the effect was small.

Conclusions Despite its relatively low use (0.19% of specialist referrals in general), ASCs in the WL region are able to make urgent specialist appointments for patients with statutory insurance, with average waiting times significantly lower than the legally set maximum waiting period. However, patients also take other factors into account when making appointments. While the benefits of these centres, especially for three types of specialists, was demonstrated, further discussion on the form of the ASCs in their current form is warranted. This paper provides a basis for evaluation of methodology and content for further decision-making.



Publication History

Article published online:
15 September 2021

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