ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2021; 130(07/08): 313
DOI: 10.1055/a-1527-6938
Editorial

Selbstoptimierung

Cornelia Gins

Nicht nur Corona hat die Behandlungen in den Praxen reduziert. Es gibt auch einfach weniger zu tun am Patienten. Wer wie ich schon länger „dabei“ ist, hat festgestellt, dass es die „klassischen“ Behandlungen wie Füllungen (natürlich seinerzeit mit Amalgam), kleine Brücken, Modellgüsse, gern auch nur mit Klammern, oder kombinierte Arbeiten nicht mehr gibt. Das war „früher“ unser Tagesgeschäft. Die Kinder, die Jugendlichen oder die jungen Erwachsenen haben zum großen Teil ein kariesfreies Gebiss. Das, was mit steigender Tendenz auffällt, sind allerdings Abrasionen, mit und ohne CMD, die dann gern von Kollegen aufwendig mit Table Tops rekonstruiert werden. Wer gutachterlich tätig ist, weiß, wovon ich spreche. Mit anderen Worten, noch nie hatten die meisten unserer Patienten so wenig behandlungsbedürftige Zähne wie zurzeit. Eigentlich. Denn es gibt einen neuen Trend, der in der Medizin schon länger zu beobachten ist: die Selbstoptimierung. Kürzlich war in der Regenbogenpresse zu lesen, dass während der Pandemie die Beautyoperationen zugenommen haben. Homeoffice und der Mundschutz machten es möglich, kleine OPs mehr oder weniger unauffällig erledigen zu lassen. In der Zahnheilkunde ist der Trend daran zu erkennen, dass vermehrt nach Zahnregulierungen gefragt wird. Die Industrie hat die Marktlücke sofort erkannt, und der eine oder andere Mitbewerber wirbt unter anderem in der Fernsehwerbepause mit „Schienen to go“. Es wird zwar auf im Hintergrund tätige Kieferorthopäden hingewiesen, aber es ist in meinen Augen eine fatale Entwicklung. Produkte zum Bleichen der Zähne aus dem Supermarkt, die ohne zahnärztliche Betreuung angewendet werden können, können zwar mit „Bauchschmerzen“ als medizinisch vertretbar hingenommen werden. Aber das Verschieben von Zähnen nur kontrolliert z. B. über Video, das geht gar nicht. Es stellt sich also in ethischer Hinsicht die Frage, inwieweit es zulässig sein darf, zahnärztliche Leistungen, auch wenn sie „nur“ die Ästhetik betreffen, aus der Verantwortung der Zahnärzte in den Praxen zu nehmen.



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Article published online:
06 August 2021

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