Aktuelle Kardiologie 2022; 11(01): 3-5
DOI: 10.1055/a-1665-1864
Editorial

Geschlechtersensible Medizin in der Kardiologie

Christiane Tiefenbacher
,
Stefan Perings

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

in den letzten Jahren ist die Gender-Thematik auch in der Medizin zunehmend in den Fokus gerückt. Dabei geht es nicht nur um die biologischen Unterschiede, die auf der Hand liegen: Männliche und weibliche Geschlechtshormone haben eine Vielzahl von Effekten auf physiologische und pathophysiologische Prozesse des Herz-Kreislauf-Systems. Es geht vielmehr auch um sozioökonomische Unterschiede, beispielsweise im Hinblick auf Belastung und Umgang mit Stress, aber auch im Umgang mit Gesundheit und mit Krankheit. Der Begriff „geschlechtersensibel“ beschreibt dabei Merkmale, die nur bei einem Geschlecht auftreten – im Gegensatz zu „geschlechterspezifisch“, was sich auf soziologische Unterschiede bezieht. Auf dem Gebiet der Herz-Kreislauf-Erkrankungen hat hier bereits in vielerlei Hinsicht ein Umdenken stattgefunden, sodass geschlechtersensible Aspekte bei kardiovaskulären Erkrankungen mehr berücksichtigt werden. Trotzdem besteht noch ein großer Nachholbedarf. So sollten Frauen vermehrt in Studien eingeschlossen werden, damit beispielsweise pharmakologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern erkannt und berücksichtigt werden können.

In der jüngsten Ausgabe der „Aktuellen Kardiologie“ sind 8 Beiträge renommierter Autor*innen zu geschlechtersensiblen Aspekten der großen Themen der Herz-/Kreislaufmedizin zu lesen.

1. KHK: Fr. Prof. Ott beleuchtet in dem ersten Beitrag (S.19) aktuelle Aspekte der Diagnostik und Therapie der KHK und stellt dabei Daten vor, die eine schlechtere Versorgung von Frauen beim akuten Koronarsyndrom (ACS) zeigen (S. 19 und S. 24). Der Beitrag von Hr. Prof. Sechtem et al. betrachtet in diesem Zusammenhang Angina pectoris bei Frauen und geht der Frage nach, ob die weibliche koronare Mikrovaskulatur anders als die männliche ist (S. 24)

2. Pulmonale Hypertonie (PAH): Fr. Dr. Xanthouli und die AG um Prof. Grünig legen dar, dass erhöhte Östrogenspiegel bei bestimmten Mutationsträgerinnen zur Manifestation einer PAH beitragen könnten. Sie diskutieren ein unterschiedliches Ansprechen von Frauen und Männern auf die bislang etablierten Therapiestrategien (S. 30).

3. Tako-Tsubo-Kardiomyopathie (auch Tako-Tsubo-Syndrom, TTS): Fr. Dr. Schneider erläutert in ihrem Beitrag den aktuellen Wissensstand. An einem TTS erkranken überwiegend ältere Frauen. Auch mehr als 30 Jahre nach der Erstbeschreibung des TTS sind die pathogenetischen Zusammenhänge noch unzureichend geklärt. Bislang existiert keine evidenzbasierte Therapie (S. 30).

4. Herzrhythmusstörungen treten bei Frauen teilweise häufiger auf, es besteht ein Zusammenhang mit zyklusbedingten Hormonschwankungen. Auch Schrittmacherindikationen unterscheiden sich zwischen den Geschlechtern. Frauen sind auch bei dieser Thematik in vielen Studien unterrepräsentiert. Diese Thematik behandeln Fr. Dr. Scheurlen et al. in ihrem Beitrag (S. 42).

5. Herzinsuffizienz: In den beiden Beiträgen von Fr. Prof. Angermann und Fr. Prof. Aßmus werden schließlich geschlechtersensible Aspekte der Herzinsuffizienz hinsichtlich Behandlung und Prognose (S. 47) sowie Pathophysiologie, Risikofaktoren und Bildgebung (S. 55) diskutiert.

6. Pharmakologie: Auch in der Pharmakologie gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede. Fr. Prof. Fender und Hr. Prof. Dobrev gehen in ihrem Beitrag auf diese Unterschiede bei Prozessen der Pharmakologie ein. Dies kann Wirkdauer, -stärke und -qualität beeinflussen und sollte bei der Nutzen-Risiko-Abwägung einbezogen werden (S. 62).

Unser alle Ziel sollte sein, Männer und Frauen gleich gut zu behandeln, wie es in einer früheren ESC-Leitlinie zum ACS 2007 mit dem Evidenzgrad 1b bewertet wurde. Dafür notwendige Wissenslücken sollten dringend geschlossen werden.

Den Autor*innen danken wir herzlich für ihre Mühe und die klare Darstellung der Thematik. Den Leser*innen wünschen wir viel Spaß bei der Lektüre, die sicher neue Horizonte eröffnet!

Herzlich Ihre

Christiane Tiefenbacher und Stefan Perings



Publication History

Article published online:
09 February 2022

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