Diabetes aktuell 2022; 20(03): 108-110
DOI: 10.1055/a-1772-8443
Magazin

Strategie zur strukturierten interdisziplinären Zusammenarbeit für Versorgung der Patienten mit Diabetes in Praxis und Klinik

Positionspapier
Nikolaos Perakakis
1   Department of Internal Medicine III, University Hospital Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden, Dresden
,
Alexander Paliege
1   Department of Internal Medicine III, University Hospital Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden, Dresden
,
Norbert Weiss
1   Department of Internal Medicine III, University Hospital Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden, Dresden
,
Uwe Lindner
3   Klinikum Chemnitz GmbH, Klinik für Endokrinologie und Diabetologie, Chemnitz
,
Frank Pistrosch
2   Technische Universität Dresden, Dresden
,
Peter Schwarz
1   Department of Internal Medicine III, University Hospital Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden, Dresden
,
Stefan R. Bornstein
1   Department of Internal Medicine III, University Hospital Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden, Dresden
› Author Affiliations

Aktueller Status

Diabetes mellitus ist eine der häufigsten Krankheiten weltweit [1]. In Deutschland leiden mehr als 7 Millionen Menschen an Diabetes, mit steigender Prävalenz [2]. Schätzungen zufolge werden 2040 ca. 11,5 Millionen Menschen in Deutschland betroffen sein [3]. Es konnten regionale Unterschiede in der Prävalenz des Typ-2-Diabetes mellitus (T2DM) beobachtet werden, wobei die höchste Prävalenz in den neuen Bundesländern (> 13 %) festgestellt wurde. Darüber hinaus ist die Prävalenz sowohl für bekannten und unerkannten Diabetes, als auch für das 5-Jahre-Diabetesrisiko in den unteren Bildungsschichten erhöht, was auf soziale Ungleichheiten in Deutschland hinweist [4]. Diabetes ist mit einem deutlich erhöhten Risiko für schwerwiegende Folge- und Begleiterkrankungen assoziiert und reduziert sowohl die Lebenserwartung als auch die Lebensqualität. Die häufigsten auftretenden Begleiterkrankungen sind Hypertonie, Dyslipidämie, Niereninsuffizienz (häufigste Ursache einer Dialyse), Polyneuropathie und kardiovaskuläre Erkrankungen [5], [6]. Menschen mit Diabetes haben ein bis zu 2,6-fach erhöhtes Risiko für einen frühzeitigen Tod und eine ca. 6 Jahre geringere Lebenserwartung im Vergleich zu Menschen ohne Diabetes. Erfreulicherweise sinken die Mortalitätsraten seit mehr als 20 Jahren stetig [7]. Die zunehmende Lebenserwartung könnte jedoch zur Vermehrung der diabetesassoziierten gesundheitlichen Einschränkungen führen. Daher ist eine kontinuierliche, gut koordinierte, evidenzbasierte medizinische Versorgung von großer Bedeutung.

In der Diabetesversorgung sind ca. 4300 Diabetologen, 5000 Diabetesberater, 9000 Diabetesassistenten, 3500 Wundassistenten und ca. 300 stationäre Einrichtungen involviert. Zusätzlich betreut ein Hausarzt durchschnittlich ca. 100 Patienten mit Diabetes [8]. Trotz der sehr hohen und weiter steigenden Prävalenz werden sowohl die Behandlungskapazitäten, besonderes im stationären Setting, als auch klinische Lehrstühle in der Diabetologie und Endokrinologie abgebaut. Derzeit ist das Fach nur an 8 von 38 medizinischen Fakultäten in Deutschland repräsentiert. Diese Entwicklung hat erhebliche Konsequenz sowohl in der Ausbildung von Medizinstudenten als auch in der Weiterbildung von Fachärzten in der Diabetologie/Endokrinologie. Darüber hinaus besteht ein großer Mangel an spezialisiertem Pflegepersonal im Diabetesbereich. Der wichtigste Grund für dieses Paradox ist die inadäquate Vergütung nach DRG der Diabetesbehandlung. Diese Entwicklung hat erhebliche Konsequenzen sowohl in der Behandlung der Patienten als auch im Nachwuchs von qualifiziertem Fachpersonal. Im Rahmen der Diabetes-Surveillance in der vom Robert-Koch Institut (RKI) durchgeführten Studie „Krankheitswissen und Informationsbedarf – Diabetes mellitus“, wurde die Versorgungsqualität von Diabetespatienten in Deutschland nach deren eigener Einschätzung untersucht. Die Befragten gaben dabei eine mittelmäßige Qualität ihrer Versorgung an, wobei die Qualität mit zunehmendem Alter und höherer Bevölkerungszahl weiter abnahm [9]. Ein weiteres Problem sind die, durch Diabetes verursachten, hohen sozialen und ökonomischen Kosten. Die direkten Exzess-Kosten einer Person mit Diabetes sind doppelt so hoch wie die einer Person ohne Diabetes [10]. Der Großteil dieser Kosten steht mit den Folgeerkrankungen des Diabetes in Verbindung, was zum einen die Prävention von Diabetes, zum anderen den rechtzeitigen Beginn einer adäquaten Versorgung umso relevanter macht.



Publication History

Article published online:
17 May 2022

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  • Literatur

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  • 7 https://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/fileadmin/user_upload/06_Gesundheitspolitik/03_Veroeffentlichungen/05_Gesundheitsbericht/20201107_Gesundheitsbericht2021.pdf (letzter Zugriff 28.04.2022)
  • 8 https://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/ddg-factsheet (letzter Zugriff 28.04.2022)
  • 9 Baumert J, Paprott R, Du Y. et al Selbsteingeschätzte Versorgungsqualität bei Erwachsenen mit diagnostiziertem Diabetes in Deutschland. J Health Monit 2021; 06: 2
  • 10 Koster I, Huppertz E, Hauner H, Schubert I. Direct costs of diabetes mellitus in Germany – CoDiM 2000–2007. Exp Clin Endocrinol Diabetes 2011; 119: 377-385
  • 11 Stark Casagrande S, Fradkin JE, Saydah SH. et al The prevalence of meeting A1C, blood pressure, and LDL goals among people with diabetes, 1988–2010. Diabetes Care 2013; 36: 2271-2279
  • 12 Mosenzon O, Alguwaihes A, Leon JLA. et al CAPTURE: a multinational, cross-sectional study of cardiovascular disease prevalence in adults with type 2 diabetes across 13 countries. Cardiovasc Diabetol 2021; 20: 154
  • 13 Sheng B, Truong K, Spitler H. et al The Long-Term Effects of Bariatric Surgery on Type 2 Diabetes Remission, Microvascular and Macrovascular Complications, and Mortality: a Systematic Review and Meta-Analysis. Obes Surg 2017; 27: 2724-2732