Z Sex Forsch 2023; 36(01): 46-47
DOI: 10.1055/a-2013-9550
Bericht

SAMBA: Sexualassistenz und männlicher Blick – Aspekte von Sexarbeit

Harriet Langanke
GSSG – Gemeinnützige Stiftung Sexualität und Gesundheit, Köln
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Mitte Oktober 2022 fand die Fachtagung SAMBA statt: S und A standen für Sexual-Assistenz, d. h. sexuelle Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen oder Einschränkungen, wie z. B. das Leben in einem Alten- oder Pflegeheim. M und B bezogen sich auf den männlichen Blick auf Sexarbeit. Das letzte A stand für Aspekte von Sexarbeit. Drei Organisationen hatten sich für die Veranstaltung zusammengeschlossen: Der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD), die Gemeinnützige Stiftung Sexualität und Gesundheit (GSSG) sowie der pro familia Landesverband Rheinland-Pfalz (pro familia RLP).

Die Veranstalter*innen hatten sich bewusst für die Landeshauptstadt Mainz als Tagungsort entschieden. „Rheinland-Pfalz hat als erstes Bundesland Rechtssicherheit für Sexualassistenz geschaffen“, begründete Nicole Schulze, Vorstandsmitglied des BesD, die Entscheidung. Denn mit dem Teilhabegesetz sei seit 2010 geregelt, dass Menschen auch in Einrichtungen ein Recht auf selbstbestimmte Sexualität, auch gegen Entgelt, haben. Unter den rund 80 Teilnehmenden waren Expert*innen aus der Sexarbeit und deren Kund*innen, Fachkräfte aus Behörden und Einrichtungen sowie aus der Landes- und Kommunalpolitikpolitik vertreten.

In seinem Grußwort betonte Grünen-Politiker David Profit, Staatssekretär im Ministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration, die Bedeutung der Tagung: „Wir brauchen mehr Orte und Foren, um über die vielen Facetten der Prostitution nachzudenken. Nur so kann Politik rechtliche Weichen gut stellen.“ Die SPD-Bundestagsabgeordnete Verena Hubertz aus Trier sagte in ihrer Videobotschaft: „Erst wenn Entstigmatisierung von Sexarbeit erreicht ist und wir ehrliche Debatten miteinander führen, können wir auch für Akzeptanz und Sicherheit aller Beteiligten in der Sexarbeit sorgen.“ Sarah Bast vom pro familia RLP eröffnete die Fachtagung: „Die Fachtagung nimmt bewusst Aspekte in den Blick, die ein anderes Bild zeichnen als die oft kriminalisierenden und ablehnenden Debatten, in denen Sexarbeiter*innen selbst kaum zu Wort kommen.“ Philipp Stang, Professor für Psychologie an der SRH Wilhelm Löhe Hochschule in Fürth, erläuterte aus wissenschaftlicher Perspektive, dass Sexualität für viele Menschen „ein essenzieller Aspekt des Lebens“ ist. Daher gelte es zu prüfen, welche ethischen und rechtlichen Rahmenbedingungen die Sexualassistenz unterstützen können. Der Sexualwissenschaftler und Experte für Diskriminierungserfahrungen wünschte sich in seiner Videobotschaft, dass die Fachtagung „die Professionalisierung der Sexarbeit vorantreibt und Beratungsstellen, Einrichtungen, Behörden und Politik erreicht“.

Leider gab es Corona-bedingte kurzfristige Absagen. So vermissten einige Teilnehmende besonders die Vertreter*innen der Berufsgenossenschaft (BG). Denn die gesetzliche Unfallversicherung übernimmt präventive Aufgaben für den Gesundheitsschutz ihrer Versicherten, also beispielsweise für die Pflegekräfte in Einrichtungen. Weiterhin trägt die jeweils zuständige BG bestimmte Kosten für die Rehabilitation von Menschen, wozu auch sexuelle Dienstleistungen gehören können.

Am Freitag, dem ersten Kongresstag, ging es vorrangig um Sexualassistenz. Im ersten Vortrag klärte Sexualassistent Thomas Aeffner zunächst darüber auf, was Sexualassistenz konkret bedeutet. Er nennt sich selbst Sexualbegleiter und bietet seine sexuellen Dienste vor allem für „Senior*innen und Menschen mit Handicap“ an. Sein Bericht von den vielfältigen sexuellen Begegnungen mit Kundinnen zeigte: Sexualassistenz besteht nicht nur im Kuscheln oder zarten Berührungen. „Auch Menschen mit Behinderungen haben unterschiedliche Bedürfnisse, genießen Kinks, und dazu können dann auch mal Fesselungen oder dominante Spielarten gehören.“ Das bestätigte auch Stephanie Klee. Die Sexarbeiterin aus Berlin bietet ebenfalls Sexualassistenz an. In ihrem Vortrag „Was braucht die Sexualassistenz?“ berichtete sie von Problemen, die seitens verschiedener Einrichtungen bestehen. „Wird Sexualität von der Leitungsebene in Pflegeheimen tabuisiert, schadet das den Bewohner*innen. Aber auch dem Personal, das beispielsweise an Fortbildungen interessiert wäre.“

Es schlossen sich drei parallele Workshops an: Pia Hoffmann („Sinn und Zweck einer Ausbildung“), Daria Oniér („Menschenbilder und Vorurteile – ein Blick hinter die Kulissen der Sexualassistenz“) und Stephanie Klee („Best Practice Modelle für einen erfüllten Umgang mit Sexualität in Einrichtungen“) boten Einblicke in die Praxis, beantworteten viele Fragen und entwickelten gemeinsam Ideen, um die Sexualassistenz zu enttabuisieren. Bei der Vorstellung der Workshop-Ergebnisse zeigte sich deutlich: Das Interesse an Sexualassistenz ist sehr groß und mit Blick auf die demografische Entwicklung stark wachsend. Umso wichtiger sei es, die Qualität der Angebote zu sichern. „Behinderungen treten in sehr vielen Formen auf – ob körperlich, geistig oder in Kombination“, hieß es in allen drei Workshops. Entsprechend unterschiedlich seien die Herausforderungen. Sie reichten von barrierefreien Räumlichkeiten bis zum Wissen über den Umgang mit konkreten Symptomen wie beispielsweise Spastiken. Deshalb seien spezifische Fortbildungen für Sexarbeitende unabdingbar, möglichst im Rahmen von Peer-to-Peer-Schulungen. Auch bei den Mitarbeiter*innen in Pflege-Kontexten herrsche Unsicherheit. „Am besten wäre es, wenn in der pflegerischen Ausbildung ganz selbstverständlich auch über Sexualassistenz aufgeklärt würde“, lautete eine Forderung. Ebenfalls unbeantwortet blieb die Frage, wer die Qualität der Fortbildungen sichert und finanziert. „Wir werden prüfen, welche Möglichkeiten wir als Berufsverband sehen“, versprach BesD-Vorstandsmitglied Nicole Schulze.

Es folgten ein Interview und ein Vortrag zur Perspektive von Kund*innen der Sexualassistenz. Hannah Long sprach sehr offen über ihre eigenen Erfahrungen, als Frau mit mehreren körperlichen Einschränkungen sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen zu können. Humorvoll stand sie im Interview Rede und Antwort und räumte mit einigen Vorurteilen auf: „Natürlich haben auch Menschen mit Behinderungen genauso unterschiedliche sexuelle Neigungen wie Menschen ohne Behinderung – und die dürfen sogar über zärtliches Schmusen hinaus gehen.“ Roland Walter, der sich als sexpositiver „Inklusionsbotschafter“ vorstellte, berichtete von sehr unterschiedlichen Erfahrungen mit seinen Spastiken beim bezahlten Sex. Er gestaltete zudem abschließend für den ersten Tagungsteil eine künstlerische Performance auf der Bühne, bevor der Film „Berühr mich“ von Hendrik Ströhle an die im Sommer verstorbene Christine erinnerte, eine Rollstuhlfahrerin, die als Kundin Sexarbeit in Anspruch nahm.

Der zweite Kongresstag, Samstag, gehörte dem „Männlichen Blick“. Er begann mit einem Vortrag und anschließendem Bühnendialog zu der Forschungsfrage „Wer sind eigentlich die Freier?“. Tanja Sommer vom BesD-Vorstand hatte 2016 eine Umfrage in verschiedenen Internet-Foren von Freiern, also Kunden von Sexarbeitenden, gestartet. Die umfangreichen Daten wurden von der Sexualwissenschaftlerin Harriet Langanke ausgewertet. „Die demografischen Angaben zeigen eine große Bandbreite, wonach die Freier einen Querschnitt der männlichen Gesamtgesellschaft abbilden. Rund die Hälfte der mit der Studie Erreichten gab an, keine private Beziehung zu haben.“ Der Austausch mit dem Publikum zeigte, wie kontraproduktiv sich eine Dämonisierung der Freier, wie sie von Gegner*innen der Sexarbeit gefördert wird, auswirkt. „Viele unserer Gäste sind Verbündete, wenn es darum geht, Missstände in der Sexarbeit aufzuzeigen oder sexuelle Gesundheit zu fördern“, betonte Sommer.

Der Berliner Rechtsanwalt Martin Theben, promovierter Jurist und Experte für das Thema Sexarbeit, legte in seinem interaktiven Vortrag dar, wie problematisch sich das aktuelle Prostituiertenschutzgesetz auswirkt. „Es ist autoritär und patriarchalisch strukturiert, da es durch Registrierungspflicht, Zwangsberatung und Ausweispflicht ein so nicht zu rechtfertigendes Schutzkonzept oktroyiert.“ Viel sinnvoller sei es, so Theben, „die Beteiligten zu stärken, beispielsweise durch ein Netz von unabhängigen Beratungsstellen, möglichst nach dem Peer-Group-Prinzip.“ Besondere Bedenken trug Theben im Zusammenhang mit der Verschärfung der in der vorletzten Legislaturperiode eingeführten „Freierstrafbarkeit“ in § 232a Abs. 6 StGB vor: “Diese Form der Kriminalisierung unterstellt ein nicht valides Bild von männlichen Kunden als ignorant und tabulos.“

Danach teilten zwei Männer, die sexuelle Dienste anbieten, ihre Erfahrungen und Einsichten. André Nolte aus Berlin stellte Informationen zur Sexarbeit unter Männern vor. Wesentliche Unterschiede zur heterosexuellen Sexarbeit liegen demnach in der Verfügbarkeit („schneller und direkter“), den Settings („mann-männliche Sexarbeit findet selten bis gar nicht in Bordellen statt“) sowie der öffentlichen Wahrnehmung („kaum Aufmerksamkeit“). Nick Laurent, der sexuelle Dienste vorrangig für Frauen anbietet, erläuterte die unterschiedlichen Ansprüche von Frauen als Kundinnen: „Als Callboy erreichen mich Anfragen von BDSM-Sessions bis zur charmanten Reisebegleitung – die Bedürfnisse sind so vielfältig wie die Frauen.“ Beide Vorträge ließen wenig Raum für einfache Stereotypisierungen. Es folgte eine Podiumsdiskussion. Ergänzend berichtete Sarah Mewes, eine trans Sexarbeiterin aus dem Vorstand des BesD, von besonderen Einblicken in männliche Perspektiven. Im Austausch mit dem Publikum zeigte sich, dass sich auch die Kunden von Sexarbeitenden ausgegrenzt und stigmatisiert sehen. „Das Huren-Stigma ist durchaus bekannt, aber über die Abwertung der Prostitutionskunden wird kaum diskutiert“, so lautete ein Zwischen-Fazit der Diskussion.

Matthias Stiehler aus Dresden, Leiter des Sachgebiets sexuelle Gesundheit im Dresdner Gesundheitsamt, psychologischer Berater und Experte für Männergesundheit, zeigte im Titel des letzten Vortrags, „Arme Würstchen? Männer, die für Sex bezahlen“, bereits, wie problematisch sich der gesellschaftliche Blick auf Prostitutionskunden auswirkt: „Viele Männer erleben ihre Sexualität, ob bezahlt oder nicht, in einem Spannungsfeld von Sehnsucht und Angst.“ Um deren sexuelle Gesundheit zu fördern, brauchen, so Stiehler, Fachkräfte eine professionelle und akzeptierende Haltung, die auch partizipative Elemente umfasse.

„Unser Ziel war es, nicht übereinander, sondern miteinander ins Gespräch zu kommen“, bekräftigte Gisela Hilgefort, Leiterin des pro familia-Zentrums in Mainz. In einem vorläufigen Fazit zur Tagung hielten die Veranstalterinnen erstens fest: „Wenn es um Sexualassistenz geht, nicken viele verständnisvoll. Dagegen wird bezahlter Sex für Menschen ohne Behinderung oft als moralisch verwerflich betrachtet. Warum?“ Zum zweiten sei die Qualität von Sexualassistenz nicht ausreichend gewährleistet: „Behinderung ist vielfältig, das muss also auch für Inklusion gelten. Aber wie?“ Zudem hoffen die Veranstalter*innen, dass von der Tagung auch ein Impuls für Rechtssicherheit ausgeht: „Vielerorts verhindern Verbote für Sexarbeit, wie zum Beispiel Sperrgebietsverordnungen, das Inanspruchnehmen von sexuellen Dienstleistungen in Pflegeeinrichtungen. Wie können wir bundesweit Rechtssicherheit erlangen?“

Nicht zuletzt bestätigte die Tagung, was Fachleute stets betonen: „Wer Prostitution kriminalisiert, gefährdet die sexuelle Gesundheit aller Beteiligten und der Gesellschaft insgesamt.“ Es gelte daher zu klären, wie sich mehr gesellschaftliche Akzeptanz für alle an der Sexarbeit Beteiligten erreichen lässt.



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Article published online:
14 March 2023

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