Psychiatr Prax 2023; 50(04): 224-225
DOI: 10.1055/a-2075-4884
Mitteilungen ackpa

Quo vadunt? Krankenhausplanung NRW als Vorlage für eine Krankenhausreform – Bedeutung für die psychiatrische Versorgung

Bericht von der ackpa Jahrestagung und Mitgliederversammlung am 3. und 4.03.2023 in Dinslaken

Aus gutem Grund fand die ackpa Jahrestagung im vergangenen März in Nordrhein-Westfalen statt: Nach Begrüßung durch ackpa-Sprecherin Bettina Wilms, Querfurt und - auch im Namen der Gastgeberin Barbara Florange - Herrn Regionaldirektor Ralf H. Nennhaus von den GFO Kliniken Niederrhein eröffnete der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft Ingo Morell die Reihe der Vorträge. Kundig als auch Geschäftsführer der Franziskanerinnen zu Olpe mbH skizzierte er die Reformpläne in NRW angesichts der besorgniserregenden Lage der Krankenhäuser: „Krankenhausplan NRW: Blaupause für alle, auch für die psychiatrisch-psychotherapeutischen Kliniken“. Er unterstrich die Entwicklung eines kalten Strukturwandels durch ein Zusammentreffen unterschiedlicher Faktoren wie z. B. Personalknappheit, Medikamentenengpässe, mangelnde Digitalisierung und Kostensteigerungen. Bei den jetzt vorliegenden Vorschlägen der Regierungskommission Krankenhausversorgung seien zwar die Psychiatrien nicht explizit berücksichtigt, jedoch stehe zu befürchten, dass künftig Krankenhausstandorte zu „Gesundheitszentren“ entwickelt würden, was insbesondere kleinere psychiatrisch-psychotherapeutische Kliniken existenziell bedrohe. Die hart erkämpften Reformen hin zu einer wohnortnahen Versorgung, eingeleitet durch die Psychiatrie-Enquete, würden konterkariert und die Bundesländer, zuständig für eine regional verankerte Krankenhausplanung, zu ausführenden Organen. Ein von der DKG in Auftrag gegebenes Gutachten im Hinblick auf zu erwartende Auswirkungen der Reform prognostiziere Standortschließungen und Umlenkung von Patienten in heimatfernere Krankenhäuser, gar nicht zu sprechen von Aspekten fehlender Aus- und Weiterbildung, die nicht bedacht worden seien.

Im zweiten Vortrag sprach Frau B. Steffens, Ministerin für Gesundheit NRW a. D., Leiterin der Landesvertretung der Techniker Krankenkasse NRW, über die Gelegenheit zur Neuordnung als Chance für die Weiterentwicklung von Versorgungsstrukturen in Psychiatrie und Psychotherapie: Sie kritisierte zunächst den nicht hinreichend diskursiv entstanden Vorschlag der Regierungskommission im Hinblick auf den in Aussicht gestellten „großen Wurf“, auch problematisierte sie die angestrebte Deökonomisierung im Hinblick auf die Qualität der Versorgung in Zeiten knappen Personals und Geldes. Weil im Gefolge der Reform auch mit weitreichenden Veränderungen der psychiatrischen Versorgungslandschaft zu rechnen sei, empfahl sie ackpa und anderen maßgeblichen Akteuren unmissverständlich, sich proaktiv einzumischen: Sie betonte die Vorteile regionaler Versorgungstrukturen und benannte hinlänglich bekannte Defizite in den aktuellen Entwicklungen wie etwa Schnittstellenproblematiken bei Hypersegmentierung des Versorgungssystems, Drehtüreffekte, Fokussierung auf vollstationäre anstelle ambulanter Behandlungsangebote sowie die Misstrauenskultur seitens der Kostenträger (!). Steffens forderte ein sektorunabhängiges einheitliches Vergütungssystem mit mehr Qualitätssicherung unter Verwendung von Routinedaten. In der sich anschließenden Diskussion kamen der hohe Mitteleinsatz und Aufwuchs von vollstationären Behandlungsangeboten in Kliniken für Psychosomatische Medizin zur Sprache, die schleppende Entwicklung von Modellen nach § 64 b SGB V bei mangelndem Kontrahierungszwang, die enormen Aufwände durch sog. Qualitätssicherungsmaßnahmen etwa durch den Medizinischen Dienst und eine kritische Haltung vieler Kliniken im Hinblick auf StäB.

Abschließend sprach Christos Chrysanthou, Ärztlicher Direktor der LWL Klinik Lengerich und Vorstandsvorsitzender des LLPP NRW: Einer Überversorgung in den Ballungsräumen von NRW stehe eine Unterversorgung auf dem Land gegenüber; viele Kliniken stünden in einem ruinösen Wettbewerb untereinander und die zusätzlichen Vorgaben zur Strukturqualität hätten mittlerweile existenziell bedrohliche Ausmaße erreicht. Chrysanthou unterstrich in diesem Zusammenhang die Vorteile eines starken Zusammenschlusses der Kliniken für Psychiatrie in NRW im LLPP, in dem Chefärzt:innen sowohl von Kliniken an Allgemeinkrankenhäusern als auch Fach- und Unikliniken sowie der Psychosomatiken in Nordrhein und Westfalen-Lippe gemeinsam organisiert sind. Als operatives Ziel benannte Chrysanthou z. B. eine Erhöhung der tagesklinischen anstelle von vollstationären Behandlungsplätzen sowie die Definition umrissener Pflichtversorgungsgebiete und die Aufrechterhaltung des Prinzips der Gemeindenähe. Um absehbarer wirtschaften zu können, skizzierte er die Aushandlung geeigneter Mehr- und Minderbelegungserlöse/-ausgleiche als geeignete Instrumente. Im Anschluss fand eine Podiumsdiskussion mit allen drei Vortragenden statt, an der sich zahlreiche ackpa Mitglieder beteiligten.

Es folgte die ackpa-Mitgliederversammlung am Nachmittag. Nach dem Tätigkeitsbericht des Geschäftsführenden Ausschusses kam man überein, neben der bereits existierenden Arbeitsgruppe, die ein Grundsatzpositionspapier erarbeitet, ggf. kurzfristig ad hoc-Gruppen für Stellungnahmen zu einzelnen aktuellen Themen zu bilden. Es wurden Vorschläge für die anstehenden Symposien beim DGPPN-Kongress im November formuliert, etwa zur Krankenhausreform und deren Auswirkungen auf die Kliniken für Psychiatrie an Allgemeinkrankenhäusern, medizinische Assistenzberufe in mehr Verantwortung sowie Umsetzung der neuen WBO in den Bundesländern. Ebenso erfolgten Hinweise auf anstehende Tagungen: NFEP-Tagung am 05. und 06.06.23; ackpa Jahrestagung am 14. und 15.03.24.

Hinsichtlich künftiger ackpa-Jahrestagungen wird beschlossen, jährlich im März in Präsenz an einem Donnerstag und Freitag zu tagen sowie sich für eine gemeinsame Tagung mit der BDK alle zwei Jahre im Herbst auszusprechen. Im Intervalljahr werden zwei gemeinsame Treffen online zwischen BDK-Vorstand und Geschäftsführendem Ausschuss von ackpa vorgeschlagen. Thomas Schillen wurde für seinen jahrelangen Einsatz als ackpa-Vertreter in der ARGE PIA gedankt. Karel Frasch, Donauwörth, berichtete vom APK-Expertengespräch zwei Tage zuvor zu „intensiv-aufsuchenden Komplexleistungen“. Diese Behandlungsform läge im Intensitätssegment zwischen StäB und niedrigerfrequenter ambulanter Behandlung. In der Diskussion im Rahmen des Expertengespräch bewegten sich die Vorschläge im Wesentlichen zwischen der Einführung eines neuen Subsegments in etwa entlang der Linie des beispielsweise in England breit etablierten Assertive Community Treatment und Konzepten der Flexibilisierung ambulanter Behandlung aufsetzend auf nicht gedeckelten PIA-Vergütungsmodellen wie etwa in Bayern (z. B. PIA intensiv am BKH Donauwörth) oder Sachsen-Anhalt (z. B. mobile psychiatrische Akutbehandlung am Klinikum Naumburg) praktiziert. Es bedürfte jedoch einer auskömmlichen Finanzierung, die jetzt noch nicht gegeben ist, etwa in Form einer Vorhaltepauschale oder eines Aufschlages auf die Einzelleistungsvergütungen, der zumindest die Personalkosten abdeckt.

Die bedrohlichen Sanktionen der PPP-RL bleiben erfreulicherweise auch in diesem Jahr ausgesetzt. Gemeinsame Papiere von BDK und ackpa zu Fachkräftemangel und Flexibilisierung von Krankenhausbehandlung befinden sich im Abstimmungsprozess mit der DGPPN. Bettina Wilms berichtet über erste Ergebnisse einer gemeinsamen Umfrage von ackpa und BDK im Hinblick auf das Psychotherapiedirektstudium: Ein Großteil der sich beteiligenden Kliniken meldete zurück, angefragt worden zu sein, ob sie die Praktika zur Berufsqualifizierenden Tätigkeit (BQT III) anbieten, wobei ein Drittel der Anbieter angab, mit einer Medizinischen Fakultät zu kooperieren. 19% haben entsprechende Kooperationsverträge abgeschlossen, ganz überwiegend ohne finanzielle Unterstützung. Als überdies problematisch gesehen wird die vorgesehene Letztverantwortung eines approbierten Psychologen, die mit den bisherigen Strukturen kaum kompatibel ist. Daher wird aus ackpa-Sicht derzeit diesbezüglich weiterhin Zurückhaltung empfohlen.

Den zweiten Tag eröffnete Christian Happe, Direktor des Amtsgerichts Oberhausen, mit einem Vortrag zum Ehegattenvertretungsrecht: Eingetragene Lebenspartnerschaften werden analog behandelt, bei Getrenntleben (d. h. einer der Partner hat Trennungswillen geäußert) oder wenn die Vertretung durch den Ehegatten explizit abgelehnt wurde, besteht diese Möglichkeit nicht. Im Falle einer entsprechenden Vorsorgevollmacht sei diese prioritär. Ehegattenvertretungsrecht sei ausdrücklich nicht analog der Betreuung für den Bereich Gesundheitsfürsorge zu betrachten. Zum Zwecke der Verifizierung darf der Behandler das Vorsorgeregister bei der Bundesnotarkammer einsehen; ein mit dem Bundesministerium der Justiz, der Bundesärztekammer und der Deutschen Krankenhausgesellschaft konsentiertes Formular wurde für gut befunden. Der entsprechende § 1358 BGB sei sehr ausführlich gehalten und selbsterklärend, die Gefahr für den Arzt bestünde vor allem im Risiko fahrlässiger Körperverletzung. Aus Sicht des Richters ist die Befürchtung, es handle sich um ein weiteres „Bürokratiemonster“, bis dato unbegründet, die Regelung funktioniere überwiegend gut.

Im zweiten Vortrag des Tages stellte Sylvia Lorenz, Bad Salzungen, einen spektakulären Fall eines schwer und chronisch schizophren Erkrankten vor, der sich wiederholt wegen gefährlicher Verhaltensstörungen in stationärer Behandlung befand und durch den Versuch, seine Erschießung durch die Polizei im Sinne des Suicide by Cop zu provozieren, in die Schlagzeilen geriet. Es folgte eine lebhafte Diskussion über in dieser oder ähnlicher Weise bekannte Fälle; dabei scheint es so, als bliebe der Rechtsstaat hier oft eine adäquate Antwort schuldig.

Zum Abschluss der Tagung skizzierte Frau J. Renz, Physican Assistant-Studentin an der Universität Köln, ihr Tätigkeitsfeld am Klinikum Bendorf-Neuwied-Waldbreitbach: Sie führt ärztliche Tätigkeiten im Rahmen der Delegation durch, soweit sie nicht in den Kernbereich ärztlicher Tätigkeit fallen. Hierzu zählen u. a. Anamnesen und klinische Untersuchungen, Sonographien des Abdomens und der Schilddrüse, Patienten- und Angehörigengespräche sowie die Teilnahme an Konferenzen und Organisatorisches, jeweils supervidiert bzw. „abgenommen“ durch Fachärzte. Renz hob insbesondere die gute Integration in das Behandlungsteam hervor. Problematisiert wurden die Abbildung dieser Berufsgruppe in der PPP-RL sowie deren Eingruppierung in den Tarifvertrag. Perspektivisch seien nach einem sechssemestrigen Bachelorstudium im Anschluss an eine Berufsausbildung im Bereich Gesundheit und Pflege auch ein Masterabschluss und sogar ein Doktortitel möglich, insgesamt scheint es sich um ein zukunftsträchtiges Berufsbild zu handeln, das auch auf dem kommenden DGPPN-Kongress vorgestellt werden soll als Beitrag zum Umgang mit dem uns allen umtreibenden Fachkräftemangel. Mit der sich anschließenden Diskussion endete eine Tagung, die zahlreiche Aspekte unserer Tätigkeiten aufgriff und vertiefte; wir freuen uns auf die nächste derartige Veranstaltung!



Publication History

Article published online:
09 May 2023

© 2023. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany