PiD - Psychotherapie im Dialog 2009; 10(1): 48-54
DOI: 10.1055/s-0028-1090191
Aus der Praxis

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Rechtliche Regelungen bei Transsexualität

Deborah  Reinert
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Publication Date:
13 March 2009 (online)

Zusammenfassung

Transsexualität ist zuallererst eine Selbstdiagnose. Wenn sich die Betroffenen mit ihrer Situation auseinandergesetzt und für einen entsprechenden Weg entschieden haben, werden sie in der Regel mit einer Fülle von psychologischen, sozialen, ökonomischen und vor allem medizinischen und juristischen Fragen konfrontiert, auf die sie eine ganz persönliche Antwort finden müssen. Dieser Aufsatz behandelt ausschließlich die in diesem Zusammenhang bedeutsamen juristischen Gesichtspunkte und beschränkt sich hierbei im Wesentlichen auf das Transsexuellengesetz (TSG), das alle grundlegenden juristischen Regelungen enthält. Eingegangen wird auf die Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens sowie den Adressatenkreis des TSG. Ferner wird dargestellt, was im TSG geregelt wird und wie die Betroffenen die derzeitigen Regelungsinhalte sehen. Kritisch betrachtet wird ferner die Verzahnung des medizinischen mit dem juristischen Verfahren und es wird aufgezeigt, wo die Grenzen des TSG liegen. Unter Einbeziehung der aktuellen Entscheidungen des BVerfG werden Vorschläge für eine Verbesserung des juristischen Verfahrens diskutiert.

1 Dem lag ein Antrag aus 1976 von Abgeordneten der SPD / FDP (Bundestagssache 7/4940) und eine Entscheidung des BVerfG von 1978 (1 BvR 16/72) zugrunde.

2 Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied 2002 im Fall Goodwin vs U. K., einen post-op-transsexuellen Menschen als dem neuen Geschlecht zugehörig anzuerkennen, vgl. NJW-RR 2004, 289 Rn89-93.

3 BVerfG 1 BvR 938/81 zur Altersgrenze bei der Personenstandsänderung, BVerfG 1 BvL 38/40, 43/92 zur Altersgrenze bei der Vornamensänderung, BVerfG 1 BvL3/03 zum Wegfall des geänderten Vornamens bei Heirat, BVerfG 1 BvL 1/04, 12/04 zur Anwendbarkeit des TSG für Ausländer, BVerfG 1 BvL 10/05 zum Erfordernis der Ehelosigkeit für die Personenstandsänderung.

4 BVerfGE 49, 286 (298)

5 OLG Zweibrücken, StAZ 2003, 171, 172; OLG Naumburg, StAZ 2002, 169, 170; KG, StAZ 1965, 217

6 Die Betroffenen könnten dann den Weg über § 47 PStG gehen und das Geburtenbuch berichtigen lassen, der ebenfalls mögliche Weg über TSG dürfte aber in der Regel der weniger komplizierte sein.

7 Manche Intersexuelle sehen das anders, sie treten dafür ein, sich sowohl dem einen als auch dem anderen Geschlecht zuordnen zu müssen.

8 vgl. Appel M, Koch E, Schreier M. Biologisches versus soziales Geschlecht: Modelle, Diagnose, Wertung. Kölner Psychologische Studien 2003; 8: 1–57

9 UR III 38/06 aus dem Jahr 2006

10 § 12 FGG

11 § 1 Abs. 1 Nr. 1 TSG

12 1 BvL 1 und 12/04, vgl. FamRZ 2006, 1818

13 Art. 3 Abs. 1 GG

14 Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit (i. V. m.) Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG

15 BVerfGE 60, 123, BVerfGE 88, 87

16 Personenstandsänderung 1982, Vornamensänderung 1993

17 beispielsweise der Regierungspräsident oder die Staatsanwaltschaft

18 Vgl. BTag-Innenausschuss 2007 Protokoll Nr. 16/31 S. 23 f., wo die Vertreter des BMI und die Innenministerien der Länder den Verzicht auf den VÖI ebenfalls befürworten

19 so aber z. B. Heinrichs/Ellenberger in Palandt BGB Kommentar 67. Auflage 2008 § 1 Rn. 12

20 Eine Studie zu den ersten zehn Jahren des TSG von Osburg und Weitze aus dem Jahr 1993 zeigt, dass die Ablehnungsrate bei Anträgen nach § 8 TSG 3,6 %, nach § 1 TSG 10,9 % betrug (Söder, Manfred. Die Strukturen der Herkunftsfamilien weiblicher Transsexueller. Universität Düsseldorf: Diplomarbeit im Fach Psychologie, 1998).

21 Was streng genommen dann erst noch zu schaffen wäre, da es bislang nicht oder nur auf dem Papier existiert. Dies sollte der Gesetzgeber zur Kenntnis nehmen und auf die Gutachten verzichten, die einen unnötigen Kosten- und Zeitaufwand bedeuten.

22 Grünberger, Michael. Die Reform des TSG: Großer Wurf oder kleine Schritte? 2007: S. 6 (http://www.uni-koeln.de/jur-fak/bhgg/personen/aktuell/gruenberger/reform-tsg.pdf), Schenk, Christian. Stellungnahme. 2007, S. 21ff (http://bundestag.de/ausschuesse/a04/anhoerungen/Anhoerung04/Stellungnahmen/Stellungnahme04.pdf)

23 Schenk, Christian. Stellungnahme. 2007, S. 22 (http://bundestag.de/ausschuesse/a04/anhoerungen/Anhoerung04/Stellungnahmen/Stellungnahme04.pdf)

24 Bislang war man in diesem Fall auf den Geburtsschein angewiesen, der keinen Geschlechtsvermerk enthält.

25 § 154 AO

26 Die Gerichte verhalten sich uneinheitlich, wie sie eine Person nach Beantragung der Vornamensänderung anschreiben. Teilweise verwenden sie bereits die „richtige” Anrede und den neuen Namen, teilweise erst nach dem rechtskräftigen Beschluss, manchmal, wohl aus Nachlässigkeit, aber auch nach Rechtskraft der Namensänderung den alten Namen. Meiner Ansicht nach erfordert es schlicht der zwischenmenschliche Respekt, die Antragsteller bereits entsprechend ihrem Antrag anzuschreiben.

27 Nach dem Buchstaben (Anfangsbuchstabe des Familiennamens) kommt eine dreistellige Zahl, deren erste Ziffer geschlechtsspezifisch ist (0 = männlich, 5 = weiblich).

28 BVerfGE 115, 1 vom 6. Dezember 2005

29 BVerfG in FamRZ 2006, 182

30 Das Erfordernis für die Personenstandsänderung „nicht verheiratet zu sein” hat das BVerfG für mit dem GG unvereinbar erklärt.

31 Nach der derzeitigen Gesetzeslage können das nur noch der operative Eingriff und die dauernde Fortpflanzungsunfähigkeit sein.

32 § 9 Abs. 3 Satz 1 TSG

33 1 BvL 3/03 und 1 BvL 10/05

34 1 BvL 3/03

35 Nach meiner Auffassung hat man die „kleine Lösung” nie als bloßes Durchgangsstadium begreifen können und dürfen. Anderenfalls würde das TSG keinen Sinn machen, da es von seiner Grundkonzeption her beide Möglichkeiten als völlig gleichberechtigt nebeneinander stellt. Davon sorgfältig zu unterscheiden ist die Tatsache, dass in den vielen Fällen auf eine Namensänderung auch die Personenstandsänderung folgt; dies hat aber mit der Gesetzessystematik nichts zu tun.

36 Vgl. DGfS in ZfS 2001, 258 (261 ff.)

37 Art. 2 Abs. 2 GG

38 Anders sah dies das OLG Düsseldorf (3 Wx 88/95).

39 § 11 TSG

40 § 12 Abs. 1 TSG

41 § 12 Abs. 2 TSG

42 vgl. BTag-Innenausschuss 2007, Protokoll Nr. 16/31 Seite 34

43 vgl. hierzu Sophinette Becker u. a. in: Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen. Standards der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung, der Akademie für Sexualmedizin und der Gesellschaft für Sexualwissenschaft. Psychotherapeut 1997; 42 (4): 256 ff.

44 so Sophinette Becker in: Abschied vom „echten” Transsexuellen. Zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005. Z Sexualforsch 2006; 19: 154–158

45 § 9 TSG

46 Für die gesetzliche Krankenversicherung seit dem Urteil des Bundessozialgerichts 3 RK 15/86

47 Tatbestand: Sexuelle Identität, nach Rspr. des EuGH sollen auch TS vom Schutzbereich des Gesetzes erfasst werden! Diskriminierung liegt hier allerdings nicht wegen „Geschlechts” vor, sondern wegen der „Geschlechtsumwandlung”! Durch Einbeziehung der „sexuellen Identität” ist die Rspr. des EuGH wohl obsolet geworden. Benachteiligung wegen Geschlechts ist demgegenüber bei Intersexuellen tatbestandlich gegeben.

48 Frau Dr. Schiffels ist eine Buchautorin, die sich seit Längerem aktiv mit Verbesserungsmöglichkeiten im Umgang mit Transsexuellen befasst (mehr über sie unter http://www.transgender-net.de/Buecher/biographien/schiffels.html).

Deborah Reinert

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