Balint Journal 2009; 10(1): 6-10
DOI: 10.1055/s-0028-1098752
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag Stuttgart ˙ New York

Strukturwandel und die Erosion gesellschaftlichen Zusammenhalts

Teil 1Structural Change and the Erosion of Social Change on the Margins SocietyPart 1A. Doering-Manteuffel, E. R. Petzold
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Publication Date:
05 March 2009 (online)

Zusammenfassung

Seit 1980 / 85 haben sich die Lebensbedingungen der entwickelten Industriegesellschaften einschneidend verändert. Was heute meist „Globalisierung“ genannt wird, umschreibt ein vielschichtiges soziales Geschehen. Darin beobachten wir, dass immer mehr Menschen von „Individualisierung“ beherrscht werden. Das heißt: Für sie gelten die Erfahrungen von Gemeinschaft und Geborgenheit innerhalb der Familie, der Nachbarschaft, der Berufskollegen nicht. Für sie gelten vielmehr die Bedingungen des globalen Finanzmarkt-Kapitalismus, und das bedeutet, sie müssen zu jeder Zeit an jedem Ort ihren Job möglichst perfekt erledigen, wenn sie nicht arbeitslos werden wollen. Unter diesen Bedingungen haben viele Menschen heute keine klare Zukunftsperspektive. Für sie gilt nur, was Heute ist. Die Folgen dieser sogenannten „Gegenwartsschrumpfung“ bestehen darin, dass die Menschen einsam werden, in ihrer Einsamkeit innerlich veröden und am Ende krank werden können. Eine Gegenbewegung wie die ökologische Forderung nach „Nachhaltigkeit“ der Ernährung, des Warenangebots, des Lebensstils und der sozialen Beziehungen deutet darauf hin, dass die Erosion gesellschaftlichen Zusammenhalts als eine Bedrohung der seelischen und körperlichen Gesundheit erkannt worden ist.

Abstract

Since the early Eighties living conditions in the advanced industrial societies have undergone radical change. What we usually call “globalization” is a social phenomenon with many facets. In it we observe that ever more people are ruled by individualization. For them the experience of community and feeling at one with the family or the neighborhood or with colleagues in the workplace simply does not matter. What does matter are conditions in the global financial markets of capitalism, meaning they must be on call all day and night and do whatever it is they do to well-nigh perfection – that is, if they don’t want to find themselves out of a job. With conditions like this, many today have no clear perspective on where they’re headed. For them Now is all there is. The outcome of this “dwindling present”, as it has been called, is that they have become lonely and in their loneliness atrophy inwardly, becoming sick as a result. A counter-movement like the ecological demand for “sustainability” (in the foods we eat, the goods we buy, the lives we lead, the friends we keep) is a sign that the eroding of social solidarity has now been seen for what it is: a threat to our psychological and physical health.

1 Hier zitiert nach Zygmunt Bauman, Flüchtige Moderne, Frankfurt a. M. 2003: 79.

2 Vgl. Dominik Geppert, Thatchers konservative Revolution. Der Richtungswandel der britischen Tories (1975–1979), München 2002; Andrew Gamble, The Free Economy and the Strong State. The Politics of Thatcherism, Durham 1988.

3 Manuel Castells, Das Informationszeitalter. Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur. 3 Bde., Opladen 2001–03.

4 Vgl. Anselm Doering-Manteuffel, Nach dem Boom. Brüche und Kontinuitäten der Industriemoderne seit 1970, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 2007; 55: 559–581.

5 Fred Turner, From Counterculture to Cyberculture. Stewart Brand, the Whole Earth Network, and the Rise of Digital Utopianism, Chicago / London 2006.

6 Hermann Lübbe, Im Zug der Zeit. Verkürzter Aufenthalt in der Gegenwart, Heidelberg 1992; Hartmut Rosa, Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne, Frankfurt a. M. 2005.

7 Vgl. Zygmunt Bauman, Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit, Frankfurt a. M. 1995; ders., Flüchtige Moderne (wie Anm. 1); ders., Flüchtige Zeiten. Leben in der Ungewißheit, Hamburg 2008.

8 Anselm Doering-Manteuffel, Mensch, Maschine, Zeit. Fortschrittsbewußtsein und Kulturkritik im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, in: Jahrbuch des Historischen Kollegs 2003, München; 2004: 91–119.

9 Vgl. Stefan Breuer, Die Völkischen in Deutschland. Kaiserreich und Weimarer Republik, Darmstadt 2008.

10 Friedrich Wilhelm Graf, Die Wiederkehr der Götter. Religion in der modernen Kultur, München 2004; Michael Hochgeschwender, Amerikanische Religion. Evangelikalismus, Pfingstlertum und Fundamentalismus, Frankfurt a. M. 2007; Hans G. Kippenberg, Gewalt als Gottesdienst. Religionskriege im Zeitalter der Globalisierung, München 2008.

11 Sabine Doering-Manteuffel, Das Okkulte. Eine Erfolgsgeschichte im Schatten der Aufklärung. Von Gutenberg bis zum World Wide Web, München 2008.

Prof. Dr. A. Doering-Manteuffel

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