Gesundheitswesen 2008; 70(11): 662-666
DOI: 10.1055/s-0028-1100398
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ungleiche Lebensbedingungen und Gesundheitschancen bei Kindern im Vorschulalter: Schutzfaktoren fördern – Risikofaktoren begrenzen!

Unequal Living Conditions and Health Chances in Preschool Children: Support Protective Factors – Limit Risk FactorsE. Horstkotte 1 , E. Zimmermann 1
  • 1Gesundheitsamt Bremen
Further Information

Publication History

Publication Date:
27 November 2008 (online)

Zusammenfassung

Hinweise auf eine Verschärfung sozialer Gegensätze in der Gesellschaft sowie gehäufte Meldungen über Kinderarmut und Kindesmisshandlungen haben eine breite Debatte über die Situation von Kindern in risikobelasteten Lebenslagen in Deutschland ausgelöst. Immer mehr Kinder sind von relativer Armut und Benachteiligung betroffen. Auch in der Stadt Bremen wird eine Zunahme des Anteils derjenigen Kinder verzeichnet, die Sozialgeld nach SGB II beziehen, in besonders belasteten Ortsteilen stieg dieser Anteil sogar bis auf 60% der Kinder unter 15 Jahren. Vor diesem Hintergrund untersuchte das Gesundheitsamt Bremen in einer sozialräumlichen Analyse, ob sich in unterschiedlichen Lebensverhältnissen die gesundheitliche Versorgungslage sowie die sozialen und kulturellen Teilhabechancen bei Vorschulkindern unterscheiden. Hierzu wurden ausgewählte Daten aus den Schuleingangsuntersuchungen 1998 bis 2005 hinsichtlich ihrer Relevanz für Teilhabechancen in verschiedenen kindbezogenen Lebenslagedimensionen ausgewertet. Sowohl in den Dimensionen gesundheitliche Versorgung sowie soziale und kulturelle Teilhabechancen fanden sich gegensätzliche Entwicklungen. Kinder aus benachteiligten Wohnquartieren wiesen eine schlechtere gesundheitliche Versorgung und verminderte soziale und kulturelle Teilhabechancen auf als Kinder aus wohlhabenden Wohnquartieren. Trendberechnungen der Jahre 1998 bis 2005 zeigten eine zunehmende Diskrepanz zwischen Kindern aus benachteiligten und wohlhabenden Wohngebieten. Benachteiligende Lebenslagen mit der Gefahr zunehmender Ausgrenzung scheinen sich in Bremen zu verfestigen. Kinder und Familien müssen in der Auseinandersetzung mit risikobelasteten Lebensbedingungen in ihren Ressourcen gestärkt werden. Auf kommunaler Ebene sollten wirksame und nachhaltige Präventionsansätze zur Stärkung der Lebenskompetenz zielgruppenspezifisch im Sozialraum entwickelt und umgesetzt werden. Kindertagesheime und Schulen als Settings können als Knotenpunkte für kommunale Vernetzungsstrategien dienen. Integrierte Handlungskonzepte mit engen Kooperationen und Vernetzung im jeweiligen Sozialraum sind erforderlich, um Kinder zu schützen und ihnen faire Chancen trotz benachteiligender Lebensbedingungen zu gewährleisten.

Abstract

Manifestations of an aggravation of social antagonisms and increased reports about childhood poverty and child abuse have unleashed a broad debate about the situation of children in risk-laden circumstances. More and more children are affected by relative poverty and disadvantage. An increase in the number children under 15 who receive social assistance can also be registered in Bremen, this share even increased to 60% in especially burdened districts. Against this background, the Bremen Health Department used a socio-spatial analysis to determine whether the utilisation of health examinations and the social and cultural participation chances of preschool children differed according to their living conditions. To this end, selected data from the school entrance examinations from 1998 to 2005 were analysed in regard to their relevance for the participation chances in different child-related dimensions of the life situation. Contradictory developments could be found, both in the dimension of the utilisation of health examinations and in the dimension of social and cultural participation chances. Children from disadvantaged neighbourhoods exhibited a lower utilisation of health examinations and less chances for social and cultural participation than children from more well-to-do residential areas. Trend calculations for the years 1998 to 2005 show an increasing discrepancy between children from disadvantaged and those from well-to-do neighbourhoods. Disadvantaged life situations – with the danger of increasing exclusion – appear to be establishing themselves in Bremen. The resources of children and families for dealing with risk-laden life situations have to be strengthened. Effective and long-lasting prevention approaches have to be developed and implemented at the local level. Kindergartens and schools could serve as centres for community networking strategies. Integrated concepts for action in the respective social areas are necessary to protect children and guarantee them fair chances despite disadvantaged living conditions.

Literatur

  • 1 Arbeitnehmerkammer Bremen. Armut in Bremen .Armut und Bildung, Bericht 2005. Bremen: Arbeitnehmerkammer 2005: 94-96
  • 2 Denker W. Stadtteil Info. Dezember 2004. Bremen: Der Senator für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales Hrsg. 2004; 
  • 3 Arbeitnehmerkammer Bremen. Armut in Bremen .Die soziale Spal0tung der Stadt. Bericht 2007. Bremen: Arbeitnehmerkammer 2007: 132-137
  • 4 Horstkotte E. Gefährdete Kindheit. Auswirkungen sozialer Ungleichheit auf die Entwicklungschancen von Kindern in Bremen. Bremen: Gesundheitsamt Bremen Hrsg 2007
  • 5 Denker W. Sozialindikatoren 2005. Bremen: Der Senator für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales Hrsg 2006
  • 6 Wustmann C. Resilienz. Widerstandsfähigkeit von Kindern in Tageseinrichtungen fördern. In: Fthenakis W, Hrsg Beiträge zur Bildungsqualität. Weinheim: Beltz 2004
  • 7 Wustmann C. So früh wie möglich!“ – Ergebnisse der Resilienzforschung. In: Deutsches Jugendinstitut Hrsg. Gewalt gegen Kinder: früh erkennen – früh helfen. IKK-Nachrichten 1–2, 2005: 14-19
  • 8 Opp G. Kindliches Wohlbefinden trotz riskanter Lebensbedingungen: Neue Ergebnisse der Resilienzforschung. Gesundheitswesen, 63 (Sonderheft 2) 2001: 106-114
  • 9 JMK .„Kinder und Gesundheit” Bericht der Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesjugendbehörden und der Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden für die JMK und GMK 2006. Jugendministerkonferenz 18./19.05.2006 in Hamburg
  • 10 Holz G. u. a.: Armutsprävention vor Ort – „Mo.Ki. – Monheim für Kinder”. Evaluationsergebnisse zum Modellprojekt von Arbeiterwohlfahrt Niederrhein und Stadt Mohnheim. , ISS Pontifex 3/2005
  • 11 Strohmeier KP, Kersting V. Segregierte Armut in der Stadtgesellschaft – Problemstrukturen und Handlungskonzepte im Stadtteil.  Soziale Benachteiligung und Stadtentwicklung, Informationen zur Raumentwicklung. 3/4 2003;  231-247
  • 12 Armbruster M. Eltern-AG – Das Empowerment-Programm für mehr Elternkompetenz in Problemfamilien. Heidelberg: Carl Auer 2006
  • 13 Fröhlich-Gildhoff K, Rönnau M. et al . Kinder Stärken! Resilienzförderung in der Kindertagesstätte unter systematischer Einbindung der Eltern.  Prävention. 30 2007;  55-60

Korrespondenzadresse

Dr. E. HorstkotteMPH 

Gesundheitsamt Bremen

Horner Str. 60–70

28203 Bremen

Email: elisabeth.horstkotte@gesundheitsamt.bremen.de

    >