Zeitschrift für Phytotherapie 2008; 29(5): 236-238
DOI: 10.1055/s-0028-1101532
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© Sonntag Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Harmonisierte Bewertungskriterien für Phytopharmaka

Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit – die Leitlinien des Herbal Medicinal Products Committee (HMPC)Barbara Steinhoff
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Publication Date:
03 November 2008 (online)

Auf Basis der Richtlinie 2004/24/EG wurde im Jahr 2004 als neuer Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel das Herbal Medicinal Products Committee (HMPC) gegründet, das der europäischen Zulassungsagentur EMEA angehört. Es besteht aus jeweils einem Mitglied und einem Stellvertreter pro Mitgliedstaat und kann maximal 5 zusätzliche Mitglieder kooptieren, die aufgrund ihrer spezifischen wissenschaftlichen Kompetenz für definierte Fachbereiche ausgewählt werden. Vorsitzender ist Dr. Konstantin Keller, Deutschland, seine Stellvertreterin Professorin Ioanna Chinou, Griechenland. Neben der Erarbeitung von Leitlinien zur Bewertung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit pflanzlicher Arzneimittel hat der Ausschuss die Aufgabe, Monographien sowohl für den Bereich des »well-established medicinal use« (nutzbar für ein »normales« Zulassungsverfahren) als auch für den Bereich des »traditional use« (für eine »vereinfachte « Registrierung) zu erstellen.

Kein Unbekannter: Dr. Konstantin Keller ist Vorsitzender des Herbal Medicinal Products Committee.

Darüber hinaus ist das HMPC beauftragt, eine Liste zu erarbeiten, die pflanzliche Stoffe, pflanzliche Zubereitungen und Kombinationen daraus zur Verwendung in traditionellen pflanzlichen Arzneimitteln enthält. Diese Liste muss für jeden pflanzlichen Stoff das Anwendungsgebiet, die spezifizierte Stärke und Dosierung, den Verabreichungsweg und alle anderen für die sichere Anwendung erforderlichen Informationen enthalten. Der Ausschuss hat auch die Aufgabe, in Zweifelsfällen festzulegen, ob für eine bestimmte Arzneipflanze die Tradition innerhalb Europas ausreicht, beispielsweise wenn diese Pflanze traditionell in der chinesischen Medizin angewendet worden ist. Damit hat er eine umfassende Kompetenz für die Beurteilung pflanzlicher Arzneimittel auf europäischer Ebene.

Das HMPC erarbeitet in mehrmals jährlich stattfindenden, mehrtägigen Sitzungen eine große Anzahl von Leitlinien, Monographien und weiteren Dokumenten und stellt sie den Fachkreisen durch Publikation auf der Website der EMEA (www.emea. europa.eu) zur Kommentierung zur Verfügung. Zuvor findet eine Diskussion in den jeweils zuständigen Arbeitgruppen des HMPC, so z.B. in der von Dr. Heribert Pittner, Österreich, geleiteten Working Party on Community Monographs and Community List (MLWP) statt. Im Folgenden werden einige Arbeitspapiere, die für die Beurteilung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit pflanzlicher Arzneimittel von großer Bedeutung sind, kurz vorgestellt.

Qualität

Grundlegende Anforderungen zur Qualität pflanzlicher Arzneimittel sind in den Leitlinien zur Qualität bzw. zu Spezifikationen pflanzlicher und traditioneller pflanzlicher Arzneimittel (CPMP/QWP/2819/00 Rev 1 bzw. CPMP/QWP/2820/00 Rev 1) enthalten, die nach der Gründung des HMPC in überarbeiteter Fassung publiziert worden sind. Auch die bisherigen »Points to consider on Good Agricultural and Collection Practice (GACP) for starting materials of herbal origin« (EMEA/HMPC/246816/2005) sind überarbeitet und als Leitlinie veröffentlicht worden. Dieses Dokument zur Guten Praxis des Arzneipflanzenanbaus und der Wildsammlung enthält Empfehlungen z.B. zur Aussaat, Düngung, Bewässerung, Ernte bzw. Wildsammlung, Trocknung und Transport sowie für die Qualifikation des Personals und die Eignung von Räumlichkeiten und Geräten. Die Leitlinie verfolgt das Ziel, eine hohe und gleichbleibende Qualität der in Phytopharmaka eingesetzten Ausgangsmaterialien zu gewährleisten.

Die »Guideline on declaration of herbal substances and herbal preparations in herbal medicinal products/traditional herbal medicinal products in the SPC« (EMEA/HMPC/CHMP/CVMP/287539/2005), die viele Regelungen aus Deutschland zur Deklaration pflanzlicher Zubereitungen übernommen hat, ist im Juli 2007 in ihrer Endversion publiziert worden. Sie kann zu einer korrekten und einheitlichen Beschreibung pflanzlicher Zubereitungen in Europa beitragen.

Die »Guideline on quality of combination herbal medicinal products/traditional herbal medicinal products« beinhaltet pragmatische Vorgehensweisen für die Identifizierung und die quantitative Bestimmung pflanzlicher Zubereitungen in Kombinationsarzneimitteln und berücksichtigt hierbei die komplexe Zusammensetzung dieser Arzneimittel. Dazu sind z.B. Lösungsmöglichkeiten für solche Fälle aufgezeigt, in denen eine Identitätsprüfung bzw. eine Gehaltsbestimmung eines Kombinationspartners im Fertigarzneimittel nicht möglich ist.

Wirksamkeit und Unbedenklichkeit

Die »Guideline on the assessment of clinical safety and efficacy in the preparation of monographs for well-established and of monographs/lists for traditional herbal medicinal products/substances/preparations « (EMEA/HMPC/104613/2005) beschreibt insbesondere die Anforderungen an den Wirksamkeitsbeleg für Phytopharmaka. Für den Bereich des »well-established medicinal use« verlangt das Dokument im Allgemeinen mindestens eine kontrollierte klinische Studie von guter Qualität, ersatzweise umfassende klinische Erfahrungen mit dem Arzneimittel und ergänzende humanpharmakologische Daten.

Anforderungen an die Dokumentation pflanzlicher Kombinationsarzneimittel sind in der »Guideline on the clinical assessment of fixed combinations of herbal substances/herbal preparations« (EMEA/HMPC/166326/2005) enthalten. Dieses Dokument unterscheidet deutlich zwischen Arzneimitteln des »well-established medicinal use«, für die die Kombinationsbegründung auf validen therapeutischen Prinzipien beruhen muss, und traditionellen pflanzlichen Kombinationen, für die die Plausibilität innerhalb des betreffenden Systems der traditionellen Medizin genügt.

Die im Sommer 2006 vom HMPC verabschiedete »Guideline on non-clinical documentation for herbal medicinal products in applications for marketing authorisation (bibliographical and mixed applications) and in applications for simplified registration « (EMEA/HMPC/32116/2005) beschreibt die Anforderungen an präklinische Untersuchungen für pflanzliche und traditionelle pflanzliche Arzneimittel. Sie geht insbesondere auf das Erfordernis von Studien zur Reproduktionstoxikologie, zur Genotoxizität und zur Kanzerogenität ein. Zur praktischen Implementierung und Interpretation der Anforderungen dieser Leitlinie wurde in der Folgezeit eine weitere »Guideline on the assessment of genotoxic constituents in herbal substances/preparations« (EMEA/HMPC/107079/2007) entwickelt, die ein stufenweises Vorgehen der Testung (AMES-, In-vitro-, Invivo-Test) vorsieht. Ein praxisgerechtes Prüfkonzept soll in einem Anhang beschrieben werden.

Monographie in Arbeit: Boldoblätter (Boldi folium) sind die getrockneten Laubblätter von Peumus boldus Molina; sie werden bei leichten krampfartigen Magen-Darm-Beschwerden und dyspeptischen Beschwerden gegeben. Das EMEA-Gebäude am Canary Wharf in London.

Monographien und Listenpositionen

Die Vorgehensweise bei Aufrufen des HMPC an die Fachkreise, wissenschaftliche Daten zur Monographie- bzw. Listenerstellung einzureichen, ist in den sog. »Calls for Scientific Data« dargelegt, die jeweils pflanzenspezifisch publiziert werden und innerhalb festgelegter Fristen von den Fachkreisen bedient werden können. Gefordert werden bei entsprechenden Aufrufen u.a. strategische Angaben zur Literaturrecherche, eine Kennzeichnung der »peer-reviewed«-Publikationen und eine Differenzierung der Arbeiten in »wellestablished medicinal use« bzw. »traditional use«.

Ein neues »Reflection Paper on the Reasons and Timelines for Revision of Final Community Herbal Monographs and Community List Entries« (EMEA/HMPC326440/2008) beschreibt die Gründe, aus denen eine Revision bestehender Monographien und Listenpositionen vorgesehen ist. Dazu gehören sofortige Revisionen aus Gründen der Sicherheit (z.B. aufgrund neuer Daten aus der Pharmakovigilanz, europäischer Verfahren oder Studien bei Kindern), systematische Überarbeitungen im Abstand von 5 Jahren, wobei hier zuvor jeweils ein neuer »Call for Scientific Data« veröffentlicht werden soll, oder Revisionen aus speziellen Gründen, z.B. aufgrund umfangreicher neuer Literatur, regulatorischer Entscheidungen in den Mitgliedstaaten oder um Konsistenz von Texten innerhalb therapeutischer Gruppen zu erreichen.

Vom HMPC sind seit seiner Gründung zahlreiche Monographien erarbeitet worden. Eine Übersicht über die derzeit vorliegenden Monographien und Entwürfe zeigt [Tab.1]. Für einige dieser Projekte sind zusätzlich bereits Listenpositionen erarbeitet worden, die in Analogie zur Monographie den Bereich des »traditional use« erfassen. Sie werden allerdings erst dann in finaler Form publiziert, wenn sie auch von der Europäischen Kommission verabschiedet worden sind.

Tab. 1: Übersicht über Monographien und Monographie-Entwürfe, Stand September 2008 (http://www.emea.europa.eu/pdfs/human/hmpc/27806706en.pdf). verabschiedete Monographien Monographieentwürfe Aloe Althaeae radix Anisi aetheroleum Avenae fructus Anisi fructus Avenae herba Betulae folium Boldi folium Calendulae flos Centaurii herba Echinaceae purpureae herba Harpagophyti radix Eleutherococci radix Menthae piperitae folium Equiseti herba Polypodii rhizoma Foeniculi amari fructus Rusci aculeati rhizoma Foeniculi amari fructus aetheroleum Salicis cortex Foeniculi dulcis fructus Solidaginis virgaureae herba Frangulae cortex Urticae folium Lini semen Urticae herba Lupuli flos Meliloti herba Melissae folium Menthae piperitae aetheroleum Passiflorae herba Plantaginis ovatae semen Plantaginis ovatae semen tegumentum Primulae flos Primulae radix Psyllii semen Rhamni purshianae cortex Rhei radix Sambuci flos Sennae folium Sennae fructus Thymi herba Valerianae radix Verbasci flos

Dr. Barbara Steinhoff

Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.V. (BAH)

Ubierstr. 71–73

53173 Bonn

Email: steinhoff@bah-bonn.de

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