physioscience 2009; 5(1): 36-37
DOI: 10.1055/s-0028-1109171
Veranstaltungsberichte

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kongress „Armut und Gesundheit“ am 5./ 6.12.2008 in Berlin – Gerechtigkeit schafft mehr Gesundheit für alle!

G. R. Bollert1
  • 1Hochschule 21, Studiengang Physiotherapie
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Publication Date:
19 February 2009 (online)

Zum 14. Mal veranstaltete Gesundheit Berlin e. V. am 1. Freitag und Samstag im Dezember den Kongress Armut und Gesundheit im Rathaus Schöneberg in Berlin. Das Motto lautete Gerechtigkeit schafft mehr Gesundheit für alle!

Über 1500 Teilnehmende verteilten sich auf mehr als 80 Foren, Workshops und Podiumsdiskussionen, um über der gesundheitlichen Folgen sozialer Benachteiligung zu diskutieren. Prägnantes Merkmal des Kongresses war wieder die unmittelbare und lebendige Verknüpfung von Wissenschaft, Praxis, Wirtschaft und Politik, da soziale und wirtschaftliche Bedingungen für die Gesundheitssituation oft wichtiger sind als die eigentliche Gesundheitsversorgung [1].

Neben Wissenschaftlern wie Michael Marmot und Andreas Mielck, Sachverständigenräten wie Ralf Rosenbrock und Gerd Glaeske und Politikern wie Monika Hommes setzten sich die über 400 aktiven Referenten und Moderatoren erneut aus den unterschiedlichsten Berufsgruppen mit Fragen zum Verhältnis von Gerechtigkeit und Gesundheit auseinander: Juristen, Sozialarbeiter, Mediziner, Psychologen, Soziologen, Erzieher, Vertreter der Krankenkassen und Wohlfahrtsverbände, Studenten und Wissenschaftler, ehrenamtlich in Sozialprojekten Tätige, Ökotrophologen, Pflegeren und viele mehr. Entsprechend vielfältig und erfrischend, aber auch deutlich fielen die Diskussionen aus.

Erstmals gab es auch einen Workshop zum Thema Akteure der Gesundheitsförderung: Gesundheitsberufe Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie ([Abb. 1]). Dessen Ziel bestand darin, nach einer allgemeinen Einführung in die 3 Gesundheitsberufe hinsichtlich ihrer Kompetenzen, Rahmenbedingungen wie auch aktuellen Herausforderungen unterschiedliche Setting-Ansätze vorzustellen, die im Rahmen der Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie entwickelt wurden. Diese wurden jeweils in ihrer Bedeutung für die Primärprävention und Gesundheitsförderung für sozial benachteiligte Menschen dargestellt und anschließend mit den Teilnehmern diskutiert.

Abb. 1 Die Referenten des Workshops der Gesundheitsberufe (von links nach rechts): Mareen Menzel (Logopädie), Margaret Schmidt (Ergotherapie), Gesche Bollert (Physiotherapie) und Dr. Tobias Erhardt (Physiotherapie).

Das Einführungsreferat des Kongresses hielt Prof. Dr. Michael Marmot, Leiter der WHO-Kommission Soziale Determinanten von Gesundheit. Er stellte den aktuellen Bericht der Kommission Closing the Gap in a Generation vor und verdeutlichte, dass Einkommen, Arbeit, Bildung und Teilhabe die entscheidenden Einflussfaktoren für ein gesundes Aufwachsen und Leben sind. Damit deutete er einmal mehr auf die Notwendigkeit hin, dies als eine gesamtgesellschaftliche und langfristige Aufgabe zu verstehen, da keines der Ziele kurzfristige Lösungen zuließe, was sich durchaus auch in dem Titel des Berichts widerspiegelt: „Wir müssen uns diesen mit sozialer Ungleichheit verbundenen Problemen stellen, auch wenn es weder einfache, noch rasche Lösungen geben wird. Aber nur eine gerechte Welt kann eine gesunde Welt werden.“

Im Anschluss hob Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, WZB, Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, hervor, dass auch in Deutschland eine erhebliche Ungleichheit der Gesundheitschancen bestehe, die nicht allein Aufgabe der Gesundheitspolitik sein könne. Um Menschen eine höhere Lebensqualität und -erwartung zu ermöglichen, sind unter anderem auch die Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik gefragt, da die gesundheitlichen Konsequenzen die zugrunde liegenden ungleichen Chancen auf Bildung, Arbeit und Einkommen widerspiegeln.

Nach den Einführungsvorträgen verteilten sich die Teilnehmer auf ca. 15 parallel stattfindende Foren und Workshops zu z. B. folgenden Themen:

Internationale und nationale Strategien; Gesundheit und Migration; Gesundheit und Alter; Soziale und gesundheitliche Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen; Gesundheitsförderung im Stadtteil/in der Kommune; Betriebliche Gesundheitsförderung; Gesundheitsförderung in Hochschulen und Sportvereinen; Salutogenese; Psychische Gesundheit.

Dabei wurden in allen Veranstaltungen eher kurze Impulsreferate gehalten, damit genügend Zeit für Diskussionen blieb. Präsentiert wurden unter anderem Strategien gegen Kinderarmut und gesundheitliche Folgen von Arbeitslosigkeit, Ergebnisse aus der Präventionsforschung sowie Konzepte für Qualitätssicherung und -verbesserung bei gesundheitsfördernden Maßnahmen. Einziger Wermutstropfen war, dass die Entscheidung bei derart vielen Parallelveranstaltungen nicht immer einfach ausfiel und das Studieren der Kongressunterlagen viel Zeit kostete. Dafür gab es allerdings ausreichend Pausen, in denen professionell für Essen und Getränke gesorgt war und eine vielfältig bestückte Industrieausstellung besucht werden konnte.

Der Kongress schloss mit einer Podiumsdiskussion, die das Thema der Gerechtigkeit nochmals explizit aufgriff ([Abb. 2]). Die Schirmherrschaft des Kongresses übernahmen erneut die Bundesministerin für Gesundheit, Ulla Schmidt, und der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit.

Abb. 2 Podium der Abschlussveranstaltung (von links nach rechts): Prof. Rolf Rosenbrock (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, Berlin), Katrin Lompscher (Senatorin für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz, Berlin), Prof. Ulrike Maschewsky-Schneider (Moderation; Berlin School of Public Health), Prof. Gerd Glaeske (Moderation; Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, Universität Bremen), Monika Hommes (Leiterin des Referats Präventionsgesetz, Qualitätssicherung, Innovative Modelle der Prävention im Bundesministerium für Gesundheit, Berlin) und Dr. Hans-Jürgen Urban (Mitglied des Vorstands der IG Metall, Frankfurt/M.).

Fazit: Ein sehr lebendiger Kongress, der für viele inhaltliche Schwerpunktsetzungen etwas bereit hielt und prägnante Themen der momentanen Praxis transportierte. Obwohl sich die Vorträge sehr im Niveau unterschieden, waren es gerade diese vielschichtigen Einblicke in die große, nicht leicht zu überblickende Diversität des Feldes der Prävention und Gesundheitsförderung, die den Kongress besonders machten.

Es wäre wünschenswert, dass sich die begonnene Diskussion mit Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Logopäden in den nächsten Jahren fortsetzt und diese noch deutlicher als Akteure auch für das Feld der gesundheitlichen Ungleichheit auftreten.

(Weitere Infos auch unter: www.gesundheitliche-chancengleichheit.de)

Literatur

  • 1 CSDH (Kommission für soziale Determinanten von Gesundheit) .Closing the gap in a generation: health equity through action on the social determinants of health. Geneva; World Health Organisation 2008 www.who/int/social_determinants/en/

Gesche Rega Bollert

Hochschule 21

Studiengang Physiotherapie

Harburger Str. 6

21614 Buxtehude

Email: regebo@aol.com

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