Fortschr Neurol Psychiatr 2009; 77(11): 629-630
DOI: 10.1055/s-0028-1109841
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Transiente globale Amnesie: Wenn das Abspeichern der eigenen Vergangenheit (vorübergehend?) hakt

Transient Global Amnesia: When Memorising Your Own Past (Temporarily?) FailsG. R. Fink1
  • 1Klinik und Poliklinik für Neurologie, Uniklinik Köln
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Publication Date:
03 November 2009 (online)

Im Weiterbildungsteil der vorliegenden Ausgabe der Fortschritte der Neurologie Psychiatrie geht es um ein eindrucksvolles und allen klinisch tätigen Neurologen und Psychiatern vertrautes Erkrankungsbild: die transiente globale Amnesie [1]. Bei der transienten globalen Amnesie (TGA, amnestische Episode) kommt es plötzlich zu einer Störung des episodischen Gedächtnisses, die in der Regel wenige Stunden (maximal einen Tag, mittlere Dauer 6 – 8 h) anhält und dann vollständig remittiert. Im Gegensatz zum Delir finden sich bei der TGA keine weiteren kognitiven Störungen, insbesondere keine Störungen der Aufmerksamkeit. Zudem ist die Orientierung zur Person bei der TGA erhalten, während die Orientierung zum Ort und zur Zeit bedingt durch die Gedächtnisstörung eingeschränkt ist (die Patienten fragen in fremder Umgebung zum Beispiel immer wieder „Wo bin ich?”, „Wie komme ich hierher?”). Das neuropsychologische Charakteristikum der TGA ist die deutliche Störung des anterograden Langzeitgedächtnisses: über die Spanne des Arbeitsgedächtnisses hinaus kann sich der betroffene Patient keine Informationen merken und es verbleibt nach der amnestischen Episode dementsprechend auch eine Erinnerungslücke für die Dauer der Episode. Eine leichte Beeinträchtigung des retrograden Gedächtnisses variabler Ausprägung kann ebenfalls vorliegen, weil bereits im Gang befindliche Konsolidierungsprozesse durch die bilaterale hippokampale Funktionsstörung ebenfalls beeinträchtigt werden können. Das prozedurale (implizite) und semantische Alt-(Langzeit-)gedächtnis sind von der TGA dagegen charakteristischerweise nicht betroffen. Die Denk- und Handlungsfähigkeit sowie das Sprachverständnis der Patienten sind ebenfalls nicht eingeschränkt. Soweit – so gut?

Nein, denn obwohl das Krankheitsbild seit Langem bekannt und keineswegs selten ist – nach wie vor ist erstaunlich wenig zu den Pathomechanismen der TGA bekannt. Neue Erkenntnisse weisen dabei auf wichtige Faktoren hin: Bei mehr als der Hälfte der TGA-Patienten lassen sich wenige Millimeter große MRT-Diffusionsstörungen mit ADC-Korrelat in der Akutphase, am häufigsten aber innerhalb von 48 h nach Beginn der Symptome im lateralen Anteil des Hippokampus – fast ausschließlich die CA 1-Region betreffend – nachweisen [2] [3] [4]. Patienten mit einer Rezidiv-TGA haben signifikant mehr Triggerfaktoren und eine duplexsonografisch nachweisbare Arteriosklerose der Karotis [5], ohne dass bei letzterer bisher ein kausaler Zusammenhang mit der TGA hergestellt werden kann. Niedrige Temperaturen stellen einen unabhängigen Prädiktor für das Auftreten einer TGA dar: Pro Temperaturanstieg um 8,4 °C ergibt sich eine Reduktion der stationären Aufnahme wegen der Diagnose TGA um 22 %, die meisten TGA-Fälle fanden sich bei Temperaturen unter 6,9 °C [6]….

Dennoch: Auch solche neuen Erkenntnisse können nicht verdecken, dass die Pathomechanismen der TGA nach wie vor unverstanden sind und dass manches Dogma der Vergangenheit sogar durch neue Studienergebnisse ins Wanken gerät: Mittels 3-Tesla-MRT in T 2-Wichtung lassen sich bei TGA-Patienten signifikant häufiger als bei Kontrollen kleine Läsionen im Bereich des Hippokampus nachweisen [7]. Differenzierte neuropsychologische Testbatterien können entgegen der eigentlichen TGA-Definition, die eine völlige Restitution innerhalb von 24 h fordert, bei vielen Patienten noch Tage bis Monate nach dem Ereignis signifikante Einschränkungen des nonverbalen Langzeitgedächtnisses nachweisen [8] [9]. Das heißt, die TGA ist keineswegs eine rein vorübergehende Funktionsstörung, die ohne morphologisch fassbare Spuren ausheilt. Das heißt aber auch: Es besteht weiterhin ein hoher Bedarf, dieses unzulänglich verstandene Erkrankungsbild nicht nur klinisch besser zu verstehen, sondern auch seine Grundlagen intensiver zu erforschen. Eine schnelle und sichere Diagnosestellung ist hierfür ebenso Voraussetzung wie eine Intensivierung der Ursachenforschung.

Die Fortschritte haben sich in der Vergangenheit sowohl klinisch wie auch wissenschaftlich immer wieder intensiv mit Gedächtnis und Gedächtnisstörungen beschäftigt [10] [11] [12] [13]. Die dringende Notwendigkeit, dies auch in Zukunft zu tun, besteht fort.

Prof. Dr. G. R. Fink

Literatur

  • 1 Klötzsch C. Transiente globale Amnesie: Diagnose und Differenzialdiagnosen.  Fortschr Neurol Psychiatr. 2009;  77 669-677
  • 2 Sedlaczek O, Hirsch J G, Grips E. et al . Detection of delayed focal MR changes in the lateral hippocampus in transient global amnesia.  Neurology. 2004;  62 2165-2170
  • 3 Winbeck K, Etgen T, Einsiedel H G. et al . DWI in transient global amnesia and TIA: proposal for an ischemic origin of TGA.  JNNP. 2005;  76 438-441
  • 4 Bartsch von T, Alfke K, Stingele R. et al . Selective affection of hippocampal CA-1 neurons in patients with transient global amnesia without long-term sequelae.  Brain. 2006;  129 2874-2884
  • 5 Agosti C, Akkawi N M, Borroni B. et al . Recurrency in transient global amnesia: a retrospective study.  Eur J Neurol. 2006;  13 986-989
  • 6 Akkawi N M, Agosit C, Grassi M. et al . Weather conditions and transient global amnesia. A six-year study.  J Neurol. 2006;  253 194-198
  • 7 Nakada T, Kwee I L, Fujii Y. et al . High-field, T 2 reversed MRI of the hippocampus in transient global amnesia.  Neurology. 2005;  64 1170-1174
  • 8 Kessler J, Markowitsch H J, Rudolf J. et al . Continuing cognitive impairment after isolated transient global amnesia.  Int J Neurosci. 2001;  106 159-168
  • 9 Guillery B, Desgranges B, Sayette de la V. et al . Transient global amnesia: concomitant episodic memory and positron emission tomography assessment in two additional patients.  Neurosci Lett. 2002;  325 62-66
  • 10 Benz R, Cramon D Y. Zum Stand der klinischen Gedächtnisforschung.  Fortschr Neurol Psychiatr. 1981;  49 438-445
  • 11 Calabrese von P, Markowitsch H J. Gedächtnis und Gehirn – Neurobiologische Korrelate von Gedächtnisstörungen.  Fortschr Neurol Psychiatr. 2003;  71 211-219
  • 12 Metzler P, Rudolph M, Voshage J. et al . Zum Begriff der Amnesie und zur quantitativen Beurteilung mnestischer Störungen.  Fortschr Neurol Psychiatr. 1991;  59 207-215
  • 13 Wetterling T. Amnestisches Syndrom – Stand der Forschung.  Fortschr Neurol Psychiatr. 1995;  63 402-410

Prof. Dr. Gereon R. Fink

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