Dtsch Med Wochenschr 1952; 77(6): 168-170
DOI: 10.1055/s-0028-1115906
Klinik und Forschung

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Das Raum- und Zeiterleben unter abnormen Bedingungen, besonders im Meskalinrausch1

Richard Wolf
  • Univ.-Nervenklinik, Frankfurt/Main (Leiter: Prof. Dr. Kleist)
1 Antrittsvorlesung, gehalten vor der Medizinischen Fakultät der Universität in Frankfurt a. M., am 29. Juni 1950.
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Publication Date:
22 April 2009 (online)

Zusammenfassung

Das subjektive Raum- und Zeiterleben ist von der objektiven Raum- und Zeitwahrnehmung zu unterscheiden. Diesem Erleben eignet ein besonderes Gestimmtsein, es spiegelt in seiner Dynamik die Besonderheit des subjektiven „Sich-inder-Welt-Befindens” wider.

Die Besonderheiten des Raum- und Zeiterlebens ermöglichen ein tiefergreifendes Verstehen der Psychopathologie des psychotischen Geschehens. Während bei den phasischen Erkrankungen vorwiegend das Zeiterleben eine Abwandlung erfahrt, zeigt sich bei dem schizophrenen Formenkreis die Veränderung des Raumerlebens besonders deutlich. So verliert der manisch Erregte im Grenzfall das Bewußtsein der eigenen zeitlichen Bezogenheit, das Erleben springt von Augenblick zu Augenblick weiter im Sinne eines sich stets erneuernden präsentischen Daseins. Dem gegenüber ist bei schizophren Erkrankten das Raumerleben als Ausdruck des Feldes des kommunikativen Austausches beeinträchtigt, während das Zeiterleben seines Richtungscharakters verlustig geht.

Die Eigenheiten des Meskalinrausches, daß bei erhaltenem Bewußtsein die subjektiven Erleben gegenüber den objektiven Wahrnehmungen sich aufdringlich in den Vordergrund stellen, ermöglichen das Erfahrnis der Abänderung des Raum- und Zeiterlebens. Eindrucksvoll ist die schrittweise Entwicklung eines Raumerlebens, das völlig gegenstandsfrei ist. Bezüglich der Zeit wird die Aufhebung des subjektiven Zeitgefühls erfahren, das als Zeitlosigkeit, Ewigkeit oder Leere erlebt wird. Der gleichzeitige Verlust des eigenen Persönlichkeitsgefühls weist darauf hin, daß es sich im Meskalinrausch bezüglich der Raum- und Zeiterlebnisse um ichseitige Zustände handelt.

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