Dtsch Med Wochenschr 1952; 77(8): 225-229
DOI: 10.1055/s-0028-1115921
Klinik und Forschung

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Der notwendige Wandel in der Deutung der experimentellen B1-Avitaminose und in der Auffassung des Vitamins B1 als antineuritischen Wirkstoffes

Herbert Luckner, Rolf Magun
  • Physiologischen Institut (Direktor: Prof. Dr. Mond) und der Neurologischen Klinik (Direktor: Prof. Dr. Pette) der Univ. Hamburg
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Publication Date:
22 April 2009 (online)

Zusammenfassung

Entgegen der immer noch vertretenen Auffassung läßt sich im Versuch am Menschen oder an Versuchstieren durch reinen Mangel an Vitamin B1 keine Erkrankung oder Leistungsminderung an peripheren Nerven erzeugen. Die B1-Avitaminose ist daher auf keinen Fall mit der polyneuropathischen Form der Beriberi vergleichbar. Die im Tierversuch nachweisbaren Schädigungen nervöser Leistungen sind nach neurologischen und neurohistologischen Befunden in den Hirnstamm zu lokalisieren. Den auch während des letzten Kriegs durch mangelhafte Ernährung gehäuft vorkommenden Erkrankungen peripherer Nerven liegt eine komplexere Schädigung als die durch reinen B1-Mangel zugrunde.

Entsprechend ergibt auch die Auswertung eines großen klinischen Materials, vor allem aus der Kriegs- und Nachkriegszeit, daß es bei Behandlung solcher Erkrankungen der peripheren Nerven, als deren sichere Ursache bislang B1-Mangel gegolten hat, hinsichtlich ihrer objektiven Erscheinungen und ihres Verlaufs gleichgültig ist, ob B1 in beliebiger Dosierung gegeben wird oder nicht. Das Vitamin B1 wirkt nicht antineuritisch und trägt seinen Namen Aneurinzu Unrecht.

Die günstige Beeinflussung der Beschwerden von Kranken mit Polyneuritis durch das Vitamin B1 — besonders bei sehr hoher Dosierung — beruht auf einer auch experimentell nachweisbaren, anhaltenden analgetischen Wirkung dieses Vitamins, nicht auf der Behebung eines Mangelzustandes.

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