Dtsch Med Wochenschr 1951; 76(8): 237-240
DOI: 10.1055/s-0028-1116635
Klinik und Forschung

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Wandlungen von Art und Häufigkeit der Komplikationsleiden bei Diabetes mellitus und ökonomische Diabetesbehandlung

Klinische Beobachtungen aus den Jahren 1939/1949Bernhard Knick (Schluß)
  • Medizinischen Universitätsklinik Leipzig (Direktor: Prof. Dr. M. Bürger)
Further Information

Publication History

Publication Date:
05 May 2009 (online)

Zusammenfassung

Der Nachweis einer Änderung der Krankheitshäufigkeit und des Krankheitstypus von Komplikationserkrankungen bei Diabetes mellitus bringt neue ätiologische und soziale Fragestellungen mit sich. Wandlungen im Krankheitsgeschehen (Pathomorphosen) können bei plötzlichen sozialen Umschichtungen hervortreten. Zumeist erscheinen sie in der Folge eingreifender Zeit- und umweltbedingter Milieuänderung, wie den umgestellten Versorgungsbedingungen des diät- und insulinabhängigen Zuckerkranken in der Kriegs- und Nachkriegszeit. Eine Zusammenstellung der Komplikationserkrankungen bei Diabetes mellitus zeigt im Verhältnis zur Vorkriegszeit ein eindeutiges Ansteigen von septischen Erkrankungen sowie ein Anwachsen der Tbc-Morbidität, während die pneumonischen Erkrankungen, Hypertension und Arteriosklerose an Häufigkeit deutlich abnehmen. Eine Vermehrung der Ikterusfälle bei Diabetes, unter vorwiegender Beteiligung der hämatogenen Hepatitis, wurde in der Nachkriegszeit beobachtet. Die Änderung der Krankheitshäufigkeit bei Diabetes mellitus projiziert sich auf eine Umschichtung in der Zusammensetzung der diabetischen Bevölkerung, der die durch Selektion des 6. und 7. Dezenniums veränderte Altersverteilung zugrunde liegt. Eine veränderte Infektionsbereitschaft hängt mit vermehrter Azidosegefährdung in der ersten Nachkriegszeit, in welcher auch das Koma diabeticum, gemessen an der Azidosebereitschaft, eine bedingte Pathomorphose durchlaufen hat, und den Folgen der Ernährungsumstellung zugunsten einseitiger Kohlehydratbelastung zusammen. Wesentlich ist die Erkenntnis, daß trotz KH-Toleranzsteigerung bis zum individuellen Optimum unter fettarmer Kostführung die Ketosebereitschaft nicht wirksam verringert wird, wenn nicht ausreichender Insulinschutz garantiert ist, und daß langfristige kalorienarme Ernährung weder für die Ketosevorbeugung noch für die gesamte Stoffwechselkompensation und die Widerstandskraft des Zuckerkranken günstig ist. Die Erfahrungen einer Pathomorphose der Komplikations- und Ketosebereitschaft bei Diabetes mell. zwangen zu besonders ökonomischer Diabetesbehandlung. Sie sind immer wieder ein Hinweis darauf daß die Insulintherapie als Vitalindikation bei Jugendlichen, Komagefährdeten, Untergewichtigen und mit Komplikationen belasteten Zuckerkranken in erster Linie anzugreifen hat.

    >