Dtsch Med Wochenschr 1952; 77(47): 1469-1472
DOI: 10.1055/s-0028-1117272
Klinik und Forschung

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Die konvergierende Betrachtungsweise in der Praxis der Neurosen1

H. Barahona-Fernandes
  • Psychiatrischen Universitäts-Klinik Lissabon (Direktor: Prof. Dr. H. Barahona-Fernandes)
1 Übersetzt von Gerhard Koch, Münster.
Further Information

Publication History

Publication Date:
05 May 2009 (online)

Zusammenfassung

Die Fähigkeit des Menschen, „neurotisch” zu reagieren, ist keine Krankheit wie die meisten anderen. Sie beruht vor allem auf einer falschen Einstellung des Ich in verschiedenartigen Situationen, seelischer wie körperlicher Art.

Diese neurotische Reaktion entwickelt sich auf Grund der verschiedensten Gegebenheiten: bei psychopathischen Persönlichkeiten, infolge innerer Konflikte, psychischer Traumen, bei schlechter sozialer Anpassung, bei Störungen des biologischen Gleichgewichtes und der Vitalität, und auch bei gewissen organischen Krankheiten.

Die neurotischen Symptome sind unspezifisch und sind auf verschiedene ätiologische und pathogenetische Faktoren zurückzuführen.

Als allgemeine Orientierung in dem weiten Feld der neurotischen Reaktionen hat sich folgendes Grundschema von vier „Koordinaten” als nützlich erwiesen:

1. Psychische und soziale Faktoren. 2. Die psychophysische Persönlichkeit. 3. Die Schwankungen des Vitaltonus des Individuums. 4. Die faßbaren organischen Faktoren.

In der Pathogenese der Symptome sind alle diese Faktoren in unterschiedlichem Maße ausgeprägt. In die Beurteilung der neurotischen Reaktion schließen wir also das subjektive persönliche Erleben und das „nervöse” Verhalten in der Umwelt ein. Die Persönlichkeit und die Vitalität sind dabei in ihrer gegenseitigen Wechselwirkung zu bewerten. Bei einer noch umfassenderen Betrachtungsweise erkennen wir dann die „Globalreaktion” des Individuums in seiner Abhängigkeit von konstitutionell-hereditären und von den gesamten Umweltfaktoren.

Diese „konvergierende Betrachtungsweise” hebt also die vier erwähnten wesentlichen Gesichtspunkte aus der Gesamtheit heraus. Der Kliniker muß alle diese Kriterien bei der Untersuchung und Beurteilung seiner Kranken berücksichtigen um den wirksamsten Behandlungsweg finden zu können.

    >