Dtsch Med Wochenschr 1931; 57(22): 921-925
DOI: 10.1055/s-0028-1124519
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Perlsuchtbazillen als Erreger menschlicher Tuberkulose

(Neue Forschungsergebnisse.)Bruno Lange
  • Aus dem Institut „Robert Koch” in Berlin
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Publication Date:
06 May 2009 (online)

Zusammenfassung

Als Erreger der menschlichen Tuberkulose sind Perlsuchtbazillen vielfach nachgewiesen worden, die Infektion des Menschen mit bovinen Bazillen ist aber bei weitem nicht so häufig wie die mit Tuberkelbazillen des humanen Typus. Wenn der Verlauf der Perlsuchtinfektion im allgemeinen gutartiger ist als die Infektion mit humanen Bazillen, so liegt dies offenbar daran, daß die erstere in der Regel vom Verdauungstraktus, also von widerstandsfähigen Organen, ihren Ausgang nimmt, während die menschlichen Tuberkelbazillen vorzugsweise direkt auf dem Luftwege die hochempfänglichen Lungen befallen. Auf eine geringere Pathogenität der Perlsuchtbazillen für den Menschen darf aus diesem Sachverhalt nicht geschlossen werden, ebensowenig dürfen wir eine Harmlosigkeit der Perlsuchtbazillen aus dem auffallend geringen Erfolg schließen, den die subkutane Verimpfung lebender Perlsuchtbazillen bei Erwachsenen gehabt hat. Es fehlt hier der Vergleich mit der Wirkung subkutan verimpfter humaner Tuberkelbazillen. Die Neigung, im menschlichen Körper bzw. in der künstlichen Kultur an Virulenz zu verlieren, ist augenscheinlich bei bovinen Stämmen etwas stärker ausgeprägt als bei humanen.

Die neuesten Ergebnisse von A. St. Griffith, von Munro, und die aus dem Institut Robert Koch betreffend Perlsuchtbazillen als Erreger der Lungenschwindsucht zeigen, daß die allgemein verbreitete Auffassung von der extremen Seltenheit der „bovinen” Lungenschwindsucht heute nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Unter rund 1700 im ganzen untersuchten Fällen von Lungenschwindsucht konnten bis heute 30 = 1,8% Perlsuchtinfektionen ermittelt werden. Wenn man in Zukunft in größerem Umfange Kranke heran- zieht, die in ihrem Beruf mit perlsuchtkranken Rindern zu tun gehabt haben, also exponiert gewesen sind, dürfte die Prozentzahl boviner Infektionen noch wesentlich zunehmen. Es verdienen diese Befunde ganz besondere Beachtung, da Robert Koch seine Auffassung von der Harmlosigkeit der Perlsuchtinfektion für den Menschen vorwiegend mit den negativen Befunden bei der praktisch wichtigsten Form der menschlichen Tuberkulose, der Lungenschwindsucht, begründet hat.

Bei Verwertung auch der neuesten Forschungsergebnisse werden wir auch heute noch der Auffassung Robert Kochs zustimmen müssen, daß die Bekämpfung der Tuberkulose in der Hauptsache gegen die Uebertragung von Mensch zu Mensch zu richten ist. Anderseits geht nach meiner Ansicht aus allen Erfahrungen doch hervor, daß Koch zu weit gegangen ist, indem er die Infektion mit Perlsuchtbazillen als eine vorwiegend harmlose und in der Regel nicht zu schwerer Erkrankung führende bezeichnet hat. Wir haben keinen Anlaß, den Perlsuchtbazillen eine geringere Pathogenität zuzusprechen als den humanen, und wir müssen deshalb die Rindertuberkulose nicht nur aus landwirtschaftlichen und ökonomischen Gründen, sondern auch im Interesse der Volksgesundheit mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln bekämpfen.

Zur weiteren Klärung der Frage scheint mir eine Fortsetzung der Untersuchungen über das Vorkommen von Perlsuchtbazillen, vor allem bei der Lungenschwindsucht des Erwachsenen, dringend wünschenswert. Derartige Untersuchungen haben aber nicht bloß deswegen praktische Wichtigkeit, weil sie eine Abschätzung der den Menschen von Perlsuchtbazillen drohenden Gefahr gestatten, sie sind auch geeignet, uns über die Bedeutung der Superinfektion (Nachweis beider Bazillentypen bei demselben Menschen) wertvolle Aufschlüsse zu geben, und ferner, da sie sich auf eine ländliche, oft erst in späterem Lebensalter von Tuberkulose durchseuchte Bevölkerung beziehen, in Verbindung mit Tuberkulinprüfungen größerer Bevölkerungsgruppen in solchen ländlichen Bezirken an der Lösung eines Problems mitzuwirken, das ich als eines der wichtigsten der Tuberkuloseforschung der Gegenwart bezeichnen möchte, der Frage nach dem Verlauf der tuberkulösen Erstinfektion beim Erwachsenen.

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