Dtsch Med Wochenschr 1931; 57(30): 1274-1276
DOI: 10.1055/s-0028-1124629
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Bleibende Formveränderungen am Digestions- und Urogenitaltraktus infolge pathologischer Sphinkterfunktion1)

Walter Lehmann in Frankfurt a. M. 1) Nach einem am 16. III. 1931 im Aerztlichen Verein gehaltenen Vortrag.
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Publication Date:
27 August 2009 (online)

Zusammenfassung

1. Idiopathische Oesophagusdilatation bzw. Kardiospasmus, sogenannte kongenitale Pylorusstenose und Hirschsprungsche Erkrankung sind Folgen einer Sphinkterdysfunktion (Sphincter cardiae, pylori, ani, pelvirectalis). Eine gleiche Aetiologie liegt bei gewissen Formen sogenannter kongenitaler Hydronephrosen, Megaureteren, Megavesika und wahrscheinlich bei der sogenannten idiopathischen Choledochuszyste vor (Ureterostien, Sphincter vesicae, Sphincter Oddi). Bei den hypopharyngealen Pulsionsdivertikeln des Oesophagus haben wir neben einer krankhaften Funktion des oberen Speiseröhrensphinkters wahrscheinlich in anatomischen Veränderungen des Laimerschen Dreiecks einen weiteren dispositionellen Faktor.

2. Die Sphinkterstörungen äußern sich meist in einem fehlenden Oeffnungsreflex (Achalasie), doch können auch Spasmen vorkommen, ja manchmal hat man den Eindruck einer völligen Sphinkterzügellosigkeit. Sie äußert sich vor allem bei manchen Fällen von Megakolon in dem Wechsel von Inkontinenz und chronischer Obstipation, bei Fällen von Megavesika, Megaureter und Hydronephrose in periodenweiser Sphinkterinsuffizienz bzw. erschwerter Miktion.

3. Die Sphinkterdysfunktion führt zu Stauung, Hypertrophie und Dilatation des dem Sphinkter vorgelagerten Hohlorgans.

4. Ein Teil der den einzelnen Krankheitsbildern zugrundeliegenden Achalasien ist angeboren, betrifft wie Pylorusstenose und Hirschsprungsche Krankheit mehrere Familienglieder und ist vererbbar. Die konstante Proportion 5 : 1, die wie ein roter Faden alle Erkrankungen durchzieht, und die nur bei der Choledochuszyste eine Umkehrung zugunsten der Mädchen erfährt, ist wahrscheinlich durch die Eigenart des noch völlig unbekannten Erbganges bedingt.

5. Die kongenitalen Achalasien treten unter Umständen an den Sphinkteren mehrerer Organe und Organsysteme gleichzeitig auf und täuschen so kongenitale Organmißbildungen vor.

6. Bei der Oesophagusdilatation (Kardiospasmus) ist die Sphinkterdysfunktion meist, bei dem Oesophagusdivertikel stets erworben.

7. Die hier niedergelegten Anschauungen ermöglichen eine größere Zweckmäßigkeit und zielbewußtere Ausführung unserer chirurgischen Maßnahmen bei der Pylorusstenose und der Hirschsprungschen Erkrankung, vielleicht auch bei den sonst infausten sogenannten kongenitalen Hydronephrosen.

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