Dtsch Med Wochenschr 1911; 37(15): 683-686
DOI: 10.1055/s-0028-1130601
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Ueber die sog. „paradoxe“ Wassermannsche Reaktion

Carl Rasp, Erich Sonntag
  • Aus dem Institut zur Erforschung der Infektionskrankheiten an der Universität in Bern. (Direktor: Prof. Dr. Kolle.)
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Publication Date:
22 June 2009 (online)

Zusammenfassung

1. Eine „paradoxe“ Reaktion im Sinne des Umschlagens der Reaktionsfähigkeit des Serums von positiv zu negativ oder umgekehrt kommt weder bei eindeutig positiv reagierenden syphilitischen, noch bei negativ reagierenden, nicht syphilitischen Sera vor, vorausgesetzt, daß die Sera sachgemäß aufbewahrt und in richtiger Methodik und Technik untersucht werden. Voraussetzung für derartige vergleichende Untersuchung ist aber gleichmäßige Versuchsanordnung, speziell die Verwendung gleicher Antigene. Lediglich diejenigen luetischen Sera, welche auf der weiter oben präzisierten Grenze der Reaktionsfähigkeit stehen, können unter Umständen bei wiederholten Untersuchungen geringe Schwankungen, nach der positiven Seite hin aber nur in Form der inkompletten Hemmung der Hämolyse, darbieten; diese Schwankungen sind durch Unregelmäßigkeiten in der Versuchsanordnung zu erklären. Ein Umschlagen der Reaktion kommt also nicht vor in dem Sinne, daß die für Syphilis charakteristischen Reaktionskörper des Serums kurz nach der Entnahme nicht in diesem enthalten sind, sondern sich erst während der Aufbewahrung des Serums in ihm bilden oder daß sie zunächst vorhanden sind und dann verschwinden. Es müßte sonst auch der Gehalt an Reaktionskörpern progessiv ab-, bzw. zunehmen und im positiven Falle nicht nur bisweilen und wechselnd schwach angedeutet, sondern zu einer bestimmten Zeit voll ausgeprägt sein.

2. Inkomplette Reaktionen, wie sie in der Arbeit beschrieben sind, dürfen weder im positiven noch im negativen Sinne entscheiden; in solchen Fällen ist das Resultat als verdächtig anzusehen und die Reaktion mit derselben und mit einer neuen Blutprobe zu wiederholen.

3. Die Sera sollen stets möglichst frisch untersucht werden; bei der Beurteilung aufgehobener Sera ist Vorsicht, speziell genaue Beachtung der Versuchsmethodik und der Kontrollen notwendig. Die speziell für die Nachuntersuchung wichtigsten Gesichtspunkte der Technik seien hier kurz wiederholt: Jedes Serum ist mit mehreren Antigenen, sowie zwecks quantitativer Austitrierung mit einem Antigen bzw. Antigengemisch in fallenden Dosen zu prüfen; die Antigene müssen sorgfältig eingestellt sein, speziell auf nur spezifische Wirksamkeit, und dürfen in der höchst brauchbaren Dosis nicht allein hemmen. Das Serum darf nicht allein hemmen; diese Kontrolle ist ev. bis zur drei- bis fünffachen Dosis Serum anzustellen. Das hämolytische System muß reichlich genug bemessen und zur Erzielung gleichmäßiger Resultate genau eingestellt sein; das Komplement ist nicht nur auf seinen hämolytischen Titer, sondern auch auf seine Deviabilität zu prüfen; dies geschieht zweckmäßig durch Titrierung des Komplements einmal ohne und einmal mit Antigen in der höchsten brauchbaren Dosis jedesmal vor dem Versuch, sowie durch Verwendung bekannter Standardsera bei dem Versuch.

Es ergibt sich aus unseren Ausführungen die jedem erfahrenen und kritischen Untersucher immer eindringlicher werdende Ueberzeugung, daß die Methodik und Technik der Wassermannschen Reaktion eine besondere Sachkenntnis, Uebung und ständige Selbstkritik eines erfahrenen Biologen erfordert und daß eine Sicherheit der Untersuchungsergebnisse nur in einem Speziallaboratorium gewährleistet werden kann, anderseits aber die Erkenntnis, daß die Methode, in sachgemäßer Weise (mit brauchbaren und gut eingestellten Antigenen, genau titriertem Komplement, Beobachtung der Kontrollen etc.) gehandhabt, äußerst zuverlässige und diagnostisch brauchbare und, wenn auch bisweilen fragliche, so doch nie unrichtige Resultate ergibt.

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