Dtsch Med Wochenschr 1953; 78(25): 904-907
DOI: 10.1055/s-0028-1131395
Klinik und Forschung

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Probleme der gutachtlichen Beurteilung funktioneller Hirntraumafolgen1

W. L. Mascher
  • Niedersächs. Landeskrankenhaus Tiefenbrunn bei Göttingen (Direktor: Ob.-Med.-Rat Dr. Kühnel)
1 Nach einem Vortrag auf der Tagung der Arbeitsgemeinschaft für Hirntraumafragen in Mainz 18.—20. 4. 1952.
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Publication Date:
21 April 2009 (online)

Zusammenfassung

Zusammenfassend möchte ich nur darauf hinweisen, vor wie weittragende Probleme die gutachtliche Beurteilung funktioneller Hirntraumafolgen stellt.

Der Gutachter kann der Verantwortung seiner nach allen Seiten hin so schwierigen Position nur gerecht werden, wenn er seine Stellung als „Sachverständiger” klar erkennt und nicht überschreitet.

Eben das aber zwingt zur erneuten Überprüfung der Lehrmeinung eines unmöglichen ursächlichen Zusammenhanges zwischen psychogener Reaktion und äußerer Einwirkung. Das ist allerdings ein sehr heißes Eisen, doch wird man de Morsier beipflichten müssen, wenn er nachdrücklich fordert, daß wir es anfassen müssen und nicht fallen lassen dürfen, bis der untragbare Zustand beseitigt ist, daß die entgegengesetzte Rechtsprechung höchstrichterlicher Instanzen zu einem Gefühl der Rechtsunsicherheit und zu einem Mißtrauen gegen die ärztliche Wissenschaft führt, — auf einem so bedeutsamen Gebiet wie dem ärztlichen Gutachterwesen.

Abschließend möchte ich jedoch nachdrücklich der Hoffnung Ausdruck geben, daß niemand meine Ausführungen dahingehend mißverstanden haben möge, daß ich etwa dem „Rentenhysteriker” das Wort reden wollte. — Ganz im Gegenteil: Jede nicht sehr kritische Betrachtung der funktionellen Hirntraumafolgen würde auf das schwerste gegen unsere rechtliche Verantwortung als Gutachter verstoßen. Wir haben sogar in besonders hohem Maße in Rechnung zu stellen, daß leider gerade die heutigen sozialen Verhältnisse Rententendenzen und Versorgungswünsche auch bei Menschen wachrufen werden, die durchaus nicht zu dem Typ des plumpen Rentenjägers gehören. Viel häufiger handelt es sich um Menschen, denen es gar nicht bewußt ist, daß ihre verzweifelte soziale Not den Wunsch nach einer Sicherung zum Vater ihres „Nicht-mehr-Könnens” macht.

Die Fälle dagegen, von denen ich sprach, sind — insofern brauchen die Versicherungsträger nicht gar zu besorgt zu sein — selten, und je eingehender und gründlicher die neurologische wie psychologische Durchdringung erfolgt, um so seltener werden sie werden. Aber es gibt sie, und das macht eine grundsätzliche Ablehnung der Rechtsauffassung des Reichsgerichtes schwer haltbar.

Das Kriterium liegt letztlich immer in der in jedem Einzelfalle zu prüfenden Frage: Ist es so, daß hier ein Mensch ein Trauma zum Anlaßnimmt, oder so, daß das Trauma diesen Menschen durch eine somatische oder psychische Alteration überwältigt hat.

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