Dtsch Med Wochenschr 1916; 42(25): 750-752
DOI: 10.1055/s-0028-1135210
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Ueber die diagnostische Bedeutung des Blutdrucks bei Unfallneurosen (Schluß aus Nr. 24.)

D. Paul Horn - Oberarzt der Intern-neurologischen Abteilung
  • Aus dem Krankenhause der Barmherzigen Brüder zu Bonn. (Direktor: Geheimrat Rumpf.)
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Publication Date:
14 July 2009 (online)

Ueber die diagnostische Bedeutung des Blutdrucks bei Unfallneurosen

Zusammenfassung

1. Von Blutdruckanomalien sind bei Unfallneurosen auffallend oft Steigerungen des systolischen Blutdrucks anzutreffen, während abnorme arterielle Senkungen nur ausnahmsweise vorkommen.

2. Unter den einzelnen Sondergruppen der Unfallneurosen zeigen vor allem die Schreckneurosen sowie die Neurosen nach lokaler Verletzung (letztere besonders im Stadium der Rentenkampfneurose) erhöhte arterielle Werte. Bei Kommotionsneurosen zerebralen und spinalen Typs ist ihre Häufigkeit erheblich geringer.

3. Auch Steigerungen des diastolischen Blutdrucks sowie erhöhte Pulsdruckampliutden sind bei Unfallneurosen häufig festzustellen, und zwar vor allen Dingen bei den Schreckneurosen, die auch sonst in der Regel ausgesprochene kardiovaskuläre Störungen als Symptom einer Disharmonisierung des vegetativen Nervensystems erkennen lassen. Dagegen kommt dem Blutdruckquotienten eine differentialdiagnostische Bedeutung bei den Unfallneurosen nicht zu.

4. Starke Abhängigkeit von seelischen und körperlichen Einwirkungen (Blutdrucklabilität) zeigen besonders die arteriellen Blutdruckwerte, während der diastolische Blutdruck im allgemeinen ein konstanteres Verhalten aufweist,

5. Diagnostische Bedeutung können abnorme Blutdruckwerte nur dann beanspruchen, wenn die „normalen” Grenzen nicht zu eng gezogen sind. Werte von 60 bis 90 mm Hg (nach Riva-Rocci) für den diastolischen Blutdruck, von 110 bis 140 (bei Leuten über 40 Jahren bis zu 150) mm Hg für den systolischen Blutdruck und von 25 bis 60 mm Hg für die Pulsdruckamplitude können im allgemeinen als pathologisch nicht bezeichnet werden.

6. Bei unkomplizierten Fällen können abnorme Blut- und Pulsdruckwerte als wichtiges, der willkürlichen Beeinflussung seitens des Patienten meist entzogenes „objektives” Symptom der Unfallneurosen bewertet und zur Stütze der Diagnose herangezogen werden.

7. Bei Komplikationen von Unfallneurosen mit Arteriosklerose, Nierenleiden und Herzfehlern müssen die jeweiligen Begleitsymptome, die mehr oder weniger starke Ausprägung sonstiger kardiovaskulärer Störungen, ihre vorhandene oder fehlende Labilität und Abhängigkeit von nervösen Einflüssen den Ausschlag geben, ob die Blutdruckanomalie als nervöse Erscheinung oder als Symptom der organischen Komponente anzusehen ist.

8. Steigerungen des Blutdrucks können in der Aetiologie der Arteriosklerose im allgemeinen nicht als ursächliches, sondern nur als disponierendes oder begünstigendes Moment betrachtet werden. Jedenfalls führen Unfallneurosen trotz des häufigen Vorkommens von Blutdruckanomalien nur in Ausnahmefällen zu arteriosklerotischen Veränderungen, für die im übrigen toxisch-infektiöse Ursachen sowie Ernährungsstörungen verantwortlich zu machen sind.

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