Dtsch Med Wochenschr 1922; 48(49): 1652-1653
DOI: 10.1055/s-0028-1136284
Tropenhygiene

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Geburtenhäufigkeit und Kindersterblichkeit bei den Rundi in Deutsch-Ostafrika. IV. (Schluß aus Nr. 48.)

R. Lurz in Bad Nauheim
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Publication Date:
20 September 2009 (online)

Geburtenhäufigkeit und Kindersterblichkeit bei den Rundi in Deutsch-Ostafrika. III. (Fortsetzung aus Nr. 47.)

Zusammenfassung

Die Angaben der Eingeborenen einer Gegend von Urundi und die Ergebnisse der Untersuchungen stimmen miteinander überein und ergänzen sich; aus ihnen ergibt sich folgendes Bild:

Angehörige eines Volksstammes mit den gleichen Sitten, Gebräuchen und Ernährungsbedingungen leben in einer malariaverseuchten Gegend am Mtara, Mpanda, Kadscheke, Russissi — gleich den Tallandschaften — und in einer malariaarmen auf den Urundibergen.

In den Tallandschaften ist der Rundi nur in den beiden ersten Lebensmonaten gesund; vom 3. Monat an bis zum 10. Lebensjahre leidet er häufig, später seltener an Fieberanfällen, deren Ursache die Malaria ist. Viele Säuglinge sterben an Malaria. Infolge von Malaria sqhwillt bei 30—51% der Kinder die Milz an, sie kann bereits nach dem ersten Lebensjahre in der Mitte zwischen Rippenbogen und Becken gefühlt werden.

Vom dritten Lebensjahre an erscheinen häufiger im Blute Filarienlarven, die manchmal Fieber und Kopfschmerzen verursachen; mit fortschreitendem Alter mehrt sich ihr Vorkommen, und im Blute des Erwachsenen sind sie ein regelmäßiger Befund.

Im Darm findet sich frühzeitig, schon bei einjährigen Kindern, der Bandwurm ein. Sowie das Kind zu kriechen und gehen beginnt, dringen Spulwurm, Ankylostomum, Strongylus und Peitschenwurm in seinen Körper ein, sodaß eine Wurmart jeder Eingeborene beherbergt. Die Würmer bereiten ihrem Wirt Kopf- und Darmbeschwerden, das gefährliche Ankylostomum macht ihn blutarm.

Im Kindesalter sind noch Erkrankungen an Frambösie häufig; die himbeerartigen Geschwülste heilen zwar ab, aber der Krankheitskeim bleibt im Körper und führt beim Erwachsenen zu Spät- und tertiären Erscheinungen.

Hauptsächlich die genannten Krankheiten bewirken, daß Herzstörungen bei 40 bis 42% der Kinder angetroffen werden.

In den Urundibergen sind manche Krankheiten ebenso häufig wie in den Tallandschaften, z, B. Lepra, Frambösie, Hautkrankheiten, Augen- und Ohrenerkrankungen. Der Säugling wird anscheinend weniger gepflegt, er leidet öfter an Krätze und Ekzem, das Kind öfter nach dem ersten Lebensjahre an Geschwüren und Spulwürmern. Aber den Rundi der Berge suchen Malaria und Ankylostomum viel seltener heim. Der Säugling bleibt fast völlig von Malariaerkrankungen verschont, das Kind nach dem ersten Lebensjahre und der Erwachsene leiden viel seltener als in den Tallandschaften an Fieberanfallen und können sich nach einer Infektion in ihrer meist in malariafreier Höhe gelegenen Hütte erholen. Infolge des selteneren Vorkommens von Malaria und Ankylostomiasis werden Milzvergrößerungen nur bei 8% der Kinder und Herzstörungen nur halb so oft wie in den Tallandschaften gefunden.

In den Urundibergen sollen in früheren Jahren viele Kinder und Erwachsene an Pocken gestorben sein. Pockenkranke sah ich 1914 nicht, dagegen häufig Leute mit Pockennarben. Die Eingeborenen müssen sich von dieser Seuche rasch erholt haben, denn eine Wirkung auf die Bevölkerungsdichte war nicht mehr nachweisbar.

Die Schlafkrankheit hat sich am Mtarä, Mpanda und Kadscheke eingenistet und in den letzten 10 Jahren viele Opfer gefordert; im mittleren Russissital ist sie an den Flußläufen auch heimisch, die Zahl der Kranken ist jedoch verhältnismäßig gering. Die Schlafkrankheit erhöht die Kindersterblichkeit, sie tritt geradezu verheerend auf in Gegenden, wo ohnehin schon viele Kinder sterben, wie in malariaverseuchten Gegenden, sodaß die Bevölkerung an Zahl außerordentlich rasch abnimmt.

Nach den festgestellten Schädlichkeiten muß die Sterblichkeit am größten am Mtara, Mpanda und Kadscheke, am geringsten in den Urundibergen sein. In der Tat geben die Mütter auch an, daß von ihren Kindern, erwachsene inbegriffen, am Kadscheke 60%, im mittleren Russissital 45,2%, im oberen Russissital 41,6% und in den Urundibergen 29,2% sterben. In den Urundibergen ist die Säuglingssterblichkeit außerordentlich gering, sie beträgt nur 8,5% gegen 25,6 im oberen, 24,3 im mittleren Russissital und 31,6% am Kadscheke.

In den Urundibergen werden ferner mehr Kinder geboren; weshalb die Frau in den Urundibergen fruchtbarer als die Frau in den Tallandschaften ist, kann mit Bestimmtheit nicht gesagt werden; als Ursache für die geringere Fruchtbarkeit in den Tallandschaften kommt in erster Linie auch die Malaria in Frage.

Infolge der größeren Fruchtbarkeit der Frauen und der geringeren Sterblichkeit aller Bewohner, besonders der Säuglinge, hat die Frau der Urundiberge im Alter von 16—20 Jahren durchschnittlich ein lebendes Kind, zwischen 21—30 zwei und zwischen 31—60 drei bis vier. Im Russissital dagegen trifft im Alter von 16 bis 20 Jahren auf zwei Frauen ein Kind, im Alter von 21—30 auf eine Frau ein bis 1⅓ Kind und im Alter von 31— 60 auf zwei Frauen etwas mehr als drei Kinder, Am Kadscheke hat die Frau über 30 Jahre höchstens ein Kind.

Es wurde festgestellt, daß Ehetrennungen in den Tallandschaften häufiger sind. Die Gründe hierfür sind ersichtlich. Es gibt in den Tallandschaften mehr kinderlose Frauen als in den Urundibergen, wo die Frau bald nach der Verheiratung ein Kind zeugt und.es am Leben erhält, während die Frau der Tallandschaften ihren Säugling durch Malaria häufig wieder verliert. Der kinderlosen Frau fällt die Trennung leicht, der kinderbesitzehden schwer, da das Kind bei der Trennung dem Manne überlassen werden muß.

Die Frauen gaben noch an, daß mehr männliche Kinder als weibliche geboren werden und daß unter 1 Jahr verhältnismäßig mehr weibliche, über 1 Jahr mehr männliche sterben. Diese Angaben könnten erklären, weshalb in den. Tallandschaften unter 20 Jahren mehr männliche, nach 20 Jahren mehr weibliche Bewohner sich zur Untersuchung einfanden.

Demnach ist die Frau in den malariaarmen Urundibergen fruchtbarer, und die Säuglingssterblichkeit ist viel geringer als in den malariaverseuchten Gebieten von Urundi. Die Malaria ist die Ursache der großen Säuglingssterblichkeit und wohl auch der verminderten Geburtenhäufigkeit in den malariaverseuchten Gegenden. In den malariaverseuchten Landschaften von Urundi, wo noch die Schlafkrankheit stark verbreitet ist, ist infolge der Malaria und der Schlafkrankheit die Sterblichkeit unter den Eingeborenen außerordentlich groß.

Meine Untersuchungen bestätigen die Angaben über große Kindersterblichkeit nur in malariaverseuchten Gegenden, nicht aber in malariafreien oder -armen. Sie bestätigen weiter die Angaben über reichliche Fruchtbarkeit der Frauen in malariaarmen oder -freien Gegenden, der gegenüber eine Herabsetzung in der malariaverseuchten Gegend deutlich nachweisbar ist.

Den Hauptwert meiner Feststellungen erblicke ich darin, daß sie bei ein und demselben Volksstamme mit den gleichen Sitten und Gebräuchen, Ernährungsbedingungen, religiösen und abergläubischen Vorstellungen vorgenommen wurden, von dem aber ein Teil in einer malariaarmen Gegend und der andere Teil in einer malariareichen Gegend wohnt. Und ich glaube einwandfrei nachgewiesen zu haben, daß die hohe Säuglingssterblichkeit nicht durch Ernährungsstörungen, Sitten und Gebräuche, religiöse und abergläubische Vorstellungen, sondern durch Malaria verursacht wird. Daß fehlerhafte Ernährung, schlechte Sitten und Gebräuche, religiöse und abergläubische Vorstellungen bei der Kindersterblichkeit auch eine Rolle spielen, ist mir bekannt, Sie spielen nur nicht die Hauptrolle. Wenn solche Ursachen ausgeschaltet werden könnten, so würde z. B. die Frau in Hochurundi statt 3 Kindern 4 am Leben erhalten, die Frau in den Tallandschaften aber trotz alledem nur 2. Erst wenn in den Tallandschaften die Malaria beseitigt wäre, würde auch hier die Frau 4 Kinder am Lehen erhalten.

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