Dtsch Med Wochenschr 1921; 47(51): 1549-1550
DOI: 10.1055/s-0028-1141167
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Ueber halbseitige Atemstörung bei pontiner Hemiplegie

Rudolf Dackau
  • Aus der Inneren Abteilung des Städtischen Krankenhauses in Danzig. (Leitender Arzt: Prof. Wallenberg.)
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Publication Date:
24 August 2009 (online)

Zusammenfassung

Das plötzliche Auftreten der Erkrankung unter dem Bilde eines apoplektischen Insultes und das schnelle Zurückgehen einiger Ausfallserscheinungen sprechen für eine Blutung oder wahrscheinlicher für eine Verstopfung aus einem thrombosierten Gefäß, wohl auf luetischer Grundlage. Die letztere Annahme wird gestützt durch die in der Anamnese erwähnte luetische Infektion und den positiven Ausfall der Wa.R. im Blute.

Was den Ort der Läsion betrifft, so läßt er sich an der Hand der Zusammenstellung der Anfangssymptome annähernd konstruieren. Da die spastische Parese der rechten Extremitäten sich mit Lähmungserscheinungen des linken Auges und einer linkseitigen Blicklähmung verbindet, so ist damit bereits das Großhirn als Läsionsstelle ausgeschlossen, und auch gegen die Lokalisation im Zwischen- und Mittelhirn spricht, abgesehen von der linkseitigen Blicklähmung, die anfangs im Vordergrunde stehende Abduzensparese, die erst später zurückging. Wir werden den Ort der Läsion demnach unterhalb des Mittelhirns, in die Brücke, verlegen.

Es fragt sich nun: 1. In welcher Höhe der Brücke hat der Insult stattgefunden? 2. Welche Querschnitts teile sind dabei beteiligt?

Betrachten wir zunächst den Zustand kurz nach der Einlieferung in das Krankenhaus, so spricht: 1. die Mitbeteiligung der Zunge, des Gaumensegels und des unteren Fazialisastes an der rechtseitigen Parese, 2. das auffällige Zurückbleiben des linken Augapfels sowohl beim Blick nach auswärts als auch nach einwärts, neben der initialen linkseitigen Blickparese, dafür, daß der Herd in höhere Ebenen der Brücke, dort, wo die für den Fazialis, Hypoglossus und motorischen Glossopharyngeus bestimmten Fasern die linke Pyramide noch nicht verlassen haben, hinaufreicht.

Die Querschnittslage des ursprünglichen Herdes läßt sich aus folgenden Ueberlegungen ableiten: Im Fuß ist die linke Pyramidenbahn getroffen (Beweis: Rechtseitige spastische Parese der Extremitäten mit Einschluß des Hypoglossus, Glossopharyngeus und des unteren Fazialis).

Für die Beteiligung medialer Abschnitte der dorsalen Brückenkerne, also dorsomedialer Teile des Brückenfußes, spricht die bulbäre Dysarthrie und die rechtseitige Atemlähmung.

In der Haube der Brücke ist eine Zerstörung lateraler Abschnitte der linken Hälfte auszuschließen, denn es zeigt weder der linke Trigeminus, noch der linke Fazialis und Akustikus, noch die Sensibilität der rechten Körperhälfte irgendeine Spur von Ausfallserscheinungen.

Ob die mediale Schleife links mitbeteiligt war, ließ sich anfangs nicht feststellen, da eine Prüfung auf Ataxie der rechten Extremitäten wegen der spastischen Parese unmöglich war.

Die später nachweisbare Ataxie würde für eine Mitbeteiligung der medialen Schleife sprechen, die in der von uns angegebenen Höhe nicht mehr bis zur Mittellinie reicht, sondern im Begriff ¡st, seitlich abzubiegen. Die bestehende Parese läßt jedoch diesen Schluß nur mit Vorsicht ziehen.

Gehen wir im Querschnittsbild weiter dorsalwärts, so gelangen wir medial an das hintere Längsbündel. Der intensive Nystagmus, das Zurückbleiben des linken Auges nach allen Richtungen spricht für eine Beteiligung des linken hinteren Längsbündels. Die Abduzensparese gehört zwar gleichfalls hierher. Die deutet aber lediglich darauf hin, daß der Insult zunächst auch noch kaudalere Ebenen der Brücke und damit auch Wurzelfasern des Abduzens dort, wo sie an der Pyramidenbahn vorbeiführen, mit ergriffen hat.

Der Befund 4—5 Wochen nach dem Insult zeigt, daß die Parese am rechter Bein, abgesehen von der Ataxie, sich bedeutend gebessert hat, daß sie am Arm noch in gleicher Stärke vorhanden ist, daß Zungen-, Gaumen-, Fazialisparese rechts noch spurenweise bestehen, daß aber die Symptome von seiten des linken Auges und die linkseitige Blickparese vollständig verschwunden sind. Auch die Atemlähmung rechts ist nur noch in geringem Grade vorhanden, die Sprachstörung noch deutlich.

Wir könnnen daraus den Schluß ziehen, daß sich Teile der Brückenhaube am bleibenden Krankheitsherde nicht beteiligen, daß dieser also im wesentlichen auf mediale Abschnitte des Fußes, insbesondere Pyramide und deren dorsale Nachbarschaft, beschränkt bleibt. Ob die Ataxie auf eine Schleifeniäsion hinweist oder durch die Pyramidenfaserzerstörung allein erklärt wird, lasse ich dahingestellt (siehe oben!).

Die Blutversorgung medialer Abschnitte der Brücke geschieht durch (doppelt vorhandene) Arteriae medianae aus dem Stamm der Arteria basilaris, die bis zum Boden des vierten Ventrikels dorsalwärts steigen und hier sich in feinste Kapillaräste auflösen.

Wir köunnen daher mit Wahrscheinlichkeit annehmen, daß in unserem Falle eine Blutung, wahrscheinlicher eine Verstopfung im Gebiete einer durch luetische Endarteriitis verengten linken Medianarterie der frontalen Brücke stattgefunden hat, die zunächst die ganze der Mittellinie benachbarte Partie sowohl des Fußes wie der Haube in Mitleidenschaft gezogen, aber nur den ventralen Teil dieses Gebietes (Fuß mit Pyramide und dorsomedialen Teilen der Brückenkerne) definitiv zerstört hat.

Was unseren Fall besonders interessant macht, ist die mit der Lähmung der Extremitäten gleichseitige Atemlähmung (Interkostalmuskeln und besonders Diaphragma rechts), die so beträchtlich war, daß sie zu schweren Anfällen von Dyspnoe führte.

Ueber die Beteiligung der Atemmuskulatur an der Hemiplegie sind in der Literatur verhältnismäßig wenig Angaben zu finden.

Auch bei Herden im Hirnstamm, insbesondere der Brücke, sind einseitige Atemstörungen von einer solchen Intensität, wie sie in diesem Falle, besonders in der ersten Zeit nach dem Insult, vorhanden waren, meines Wissens nicht bekannt geworden.

Ich meine natürlich die mit der Extremitätenlähmung gleichseitige zum Herde gekreuzte Atemlähmung und nicht die doppelseitigen allgemeinen Respirationsstörungen, wie sie bei Brückenerkrankungen nicht selten vorkommen.

Wie weit auch die hier beschriebene Art der Respirationslähmung als pontines Herdsymptom angesprochen werden darf, läßt sich einstweilen nicht entscheiden, da unsere Beobachtung eine rein klinische ist.

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