Dtsch Med Wochenschr 1936; 62(51): 2084-2088
DOI: 10.1055/s-0028-1141445
Erbklinik der Idiosynkrasien

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

IV. Die idiosynkrasische Migräne*

E. Hanhart - Privatdozent für Konstitutions- und Vererbungsforschung
  • Medizinischen Universitäts-Poliklinik in Zürich. Leiter: Prof. W. Löffler
* I, II u. III vgl. 1934 Nr. 29, 31, 46, 47, 49, 50, 52 u. 1936 Nr. 49, 50.
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Publication Date:
05 May 2009 (online)

Zusammenfassung

An Hand zahlreicher, zum Teil wenig bekannt gewordener Erfahrungen aus der Literatur sowie eines großen eigenen Materials (35 Stammbäume mit 132 Allergikern, worunter 81 Hemikraniker) wird gezeigt, daß sich bei weitaus den meisten Fällen von Migräne eine allergische Belastung und Stigmatisierung findet. Auch haben die Hemikraniker gewöhnlich Nachkommen mit den verschiedensten Idiosynkrasien, während man bei ihnen selbst außer den sich anders äußernden alimentären Überempfindlichkeiten besonders oft Urtikaria, Quinckesche Ödeme und ferner Serumkrankheit in der Anamnese trifft, relativ selten dagegen Asthma bronchiale.

Zuweilen bildet die Migräne die einzige Manifestation einer idiosynkrasischen Bereitschaft, was dann aus den bei direkten Aszendenten und Deszendenten vorhandenen Allergiesymptomen zu erschließen ist.

Der Erbgang entspricht demjenigen der idiosynkrasischen Bereitschaft und ist dominant. Die verhältnismäßig häufige Aufeinanderfolge von Migränefällen in direkter Linie weist auf gleichzeitige Vererbung einer besonderen, noch nicht näher zu umschreibenden Migränedisposition hin.

Die ophthalmische Form (sog. Augenmigräne) wiegt bei Allergikern so stark vor, daß hierzu Schlusse auf die Pathogenese gezogen werden konnten. Gelegentlich verraten nur einzelne Teilsymptome der Augenmigräne wie Flimmerskotome, mehr oder weniger halbseitige Kopfschmerzen oder auch anfallsweises Erbrechen eine bestehende Migräneanlage. Bei Kindern ist das rezidivierende azetonämische Erbrechen und das Auftreten von Nabelkoliken (sog. Bauchmigräne) daraufhin sehr verdächtig.

Eindeutige körperbauliche Beziehungen fehlen, doch erweisen sich die meisten typischen Migräniker als vorwiegend leptosom gebaute und sympathikotonisch reagierende Allergiker.

Zur Annahme eines Zusammenhanges der idiosynkrasischen Migräne mit der Epilepsie und ihren Äquivalenten wurden keinerlei Anhaltspunkte bei diesen vom Verfasser stets persönlich betriebenen Familienforschungen gefunden.

Die Feststellung des allergischen Charakters der Migräne, die namentlich auch durch die Erfahrungen an eineiigen Zwillingen ihre Stütze findet, wird zur Aufklärung ihrer noch umstrittenen Pathogenese beitragen und sowohl diagnostisch als prognostisch und therapeutisch wesentliche Anhaltspunkte liefern.

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