Dtsch Med Wochenschr 1927; 53(13): 521-524
DOI: 10.1055/s-0028-1145122
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Drei-Phasen-Behandlung der Krebskrankheit und histogenetische Strahlentherapie

Paul Lazarus - a. o. Prof., Dirigierender Arzt am St. Marienkrankenhaus in Berlin
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Publication Date:
19 August 2009 (online)

Zusammenfassung

Das Schicksal des Karzinoms entscheidet wesentlich die Abwehrreaktion seines Nährbodens. Die intra- und peritumorale Entzündung (Kanzeritis-Perikanzeritis) ist die Produzentin von Abwehrreaktionen. Die strahlende Materie wirkt atomar wie ein Entzündung erregendes Agens und kann als solches bei abgestufter Dosierung alle Arten von Reaktionen: Sensibilisation, Stimulation, Zytolyse, Ulzeration, Nekrose, Narbenbildung verursachen; sie ist je nach der histogenetischen Natur des zu treffenden Gewebssystems (Säfte, anbrüchige Zellen, Lympho- oder Leukozyten, Krebszellen, Gefäß-Bindegewebsstroma) verschieden zu dosieren.

Durch flüssiges Licht in Form von Thor X-Imprägnation (Dispersionsbehandlung mit α-Atomen und β-Elektronen) kann man bei intratumoraler Anwendung (Radioautolysat in vivo) experimentell Radioimmunisation und klinisch die Malignität herabsetzen, sowie durch peritumorale bzw. kutane Anlegung von Thor X-Depots die Reaktionskraft des Mutterbodens bzw. der Haut steigern. Die primäre β-Bestrahlung bei intratumoraler oder Oberflächenanwendung vermag in kurzer Zeit eine Gewebsschicht von 7 mm Radius örtlich zu zerstören, infizierte Tumoroberflächen zu sterilisieren und durch eine starke Umgebungsentzündung eine solide Vernarbung herbeizuführen. Diese schwach gefilterte Thor X- bzw. Radium- oder Mesothor-Radiothorbestrahlung eignet sich insbesondere bei der Behandlung von oberflächlichen Kankroiden, z. B. an den Lidern, Lippen, der Zunge und dem Larynx, und hat vor der γ-Bestrahlung den Vorteil der höheren. Intensität bei geringerer Behandlungsdauer voraus. Der Energiequant des Radiums und Mesothoriums und seines Comptoneffektes übertrifft jenen des Röntgens um etwa das 10 fache. Auch haben die radioaktiven Stoffe den Potenzfaktor der Zeit und des Raumes voraus, d. h. sie ermöglichen die direkte, möglichst auf den Krankheitsherd beschränkte Anwendung und dabei die Ausdehnung der Bestrahlung auf den ganzen Lebenszyklus der Krebszelle. Das Röntgen ermöglicht großflächige Tiefenheilwirkungen, hat aber namentlich bei Ueberdosierung die Gefahr relativ stärkerer Mitbeeinflussung der zwischen Haut und Tiefenherd gelegenen gesunden Schichten des Mutterbodens. Die Bestrahlung soll wie eine Operation oder Elektrokoagulation lediglich den Krankheitsherd zerstören, jedoch nicht durch Ueberdosierung die Reaktionskräfte des Mutterbodens und des Organismus schädigen, worauf die vermehrte Rezidivhäufigkeit nach postoperativer Intensivbestrahlung des Brüstkrebses zurückzuführen ist. Die präoperative Bestrahlung ist schon aus Gründen der Sterilisation des neoplastischen Terrains in jedem Falle anzuwenden.

Das Karzinom erfordert als genetisch komplexer Krankheitsprozeß auch eine synthetisch dreiphasig abgestufte Behandlung, die sich auf den Organismus, auf den Mutterboden und auf den Krebsherd erstreckt. Deren räumliche, histologische und technische Ziele sind je nach der biologischen Struktur des Karzinoms und seines Milieus innerhalb folgender Grundsätze zu variieren; Die Maximalbestrahlung (Letaldosis) ist lediglich auf den Krebsherd zwecks völliger Nekrobiose zu beschränken.

Eine etwas schwächere Dosierung (Angiomdosis) ist auf die Umgrenzungszone des Herdes zu richten zwecks dessen Isolierung durch demarkierende Entzündung, Gefäßobliteration und Bindegewebsumkapselung.

Dazu gesellen sich eine Stimulation der lymphatischen, erythropoëtischen, hormonalen, vaskulären und kutanen Abwehrkräfte des Organismus. Die Lichtdurchflutung der Haut mit flüssigem Licht verdient hierbei besondere Berücksichtigung. In jedem Falle berücksichtige man lymphoexzitatorische Vorgänge als wichtige Immunitätsfaktoren. Anregung des Stoffwechsels (Thyreoidin-Jod, Reizdiät, antikachektische Behandlung) sowie tonisierende Maßnahmen und eventuell auch Nachbestrahlungen (siehe Blutbildkontrolle) sind ähnlich wie bei anderen konstitutionellen Behandlungen, z.B. bei der Tuberkulose, auf Jahre hinaus anzuwenden.

Genaue Darstellung der Technik der Mesothor-Radiothorbehandlung bei einem Falle von Zungenkrebs mit über 6jähriger Heilung durch Kombination von Zytölyse des Krankheitsherdes mit β- und γ-Strahlen, Produktion von Entzündung in der Umgebung und Funktionssteigerung des Geschwulstbettes sowie Tonisierung des Organismus. Mutatis mutandis hat sich diese auf histogenetischen Grundsätzen aufgebaute Drei-Phasen-Behandlung auch bei Karzinomen anderer Lokalisation bewährt.

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