Dtsch Med Wochenschr 1912; 38(43): 2026-2029
DOI: 10.1055/s-0029-1189909
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Ueber die orthopädisch-chirurgische Behandlung der poliomyelitischen Lähmungen im Kindesalter1)

Siegfried Peltesohn - I. Assistenten der Poliklinik
  • Aus der Universitätspoliklinik für Orthopädische Chirurgie in Berlin. (Direktor: Prof. Joachimsthal.)
1) Vortrag, gehalten in der Pädiatrischen Sektion des Vereins für innere Medizin und Kinderheilkunde in Berlin am 13. Mai 1912.
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Publication Date:
06 July 2009 (online)

Zusammenfassung

Bei der Kinderlähmung bewährt sich im ersten und zweiten Stadium Gipsbett und Gipslade, letztere besonders zur Verhütung der paralytischen Hüftluxation. Im zweiten Stadium unterstützt häufig die Aufhebung der Ueberdehnung gelähmter Muskeln im Gipsverband mit und ohne Tenotomie ihre Reparation und können Deformitäten durch einfache orthopädische Mittel stets vermieden werden.

Im Stadium der irreparablen Lähmung sind in erster Linie eventuelle Deformitäten und Kontrakturen durch Redressement, Teno- und Fasziotomien zu beseitigen. Erst dann wird die Frage akut, ob die Funktion durch Apparatotherapie oder durch Operation gebessert werden muß. In manchen Fällen ist die Funktion trotz ausgedehnter Lähmung so gut, daß keine dieser Maßnahmen nötig ist; die Mehrzahl der Gelähmten aber bedarf weiterer Behandlung. Die orthopädischen Apparate sind niemals dauernd schädlich, ihre Anwendung ist daher stets erlaubt. Von Operationen kommen die Sehnentransplantationen, die Arthrodesen, die Nerventransplantationen in Betracht. Mit letzteren hat Verfasser wie viele andere Autoren bei schlaffen chronischen Lähmungen keine Erfolge erzielt. — Die Sehnentransplantationen sind meist nur bei Ausfall einer Muskelgruppe indiziert; hier wirken sie funktionsherstellend und verhüten Deformitätsrezidive. Selbst bei Vorhandensein nur eines Muskels kann man durch Sehnenanastomose Deformitätsrezidive verhüten. Mit der Arthrodese soll man zurückhaltend sein; erlaubt ist sie meist nur, wenn nur ein Gelenk schlottrig ist. Sind mehrere Gelenke einer Extremität schlottrig, dann soll man aus funktionellen Gründen niemals zwei große Gelenke versteifen. Gegen die bei Kindern ausgeführte Arthrodesierung sämtlicher Gelenke bei totaler Beinlähmung erhebt Verfasser schwere Bedenken. Die Arthrodese des Schultergelenks und des Kniegelenks gibt gute funktionelle Resultate.

Bei orthopädisch kranken Kindern können die nötigen Extremitätenoperationen und Anfertigung von Apparaten meistens ambulant durchgeführt werden. Nur große Operationen erheischen stationäre Behandlung; aus materiellen Gründen ist der Klinikaufenthalt möglichst abzukürzen, hierzu müßten den orthopädischen Polikliniken Betten angegliedert sein. Die Nachbehandlung geschieht ambulant.

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