Dtsch Med Wochenschr 1889; 15(25): 493-494
DOI: 10.1055/s-0029-1198505
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Charcot über die Suggestionstherapie1)

 Charcot 1) Die in der Berliner medicinischen Gesellschaft jüngst stattgehabte Discussion über die hypnotische Suggestionstherapie verhielt sich derselben gegenüber ablehnend und gipfelte in den sachlichen Ausführungen Mendel's, dass man darüber nicht im Zweifel sein könne, dass bei den Hypnotisirten eine acute vorübergehende krankhafte Störung der grauen Hirnrinde hervorgerufen werde. Mit solchen krankhaften Erregungen des Gehirns habe man recht vorsichtig zu sein. Reize, die das Gehirn einmal getroffen haben, können auch in spaterer Zeit in allerschädlichster Form wirken, und in der That hat der Hypnotismus in einer Anzahl von Fällen schädlich gewirkt. Wenngleich man durch die hypnotische Suggestion Symptome weichen sieht, so werden die Patienten in der Regel recidiv. Von den sogenannten geheilten Fällen bleiben nur recht wenige übrig, in denen die Heilung länger andauert. Der Vorsitzende, R. Virchow, schloss damals die Discussion mit dem Hinweis darauf, dass eine ausschliessliche Erörterung der Casuistik, wie sie bei den bisherigen Vorträgen vorgeherrscht habe, zu einer Klärung kaum führen dürfte; es dürfte rathsam sein, eine neue Epoche der Discussion erst dann eintreten zu lassen, wenn man dahin gelangt sei, formulirte Sätze derselben zu Grunde zu legen.Die von Mendel gemachten Ausführungen finden durch keinen geringeren als Charcot in den obenstehenden, auf meine Anfrage an mich gerichteten und in der entgegenkommendsten Weise gemachten Mittheilungen die glänzendste Bestätigung. Diese werden hoffentlich dazu beitragen, die Berliner Suggestionsenthusiasten von ihrem kühnen Ausfluge auf den Boden ruhiger Beobachtung zurückzuführen. Im übrigen dürften auch die von Friedländer in Frankfurt a. M. in der Klinik des Herrn Bernheim in Nancy persönlich gewonnenen und in der Berliner klinischen Wochenschrift veröffentlichten Erfahrungen zu der nothwendigen Ernüchterung beitragen. Eine eingehende Kritik im Sinne Charcot's hat Prof. Seeligmüller in Halle bereits im Jahrgange 1888 dieser Wochenschrift in einer Reihe von Artikeln: Die Suggestionserscheinungen; Die therapeutische Verwerthung derselben und des Hypnotismus überhaupt; Die Gefahren des Hypnotismus und seine gerichtsärztliche Bedeutung — veröffentlicht.
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Publication Date:
25 October 2009 (online)

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