Dtsch Med Wochenschr 1909; 35(28): 1226-1230
DOI: 10.1055/s-0029-1201593
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Ueber die Indikationen zur Unterbrechung der Schwangerschaft bei zuckerkranken Frauen3)

Heinrich Offergeld in Frankfurt a. M.-Sa. 3) Auszugsweise vorgetragen in der Medizinischen Sektion der „Niederrheinischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde” in Bonn am 8. Februar 1909.
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Publication Date:
01 August 2009 (online)

Zusammenfassung

Die Zuckerkrankheit und Schwangerschaft beeinflussen beide sich gegenseitig in höchst unglücklicher Weise, trotzdem sind wir in der Lage, die verhängnisvollen Folgen durch geeignete Therapie nach Möglichkeit abzuwenden. Die sogenannten „leichten” und „mittelschweren” Fälle sind nach den bekannten Grundsätzen der diätetischen Therapie unter Zulage einer den Anforderungen des wachsenden Foetus entsprechenden Kalorienzahl zu behandeln. Die „schweren” Fälle, und durch die Gravidität nimmt das konstitutionelle Grundleiden einen maligneren Charakter an infolge der Bedürfnisse des Foetus, der Ueberantwortung seiner Stoffwechselprodukte an den mütterlichen Organismus und der Tätigkeit der Plazentarfermente, können jedoch die Unterbrechung der Schwangerschaft nötig machen, Diese ist berechtigt beim rapiden Sinken des Toleranzvermögens, Abnahme des Körpergewichts, Zunahme der subjektiven Symptome; die Azidose an sich berechtigt allein nicht dazu, es sei denn, daß sie sich konstant vorfindet und mit Nephrose (Alluminurie und Zylindrurie) dauernd vergesellschaftet ist; dazu bietet bei der Multigravida die Anamnese wichtige Anhaltspunkte hinsichtlich des Verlaufes der vorhergegangenen Schwangerschaften und der Rekonvaleszentenzeit; obwohl das Koma ganz unvermittelt auftreten kann, gehen ihm meist Vorboten voraus, als da sind dauernde Azidose und Vermehrung der Ammoniumsalze; diese können daher unter Umständen, in der Höhe ihres täglichen Wertes mit ausschlaggebend sein. Ist das Koma ausgebrochen, so bestimmt dieses den Ausgang und, da hierbei die Kinder stets absterben, ist zur Zeit der Gravidität kein Eingriff gerechtfertigt, dagegen in der Geburt die möglichst schnelle und schonende Entbindung im Interesse der Mutter geboten.

Alle etwa sonst noch vorhandenen Komplikationen sind als solche zu behandeln. Ist die Unterbrechung der Schwangerschaft im Interesse der Mutter gelegen, so ist sie ohne Rücksicht auf das kindliche Leben rechtzeitig vorzunehmen. Wichtig ist für unser Handeln die Tatsache, daß diabetische Kreißende in nicht höherem Maße der Infektion ausgesetzt sind als gesunde Frauen und auch keine besondere Disposition zu Blutungen bei ihnen besteht.

Bei allen Eingriffen, die wir unternehmen, trachten wir, wenn möglich, ohne Narkose auszukommen; über den Wert der neueren Betäubungsmittel fehlen bei diabetischen Kreißenden noch Erfahrungen; bei der Inhalationsnarkose ist dem Aether in der Tropfmethode unbedingt der Vorzug zu geben, wenn die Patientin in der richtigen Weise für diesen Akt vorbereitet ist und die Nachbehandlung gleichfalls planmäßig einsetzt.

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