NOTARZT 2010; 26(2): 67-68
DOI: 10.1055/s-0029-1220342
Fortbildung
Der toxikologische Notfall
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Meditation im Park

T.  Meyer1 , F.  Martens1
  • 1Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow Klinikum, Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin (Direktor: Prof. Dr. Ulrich Frei), Berlin
Further Information

Publication History

Publication Date:
12 April 2010 (online)

Der Fall

In einer lauen Mainacht bemerken Passanten einen jungen Mann, der im Lotussitz auf der Wiese einer Parkanlage sitzt und unverständliche Laute von sich gibt. Da er auf Ansprache überhaupt nicht reagiert, wird von den Passanten der Rettungsdienst alarmiert.

Die RTW-Besatzung findet den Mann in unveränderter Stellung vor. Auf deren Ansprache krümmt sich der junge Mann zusammen und nimmt danach keinerlei Kontakt mehr auf. Er lässt sich auch ohne Gegenwehr auf eine Trage legen und kann anschließend im RTW untersucht werden. Ergebnis dieser Untersuchung sind ein erhöhter Blutdruck von 170 / 110 mm Hg, eine Herzfrequenz von 96 / min und eine pulsoxymetrische Sättigung von 91 %, die unter der Gabe von 10 l O2 via Maske auf 97 % ansteigt. Der Patient hat seine Augen geöffnet, die Pupillen sind beidseits eng und die Augäpfel bewegen sich regelmäßig auf und ab. Er wirkt ängstlich und reagiert unverändert nicht auf Ansprache. Auf Kneifen kommt es jedoch zum Wegziehen der gereizten Extremität.

Bei weitgehend erhaltenen Vitalfunktionen wird der Patient ohne Hinzuziehung eines Notarztes in die nächstgelegene Klinik transportiert.

In der dortigen Notaufnahme bietet sich das klinische Bild wie am Einsatzort: Augen geöffnet, Pupillen eher eng, Vertikalnystagmus, keine Reaktion auf Ansprache, prompte Reaktion auf leichte Schmerzreize. Der Blutdruck liegt bei 175 / 100, die Herzfrequenz bei 88 / min, die Sättigung unverändert bei 97 % unter Sauerstoff und die Körpertemperatur liegt bei 39,2 °C rektal. Alle Schleimhäute wirken trocken. In der Kleidung finden sich Papiere, die den Patienten als Bürger eines östlichen Nachbarlandes ausweisen. Sonstige Hinweise auf die Krankheitsursache finden sich jedoch nicht. Laborchemisch sind auffällig ein erhöhtes CRP von 7 mg / dl (normal < 0,5), eine Leukozytopenie von 1500 / mm3 und ein leicht erhöhtes Kreatinin. Nach dem Legen eines Blasenkatheters, das sich der Patient widerstandslos gefallen lässt, werden wenige Milliliter Urin gewonnen. Damit wird ein Drogenschnelltest durchgeführt, der positiv das Vorhandensein von Tetrahydrocannabinol und Phencyclidin anzeigt. Unter dem Verdacht einer solchen Vergiftung wird der Patient anschließend auf die Intensivüberwachungsstation verlegt.

Radiologisch finden sich im Thoraxröntgenbild beidseitige, rechtsbetonte Verschattungen, die die Verdachtsdiagnose einer Pneumonie und den Beginn einer kalkulierten Antibiotikatherapie begründen. Unter Volumenzufuhr verändern sich die Vitalparameter kaum, allerdings wird der Patient motorisch aktiver und beginnt 16 Stunden nach Aufnahme mit unverständlichen Lautäußerungen. Unter der Vermutung, es seien polnische Worte, wird ein Dolmetscher hinzugezogen, der die Lautäußerungen jedoch auch nicht verstehen kann. Nach 2 Tagen reagiert der Patient auf einfache Aufforderungen in Deutsch adäquat und beantwortet Fragen teilweise auch in deutscher Sprache. Dabei wird evident, dass er traurig über die Trennung von einem Freund sei. Nähere Angaben dazu sind jedoch nicht zu erhalten.

Die initiale Leukozytopenie, das erhöhte CRP und die febrilen Körpertemperaturen hatten sich jedoch nur geringfügig gebessert. Ausgedehnte Labordiagnostik lässt schließlich die Diagnose einer HIV-Infektion mit nur 25 T-Helferzellen sichern. Wegen myoklonischer Zuckungen eines Beines und Schwäche des seitengleichen Armes wird ein cCT durchgeführt, das pathologische Strukturen zeigt, die den hochgradigen Verdacht auf eine zerebrale Toxoplasmose begründen. Belege für eine Pneumocystes-carinii-Infektion ergeben sich hingegen bei der bronchoalvelären Lavage nicht.

Unter Flüssigkeitszufuhr, kalkulierter Antibiotikatherapie, spezifischer Behandlung der Toxoplasmose und regelmäßigem Masken-CPAP kommt es in den folgenden Tagen zu einer weitgehenden Normalisierung der Vigilanz. Dann kann der Patient auch berichten, dass er sich seit mehreren Jahren mit unterschiedlichsten Männern treffe. Die kurz vorausgegangene Trennung von einem Freund hätte die Einnahme verschiedener „Pillen” veranlasst. Schlimme Träume hätte er verspürt und sei erst wieder im Krankenhaus wach geworden.

Literatur

Priv.-Doz. Dr. Frank Martens

Charité, Campus Virchow Klinikum, Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin

Augustenburger Platz 1

13353 Berlin

Email: frank.martens@charite.de

    >