PiD - Psychotherapie im Dialog 2009; 10(2): 186-187
DOI: 10.1055/s-0029-1223314
Résumé

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ein Heft zu einem Drittel unseres Lebens

Barbara  Stein, Hans-Günter  Weeß, Michael  Broda
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Publication Date:
22 June 2009 (online)

Ca. ein Drittel unseres Lebens verbringen wir schlafend. Zumindest passagere Schlafprobleme kennt (fast) jeder, zudem sind Störungen der Nachtruhe unterschiedlicher Art in der psychotherapeutischen Praxis und auch in der Hausarztpraxis ein häufiges Problem. Angesicht dieser Tatsachen ist es erstaunlich, dass Schlafstörungen und ihre Behandlung bzw. gesunder Schlaf selten in unseren Fachzeitschriften behandelt werden. Es ist daher zu vermuten, dass auch wir Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten diese Beschwerden unserer Patienten nicht selten zu wenig explizit berücksichtigen. Wie viele Themen, die an einer Schnittstelle zwischen verschiedenen Fachdisziplinen und Professionen angesiedelt sind, nehmen Schlafstörungen in der psychotherapeutischen Aus-, Fort- und Weiterbildung (noch) wenig Raum ein.

Diesem Thema eine Ausgabe der PiD zu widmen, war also überfällig. Wir freuen uns, dass wir nun ein – so finden wir nach Sichtung aller Beiträge – komprimiertes Fortbildungsheft vorliegen haben, das Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, fundierte Informationen über die wichtigsten Schlafstörungen und praktische Hinweise für den therapeutischen Umgang geben soll. Wie wichtig die Berücksichtigung von Schlafproblemen ist, zeigt der enge Zusammenhang zwischen Schlafstörungen und Lern- und Gedächtnisleistung – und Psychotherapie zielt ja gerade auf ein Umlernen und Integrieren von neuen Lebens- und Lernerfahrungen.

Da sich die therapeutischen Ansätze aus der Phänomenologie des Schlafes und seiner somatopsychischen Facetten entwickeln, war es uns wichtig, ein Grundlagenkapitel zur Biologie des Wachens und Schlafens voranzustellen. Die Kenntnis der Schlafzustände und der damit interagierenden physiologischen, endokrinologischen und neuronalen Systeme und Parameter ermöglicht ein umfassenderes Verständnis der Folgen des gestörten Schlafes. Unserem Mitherausgeber Weeß und seinem Kollegen Landwehr ist es zu verdanken, dass diese komplexen Zusammenhänge knapp und übersichtlich dargestellt werden.

Hinter dem Begriff „Schlafstörung” verbergen sich über 80 verschiedene Störungsbilder, die in sechs Hauptkategorien unterteilt werden. Die Kenntnis ihrer jeweilig zentralen Symptome ermöglicht eine vorläufige diagnostische Einordnung und Behandlungsplanung oder gegebenenfalls Weiterverweisung an einen Schlafmediziner. Müller skizziert sehr praxisbezogen einen Diagnoseleitfaden, der eine Abgrenzung zwischen primären und komorbiden Insomnien, zirkadianen Schlaf-Wach-Rhythmus-Störungen durch z. B. Schichtarbeit, schlafbezogenen Atmungsstörungen wie dem Schlafapnoe-Syndrom, schlafbezogenen Bewegungsstörungen wie dem Restless-Legs-Syndrom und den eher seltener auftretenden Parasomnien und Hypersomnien ermöglicht.

Eine Abklärung durch einen Facharzt mit der Zusatzbezeichnung Schlafmedizin sollte immer bei den letztgenannten vier Schlafstörungen in Betracht gezogen werden, dem weitere auch apparative Diagnostikmaßnahmen (z. B. Polysomnografie) zur Verfügung stehen. Weeß öffnet in seinem zweiten Beitrag in diesem Heft die Tür zu den Schlaflaboren und erklärt anschaulich das diagnostische Prozedere bei verschiedenen Störungsbildern. Es ist zu hoffen, dass sich durch das vermehrte Wissen über die jeweiligen Möglichkeiten und Grenzen des anderen, Schlafforscher und Psychotherapeut zu einer effektiveren, da kooperativen Zusammenarbeit kommen.

Der schlafspezifischen Anamnese kommt dabei auch eine interventionelle Funktion zu, da nicht nur habituelle Zubett- und Aufstehzeiten, subjektive Einschlaf- und Schlafdauer, Aufwachhäufigkeit, Störungsentwicklung, psychischer Befund usw. erfragt werden. Die Exploration von Kognitionen, Emotionen und mit dem Zubettgehen verbundenen Verhaltensweisen zeigt häufig, dass insbesondere bei Insomnie-Patienten ein Circulus vitiosus von ängstlicher Erwartungshaltung und nachfolgender Schlafstörung zur Aufrechterhaltung der Schlafstörung beiträgt. Dementsprechendes Hyperarousal und daraus resultierende dysfunktionale Verhaltensweisen identifizieren Spiegelhalter und Riemann als wichtige Bedingungsfaktoren der primären Insomnie. Die Angst, nicht einschlafen zu können, hält uns hellwach.

Wie werden Schlafstörungen behandelt? Aus psychotherapeutischer Perspektive dominieren verhaltenstherapeutische Ansätze, die durch die Bündelung mehrerer Therapiemodule den unterschiedlichen ätiopathogenetischen Modellen Rechnung tragen. Dabei kommt kognitiven Ansätzen wie Kognitive Umstrukturierung und Psychoedukation als Maßnahmen zur Vermeidung des Hyperarousals eine besondere Bedeutung zu. Aufgeräumt wird dabei unter anderem mit Mythen und langtradierten Vorannahmen, die eher schlafvermeidend als förderlich sind. So mag die Behauptung, dass der Schlaf vor Mitternacht der beste sei, allenfalls für ruhebedürftige Eltern gültig sein. In Kombination mit Information zur Schlafhygiene und Stimuluskontrolle bezogen auf das Bett und das Schlafzimmer wird versucht, den Teufelskreis der Schlaflosigkeit und Schlaferwartungsangst zu durchbrechen. Entspannungstechniken meist in Kombination mit Imaginationsverfahren setzen aktiv einen Kontrapunkt zu diesen schlafinkompatiblen Anspannungsmustern. Wünschenswert wäre die Übertragung des von Binder entwickelten, nur siebenwöchigen Gruppenprogramms, auf die Einzeltherapie.

Die Heidelberger Autorinnen Scholtes und Demant warnen vor einer Übertragung der therapeutischen Konzepte auf die Situation von schlafgestörten Kindern. Berücksichtigt werden müssen im Behandlungsansatz die noch wenig verfestigten Schlaf-Wach-Rhythmen des Kindes und vor allem familiendynamische und systemische Faktoren.

Sehr informativ und fast als Nachschlagewerk zu empfehlen, ist der Beitrag von Steinberg über die medikamentöse Behandlung der Insomnie! Besonders berücksichtigt wird dabei die spezifische Problematik älterer Patienten, die nicht nur vermehrt unter Schlafstörungen leiden, sondern auch eine adaptierte Medikation benötigen.

Die Arbeit mit Träumen spielt in der ambulanten Psychotherapie eine wichtige Rolle. Wie mit Träumen im therapeutischen Prozess umgegangen wird bzw. welche Funktion der Traum im Therapieprozess hat, ist deutlich schulenspezifisch. Für den Leser sind hier die beiden sich gegenüberstehenden Artikel von Schredl und Boothe als jeweilige renommierte Vertreter der Verhaltenstherapie bzw. der Psychoanalyse / Tiefenpsychologie sehr spannend und lesenswert!

Wir sollten die Beschwerden unserer Patienten über schlechten Schlaf oder Unausgeschlafensein nicht auf die leichte Schulter nehmen oder ihnen gar durch Psychopathologisierung effektive, meist medikamentöse Behandlungen vorenthalten. Chronische Insomnien führen zu erheblichen Einschränkungen der Lebensqualität und zu einem erhöhten Risiko psychischer und körperlicher Erkrankung und Mortalität. Die psychischen Beschwerden infolge von schlechter Schlafqualität durch Schlafapnoe ähneln denen der Depression und können damit verwechselt werden. Nach Anwendung einer CPAP-Therapie verschwinden jedoch in kurzer Zeit Tagesschläfrigkeit und andere depressiv anmutende Symptome. Bei Erschöpfungszuständen und depressiven Reaktionen sollte daher, so Rühle, bei lautem Schnarchen, Übergewicht, arterieller Hypertonie und Tagesschläfrigkeit differenzialdiagnostisch ein Schlafapnoe-Syndrom in Betracht gezogen werden. Psychische komorbide Störungen wie Depressionen oder Angststörungen können auch ein Restless-Legs-Syndrom maskieren, das immerhin eine Prävalenzrate von 5–10 % hat. Scholz und Hornyak beschreiben, dass neben L-Dopa oder Dopaminagonisten als Therapie der ersten Wahl psychotherapeutische, auf Coping fokussierende Ansätze effektiv eingesetzt werden.

Narkolepsie, so selten sie auch sein mag, ist für den Betroffenen unbehandelt durch die Tagesschläfrigkeit und die als Reaktion auf meist positive Affekte ausgelöste Kataplexie eine sehr belastende chronische Erkrankung. Mayer weist darauf hin, dass beim Fehlen der Leitsymptome die Patienten lange Patientenkarrieren hinter sich haben, bis eine adäquate vorwiegend medikamentöse Therapie erfolgt. In Zusammenhang mit den in diesem Absatz genannten schweren Schlafstörungen sind auch sozialmedizinische Begutachtungsfragen relevant, über die Kotterba und Orth dem Leser einen Überblick vermitteln.

Insgesamt hoffen wir, dass wir unseren klinisch orientierten und tätigen LeserInnen eine breite Palette unterschiedlicher Aspekte der Schlafphänomenologie, der Schlafstörung, des Traums sowie damit zusammenhängender Fragestellungen vorstellen konnten. Unsere Hoffnung wäre es auch, dass PatientInnen dadurch eine schnellere spezifische Diagnostik sowie Behandlung erfahren und Fehlbehandlungen minimiert werden.

Schlaf und Schlafstörungen sollten daher auch einen festen Platz in der Weiterbildung einnehmen.

Es wäre schön, wenn durch dieses Heft die Kluft zwischen der hochspezialisierten Schlafmedizin und der Psychotherapie etwas kleiner würde – danken wollen wir allen AutorInnen, die durch ihre lesenswerten Beiträge dazu ihren Teil beigesteuert haben. Der Rest der Umsetzung liegt an uns TherapeutInnen zur hoffentlich sich weiter verbessernden Versorgung schlafgestörter PatientInnen.

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