PiD - Psychotherapie im Dialog 2009; 10(3): 263-265
DOI: 10.1055/s-0029-1223334
Interview

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Guten Abend, ich bin Arzt und ich werde Sie gut behandeln …”

Die Popularisierung psychotherapeutischen Wissens als MarktlückeEckart von  Hirschhausen im Gespräch mit Bettina  Wilms und Maria  Borcsa
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Publication Date:
04 September 2009 (online)

Eckart von Hirschhausen: Sie sind also jetzt extra aus Leipzig angereist?

PiD: Ja, extra für Sie (lacht).

… und in Leipzig haben Sie mein Programm „Glücksbringer” im Gewandhaus gesehen?

Klar.

Die Erwartung bei einem Interview mit einem Kabarettisten ist ja, dass auch die Antworten zumindest stellenweise pointiert sind.

Die Idee war, dem Menschen Eckart von Hirschhausen zu begegnen.

Ein Porträt hinter den Kulissen ist sicher spannend für Ihre Leser, noch interessanter ist aber vielleicht die Frage, wie ich versuche, psychotherapeutisches Wissen zu popularisieren, und dass das eine bislang unentdeckte Marktlücke ist. Haben Sie das nach dem Besuch des Abendprogramms nicht auch so empfunden?

Ja, teilweise. Aber erstmal finde ich es amüsant. Und Kollegen, die Ihre CDs gekauft oder das Programm besucht haben, scheint es ähnlich zu gehen …

Ich weiß von vielen Therapeuten, dass sie die „Glücksbringer”-CD Patienten mitgeben und dann mit ihnen darüber reden. Aber auch in den zwei Stunden des Programms kann man viel bewegen …

Ja, das ist spannend. Ob man eine Veranstaltung mit 2000 Menschen allerdings Psychotherapie nennen sollte, da würde ich noch mal ein Fragezeichen zu machen …

Das nenne ich auch nicht so. Aber das Manko ist, dass ganz viel von dem, was Therapeuten können, inzwischen von Heilpraktikern, Coaches oder irgendwelchen selbsternannten Lebensberatern abgedeckt wird, gerade weil den meisten Leuten Psychotherapie irgendwie unheimlich ist oder sie irgendwelche diffusen Vorstellungen haben, was da alles getan wird. Und de facto sind die Arbeitsmethoden ja oft gar nicht so viel anders. Und auch ich biete Ideen aus diesem Bereich an – mit den Gesetzen des Humors, mit klaren Metaphern und Geschichten, die meine Zuschauer manchmal nachhaltig beindrucken.

Inwiefern bekommen Sie überhaupt mit, ob Sie Ihre Zuschauer bewegen?

Gehen Sie mal auf meine Homepage und sehen Sie sich an, was die Leute in mein Gästebuch schreiben! Es gibt Zuschauer, die schreiben manchmal ein halbes Jahr später, dass sie meine Geschichte vom Pinguin, der auf der Suche nach seinem Element ist, so beindruckt hat, dass sie nun wirklich ihren Arbeitsplatz gewechselt haben – das nenne ich Nachhaltigkeit und ist ein sehr schönes Gefühl.

Denken Sie, dass Psychotherapeuten einen Fehler machen, wenn sie das Individuum zu sehr in den Mittelpunkt rücken und wir uns letztendlich aber vielleicht in einer Zeit befinden, in der es wieder mehr um Solidarisierung ginge?

Ja, denn es gibt eben Faktoren, die gesellschaftlich verankert sind und nicht auf die persönliche Ebene gezogen werden sollten. Ein einfaches Beispiel: Im Stau ist jeder Mensch genervt, weil Pendeln und Stress zu den Dingen gehören, die wir einfach nicht habituieren können. Aber ein sehr auf das Individuum bezogener psychoanalytisch ausgebildeter Therapeut würde die Deutung der Reaktion sehr personalisiert erklären und ausschließlich im eigenen Werdegang suchen: „Warum rebellierst du dagegen? Siehst du in der roten Ampel deinen Vater, der dich auch zurückgewiesen hat?” und so weiter. Eine zu sehr individualisierende psychotherapeutische Bearbeitung kann leicht dazu führen, dass offensichtliche Lösungswege nicht umgesetzt werden. Was diese Dinge angeht, bin ich viel pragmatischer, viel lösungsorientierter. Und wenn das alles nicht funktioniert (lacht), kann man ja immer noch analysieren.

Foto: Frank Eidel.

Würden Sie sagen, Sie vertreten eine ressourcenorientierte Sichtweise?

Ich glaube wirklich, dass eine der größten Ressourcen für therapeutische Veränderungen der Humor ist. Und dass das bisher komplett unterschätzt wird. In der Freud'schen Theorie wurde Humor eher als etwas Verdrängendes, als etwas Kompensierendes, beschrieben. Ich habe dazu meine eigene Theorie: Unser Verstand versucht immer die Welt zu verstehen, sie in Gut und Böse, richtig und falsch, rechts und links einzuteilen. Die Welt ist aber viel zu paradox, um sie so einfach zu erklären. Diese Widersprüchlichkeit hält unser Verstand schwer aus und dazu hat er drei Möglichkeiten: den Traum, die Psychose und das Lachen. Das Lachen ist die einzig gesunde Variante meines Erachtens, jedenfalls wenn das Bewusstsein wach sein soll und der Effekt von Dauer. Das heißt aber nicht, dass wir permanent glücklich sein und nur lachend durch das Leben gehen sollen. In der Schöpfung ist vorgesehen, dass wir das Glück suchen, nicht das wir es finden, denn der Motor der Evolution ist Unzufriedenheit. Gäbe es sie nicht, wäre man vor 40 000 Jahren schon glücklich gewesen, dann säßen wir immer noch in einer Höhle. Ich halte das für eine frohe Botschaft: Der Mensch ist gar nicht dazu verdammt, immer glücklich zu sein. Und auch das ist therapeutische Arbeit: den Menschen Erleichterung zu verschaffen, ihnen zu vermitteln, dass sie gar nicht so anders sind als die anderen.

Zu Ihren therapeutischen Vorbildern gehört Luise Reddemann und ihr Resilienzmodell …

Genau. Ich habe sie in Lindau kennen gelernt und sie gefragt, warum sich eine ressourcenorientierte Sichtweise so schwer durchsetzt in Deutschland. Da sagte sie – das ist auch kein Ruhmesblatt für Analytiker (lacht) – „weil es grundsätzlich diese Fixierung auf den Therapeuten mindert”. Wenn ich sage, den Leuten ist auch mit einem Waldlauf, mit Musikhören oder einem guten Gespräch mit Freunden geholfen, dann entmachtet das die Therapeuten, die sagen „ohne uns kein Heil”. Das ist ja wie „Extra ecclesia nihil salus”, also außerhalb des Dogmas gibt es kein Heil zu finden. Das ist ja auch eine Ideologie.

Da gibt es doch diesen Satz „Deutsche Therapie – schwer muss sie sein und tief muss sie gehen” (lacht).

Ich glaube schon, dass sich die Deutschen da besonders schwer tun, denn wenn sie etwas machen, wollen sie es am liebsten besonders gründlich machen …

… gründlich heißt „tief”?

Ich denke schon. Lassen Sie mich noch einmal auf die Pinguin-Geschichte aus meinem Programm zurückkommen: Wenn ich merke, ich bin ein Pinguin, halte mich aber in der Wüste auf, dann ist nicht die entscheidende Frage, wie ich da hin gekommen bin, sondern wie ich da weg komme. Und das ist in Kürze beschrieben auch ein bisschen das Problem in Therapien: Wenn man sich sehr lange damit beschäftigt, warum man lieber einen langen Hals hätte und lieber eine Giraffe geworden wäre, führt das aus meiner Sicht einfach zu nichts. Entscheidend ist es doch als Pinguin sein Element zu finden. Deswegen: kleine Schritte zum Wasser gehen und dann spring – und du weißt, wie es sich anfühlt in deinem Element zu sein. Und dieser Grundsatz gilt für ganz viele Bereiche unseres Lebens, zum Beispiel für das Körperbewusstsein. Gerade Frauen fühlen sich schlecht, wenn sie sich Models in Modemagazinen ansehen. Liebe Frauen, Beine haben die richtige Länge, wenn sie auf die Erde kommen! Immer wenn ich diesen Satz sage, geht ein Lachen durchs Publikum und vielleicht hilft er tatsächlich, dass sich so manche Frau in einem anderen Licht sehen kann. Und das ist etwas, was die Therapeuten in meinen Augen unterschätzen, dass so eine pointierte Geschichte wahnsinnig viel Wirkung haben kann.

Macht Ihnen das, was Sie machen, im Moment noch Spaß?

Klar, ja.

Was denken Sie, wie viele Jahre wird es noch so gehen?

(Überlegt) Das weiß ich nicht. Aber ich habe die Freiheit aufzuhören, wenn es mir keinen Spaß mehr macht, und das ist ein gutes Gefühl. Das hilft mir sozusagen auch vor dem Burnout.

Sie würden einfach aufhören, wenn es Ihnen keinen Spaß mehr macht?

Ich würde es ändern, bis es mir wieder Spaß macht. Ich habe einen ungewöhnlichen Grad der Freiheit, – vielleicht ist mein eigenes Beispiel im Sinne von Burnout-Prophylaxe für die meisten Menschen ein bisschen vermessen. Mir ist klar, dass ich großes Glück hatte und mein Hobby zum Beruf machen konnte.

Noch zu einer anderen Frage: Wenn Sie das Setting Ihrer Auftritte betrachten: Was, meinen Sie, ist der größte Unterschied zur Therapiesituation? Sie sitzen ja nicht nur mit einer Person im Raum, sondern viele Menschen hören Ihnen zu und hängen an Ihren Lippen, mehr oder minder …

Auch in meinem Bühnenprogramm gibt es ähnlich einer Therapie sehr aktive Momente: Die Zuschauer werden aufgefordert, sich bei jemandem zu bedanken oder persönliche Glücksmomente aufzuschreiben. Der Hauptunterschied zur Therapie ist aber vermutlich, dass ich keinen eigentlichen Auftrag habe. Die Leute kommen zu mir, um einmal wieder so richtig zu lachen, und sind dann fast alle positiv überrascht, dass es so viel tiefer geht als sich über irgendjemand anderen lustig zu machen. Die Leute öffnen sich durchs Lachen, sie erwarten nicht, dass sie da jetzt was arbeiten müssten. Ich glaube, ich bin für viele der Arzt, den sie sich immer gewünscht haben, der sich für sie Zeit nimmt, der sie als Gegenüber schätzt und ihnen komplizierte Sachverhalte so erklärt, dass sie verständlich werden. Das einzige relativ Therapeutische dabei ist die Grundhaltung, dass ich niemand zu etwas zwingen möchte. Der Zuschauer kann mitmachen, lachen, etwas für sich mitnehmen oder auch einfach weiterhin unglücklich sein – aber dann bitte auf höherem Niveau.

Die Öffentlichkeit, spielt die eine Rolle? Dass es gerade nicht ein „Closed Shop” ist?

Das Miteinander spielt eine Rolle. Und sicherlich auch der Aspekt, dass die Leute selber dafür bezahlen müssen, dass es nicht verordnet, sondern freiwillig und durch Lust motiviert ist. Aber was die Leute schon merken ist, dass das Abendprogramm sehr anders ist als das, was ich im Fernsehen mache. Es ist ja immer auch die Frage, wie man eigentlich so ein Coaching-Format ins Fernsehen bringen kann. Was die „Super-Nanny” da macht, ist sozusagen die Überspitzung, aber es gab ja auch mal Frau Lämmle oder verschiedene andere Therapeuten, die das versucht haben, denen aber in meinen Augen oft die Ironie und der Humor fehlten. Denn leider ist Humor in dieser Beziehung immer noch mit dem Vorurteil belastet, dass man nicht ernst nehmen kann, wenn man darüber lacht. Oder um meinen Lieblingssatz von Bernhard Shaw zu zitieren: Das Leben hört nicht auf, ernst zu sein, wenn wir lachen. Genauso wenig wie es aufhört, komisch zu sein, wenn wir sterben. Natürlich gibt es mehr negative Gefühle als positive. In einer Welt, die extrem gefährlich ist, macht das Sinn, aber in einer Welt, in der wir so lange, so gesund, so glücklich leben wie nie zuvor, könnten wir uns auch einmal mehr positive Gefühle gönnen, da haben die negativen Gefühle ihre Schutzwirkung nämlich zum Teil auch verloren.

Oder andersrum, dass die negativen Gefühle plötzlich gar nicht mehr schützen, sondern im Gegenteil …

Ja, ja! Sie verhindern eigentlich, dass wir uns angemessen an unserer Situation freuen: Ich glaube, dass in 500 Jahren die Leute auch auf unseren Lebensstil blicken und sagen „Mensch, die hatten alles, die hatten keinen Krieg, hatten materiellen Wohlstand, genug zu essen, warum sind die denn nicht einfach mal tanzen gegangen und haben einfach mal Spaß miteinander gehabt. Warum haben die sich abgerackert, bis sie umgefallen sind, und haben sich beklagt, dass sie arbeitslos sind, es gab doch genug zu tun”. Also, ich hab so die stille Vermutung, dass wir grade etwas ziemlich Grundsätzliches falsch machen, wie wir die Zeit, die wir haben, verbringen. Und das ist sicher auch deutsch, dass ich nur ein vollwertiger Mensch bin, wenn ich Arbeit habe, wenn ich mich aufopfere, wenn ich leide. Und sicherlich ist es auch ein bisschen protestantisch. Obwohl ich selber Protestant bin, fürchte ich, liegt auch darin ein Missverständnis: Sozusagen, nur wer leidet, nutzt seine Talente, nur wer ackert, ist auch vor Gott angesehen. Ich hoffe, dass Gott das anders sieht.

Das ist doch ein schöner Abschluss. Vielen Dank für Ihre Zeit!

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