Zentralbl Chir 2010; 137(3): 270-273
DOI: 10.1055/s-0030-1247474
Kommentar

© Georg Thieme Verlag Stuttgart ˙ New York

Effekt der Ganzkörper-Computertomografie im Rahmen der primären Polytraumaversorgung auf das Überleben[1]

Impact on Outcome of Whole-Body Computed Tomography during Resuscitation of Major Trauma PatientsS. Huber-Wagner1
  • 1Klinikum der Universität München, Chirurgische Klinik – Campus Innenstadt, München, Deutschland
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Publication Date:
13 August 2010 (online)

Zusammenfassung der Studie

Hintergrund

Die Einführung der Technik der Spiral-Computertomografie in die klinische Routine Anfang der 1990er-Jahre hat die diagnostische Radiologie revolutioniert. 1998 ermöglichte die Einführung der Multi-slice-CT-Technologie (MSCT) eine Reduktion der Scanzeiten bis um den Faktor 8. Dies führte zu Überlegungen, wie man die Ganzkörper-Computertomografie (GK-CT) als ein Diagnostikum in die frühe Versorgungsphase Schwerverletzter sinnvoll integrieren könne. 

1997 berichtete Löw aus Mainz als Erster über die Machbarkeit des Einsatzes der Ganzkörper-Computertomografie im Rahmen der Schwerverletztenversorgung. In den Folgejahren wurde die Sicherheit, die hohe diagnostische Zuverlässigkeit und der Zeitvorteil (Prozessqualität) gegenüber der konventionellen Diagnostik (Radiografie, Ultraschall, Nicht-Ganzkörper-Computertomografie) in zahlreichen Studien belegt. 

Eine immer größere Anzahl von Traumazentren geht mittlerweile dazu über, die Ganzkörper-Computertomografie routinemäßig zur Diagnostik von polytraumatisierten Patienten während der Versorgung im Schockraum einzusetzen. 

Bis zum Erscheinen der vorliegenden Arbeit (Huber-Wagner, Lefering et al., Lancet 2009) fehlte jedoch der Nachweis, ob die Durchführung einer Ganzkörper-Computertomografie im Rahmen der Schwerverletztenversorgung Auswirkungen auf das Überleben der Patienten hat (Ergebnisqualität) [1]. 

Methodik

In einer retrospektiven Multizenterstudie wurde das Traumaregister der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) (2002–2004) ausgewertet. Einschlusskriterien für die Datenanalyse waren ein stumpfes Trauma, Primärversorgung, ein Injury Severity Score (ISS) ≥ 16 sowie auswertbare Daten in Bezug auf die Durchführung einer Ganzkörper-Computertomografie (GK-CT). Diese Variable wird im Traumaregister seit 2002 erfasst. Es wurden 2 Gruppen gebildet: 

  • Patienten mit initialer Ganzkörper-Computertomografie (CCT, CT Thorax, Abdomen, Becken und Wirbelsäule) und

  • Patienten ohne initialer Ganzkörper-Computertomografie (kein CT oder nur selektive Organ-CT).

Es wurde eine Outcomeanalyse durchgeführt. Die Mortalität, die standardisierte Mortalitätsrate (beobachtete / erwartete Mortalität – SMR), der Trauma and Injury Severity Score (TRISS) sowie der Revised Injury Severity Classification Score (RISC) wurden berechnet. Die erwähnten Scores stellen bewährte und sehr zuverlässige Instrumente zur Vorhersage der Überlebenswahrscheinlichkeit Schwerverletzter dar. Das Überleben wurde als Überleben bis zur Krankenhausentlassung definiert. 

Die Ganzkörper-Computertomografie wurde definiert als ein natives Schädel-CT (CCT, kranielle Computertomografie), gefolgt von einer intravenös kontrastmittelverstärkten CT des Thoraxes, des Abdomens und des Beckens einschließlich der gesamten Wirbelsäule. Die Ganzkörper-Computertomografie war als single-pass oder segmentierte CT möglich. 

Um herauszufinden, ob die Durchführung einer Ganzkörper-Computertomografie im Rahmen der Primärdiagnostik die Mortalitätsrate signifikant beeinflusst, erfolgten zusätzliche logistische Regressionanalysen, in welcher die Variable „Ganzkörper-Computertomografie“ mit den bekannten prognostischen Faktoren des TRISS und des RISC sowie weiterer potenziell interferierender Variablen, wie z. B. Versorgungsgrad einer Klinik (Level I–III), Unfalljahr oder potenzielle „Center-Effekte“ untersucht wurden. 

Ergebnisse

4 621 der untersuchten 9 259 Patienten erfüllten die Einschlusskriterien. Von diesen n = 4 621 Patienten erhielten 1 494 (32,3 %) eine Ganzkörper-Computertomografie während der primären Schockraumversorgung, verglichen mit 3 127 (67,7 %), welche keine Ganzkörper-Computertomografie erhielten. Das Durchschnittsalter der 4 621 Patienten betrug 42,6 ± 20,7 Jahre, 72,8 % waren männlich. Der mittlere GCS am Unfallort war 10,3 Punkte und 59,3 % der Patienten wurden bereits präklinisch intubiert. 15,3 % der Patienten befanden sich bei Krankenhausaufnahme im hämodynamischen Schock (RR syst. < 90 mmHg). Die durchschnittliche Zeitdauer von der Schockraumaufnahme bis zum Beginn einer GK-CT betrug 35,5 min, verglichen mit 46,6 min bis zur selektiven Organ-CT (p < 0,001). Der mittlere ISS war 29,7 und die Gesamtmortalitätsrate 21,6 %. 

Bei 2 259 Patienten konnte der TRISS errechnet werden. 800 dieser Patienten erhielten ein GK-CT, 1 459 keines. Die beobachtete Mortalitätsrate der 800 GK-CT-Patienten betrug 17,3 % und war damit signifikant niedriger als die durch den TRISS vorhergesagten 23,2 % (p < 0,001). Die absolute Risikoreduktion um 5,9 % spiegelt eine relative Senkung der Mortalität um 25 % wider (CI 95 % 14–37 %). Die beobachtete Mortalität der 1 459 Nicht-GK-CT Patienten lag bei 17,5 % und war somit höher als die durch den TRISS zu erwartenden 17,1 % (n. s., p = 0,66). Die SMR der 800 GK-CT-Patienten betrug 0,745 (CI 95 % 0,633–0,859) und bestätigt damit eine signifikant niedrigere beobachtete Mortalität im Vergleich zur prognostizierten Mortalität durch den TRISS (p < 0,001). Anders ausgedrückt haben diese Patienten entgegen dem zu erwartenden Versterben (Score-Prognose) überlebt. Die SMR der 1 459 Nicht-GK-CT-Patienten war 1,023 (CI 95 % 0,909–1,137) und repräsentiert eine höhere, beobachtete Mortalitätsrate als durch den TRISS zu erwarten (siehe [Abb. 1]). Die „number needed to treat“ (NNT) bzw. besser ausgedrückt, die „number needed to scan“, basierend auf dem TRISS, beträgt 17. 

Bei 4 113 Patienten konnte der gegenüber dem TRISS noch präzisere RISC-Score berechnet werden. 1 400 Patienten mit einer RISC-Prognose erhielten ein GK-CT, 2 713 keines. Die beobachtete Mortalität der 1 400 GK-CT-Patienten betrug 19,9 % und war somit signifikant niedriger als die durch den RISC vorhergesagten 23,0 % (p = 0,017). Die absolute Risikoreduktion um 3,1 % spiegelt eine relative Senkung der Mortalität um 13 % wider (CI 95 % 4–23 %). Die beobachtete Mortalitätsrate der 2 713 Nicht-GK-CT-Patienten erreichte 21,3 % und war höher als die durch den RISC berechneten 20,6 % (n. s., p = 0,42). Die SMR der 1 400 GK-CT-Patienten lag bei 0,865 (CI 95 % 0,774–0,956). Dies bedeutet, dass die beobachtete Mortalitätsrate signifikant geringer ist als durch die RISC-Berechnung zu erwarten (p = 0,017). Die SMR der 2 713 Nicht-GK-CT-Patienten betrug 1,034 (CI 95 % 0,959–1,109). Somit ist deren tatsächliche Sterblichkeitsrate höher als durch die RISC-Berechnung prognostiziert (siehe [Abb. 1]). Die „number needed to scan“ (NNT), basierend auf dem RISC, beträgt 32. 

Abb. 1 Einfluss der Ganzkörper-Computertomografie auf das Überleben bei Polytrauma.GK-CT = Ganzkörper-Computertomografie; TRISS = Trauma and Injury Severity Score; RISC = Revised Injury Severity Classification; beobachtete Mortalität (Säulen, grau) mit 95 %-Konfidenzintervall und prognostizierter Mortalität (horizontale Balken – grün bzw. rot).Grüne Balken: Die beobachtete Mortalität ist niedriger als prognostizierteRote Balken: Die beobachtete Mortalität ist höher als prognostizierte

Die durchgeführten, zusätzlichen logistischen Regressionsanalysen zur Beurteilung der GK-CT zusammen mit den etablierten Indikatoren des TRISS- und RISC-Scores zeigten, dass die Ganzkörper-Computertomografie in der initialen Schockraumdiagnostik einen unabhängigen, prognostisch günstigen Faktor bezüglich der Mortalität darstellt und somit den durchgeführten Modellberechnungen zusätzliche, hochsignifikante, prädiktive Aussagekraft verleiht (p ≤ 0,002). Die Odds Ratio (OR) für die GK-CT im TRISS- und RISC-Modell betrug 0,66 (CI 95 % 0,50–0,86) bzw. 0,69 (CI 95 % 0,58–0,85). Die Ausprägung dieses Einflusses impliziert, dass die Mortalitätsrate mit Durchführung der GK-CT um nahezu ein Drittel reduziert werden kann. 

Der unabhängige, positive Effekt der Ganzkörper-Computertomografie auf das Überleben bestätigte sich auch bei Adjustierung der Modelle auf den Versorgungsgrad einer Klinik (Level I–III), das Unfalljahr und potenzielle „Center-Effekte“. 

1 Originalpublikation: Huber-Wagner S, Lefering R, Qvick LM, Körner M, Kay MV, Pfeifer KJ, Reiser M, Mutschler W, Kanz KG, on behalf of the Working Group on Polytrauma of the German Trauma Society. Effect of whole-body CT during trauma resuscitation on survival: a retrospective, multicentre study. Lancet 2009; 373: 1455–1461 [1].

Literatur

  • 1 Huber-Wagner S, Lefering R, Qvick L M et al. Effect of whole-body CT during trauma resuscitation on survival: a retrospective, multicentre study.  Lancet. 2009;  373 1455-1461
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1 Originalpublikation: Huber-Wagner S, Lefering R, Qvick LM, Körner M, Kay MV, Pfeifer KJ, Reiser M, Mutschler W, Kanz KG, on behalf of the Working Group on Polytrauma of the German Trauma Society. Effect of whole-body CT during trauma resuscitation on survival: a retrospective, multicentre study. Lancet 2009; 373: 1455–1461 [1].

Dr. S. Huber-Wagner

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