Dtsch Med Wochenschr 2010; 135: S3
DOI: 10.1055/s-0030-1249182
Editorial
Angiologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Pulswellenanalyse

Renaissance einer alten Methode als moderner Biomarker der GefäßsteifigkeitPulse wave analysisRenaissance of a forgotten method as a modern marker of arterial stiffnessM. Middeke1
  • 1Hypertoniezentrum München HZM
Further Information

Publication History

Publication Date:
23 February 2010 (online)

Der Münchner Physiologe Otto Frank (1865 – 1944) beschrieb 1905 in seinem Aufsatz „Der Puls in den Arterien” die Pulswelle und deren Reflexion in der Aorta [1] und stellte später einen mathematischen Bezug der Pulswellengeschwindigkeit zur Gefäßsteifigkeit her [2]. Bereits 1863 konnte der französische Physiologe E.J. Marey die Pulskurve mittels eines Sphygmographen aufzeichnen und zwischen jungen und alten Gefäßen unterscheiden [3]. Da ist es eher verwunderlich, dass die Pulswellenanalyse solange in Vergessenheit geriet. Erst die Entwicklung moderner Messverfahren hat die Pulswelle wieder in unser Bewusstsein befördert. Die „Sphygmographen” von heute heißen SphygmoCor, Arteriograph, Complior u. s. w. Die rasanten Entwicklungen der Geräteindustrie auf diesem Gebiet in den letzten Jahren zwingen uns Kliniker und Wissenschaftler dazu die verschiedenen Methoden zu evaluieren und den klinischen Nutzen zu beschreiben. Dies ist die Intention des Supplements der DeGAG und der anderer kardiovaskulär bedeutsamen Gesellschaften von Baulmann und Co-Autoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Heute können wir bei jedem Patienten mit relativ einfach anzuwendender Methodik die Befunde der alten Physiologen nachvollziehen. Die Pulswellenanalyse erlaubt die Erfassung wichtiger funktioneller Gefäßparameter, die für die Risikostratifikation, für differentialtherapeutische Überlegungen und die individuelle Therapiesteuerung wichtige Zusatzinformationen liefern.

Seit 2007 empfiehlt die Europäische Hypertoniegesellschaft in ihren Leitlinien die Messung der „pulse wave velocity” (PWV) als Biomarker und Endorganschaden [4]. In der Praxis sieht man den deutlichsten Effekt beim Austausch eines (konventionellen) Betablockers gegen einen Kalziumantagonisten. Hier treten die sehr unterschiedlichen vaskulären Effekte der verschiedenen Substanzen unmittelbar in Erscheinung. Die PWV hat aber nicht nur Bedeutung für Hypertoniker und die antihypertensive Behandlung. Sie korreliert sehr stark mit dem Alter, und ist somit geeignet das Alter der Gefäße und damit das biologische Alter entsprechend der These „man ist so alt wie seine Gefäße” zu bestimmen. Die PWV steigt kontinuierlich von ca. 6 m/s bei gesunden Kindern auf > 10 m/s im höheren Alter an. Bei Patienten mit schwerer Arteriosklerose kann man bereits im jüngeren und mittleren Lebensalter Werte von > 16 m/s messen. So entwickelt sich die Pulswellenanalyse neben der Gefäßmorphologie (z. B. Intima-Media-Dicke) zu einem wichtigen vaskulären Biomarker, der ab 10 m/s einen anerkannten manifesten Endorganschaden darstellt. Neben der PWV erlaubt die Pulswellenanalyse die Bestimmung wichtiger weiterer Parameter. Die Ableitung der sog. Augmentation, d. h. eine übersteigerte reflektierte Welle bei erhöhter Gefäßsteifigkeit lässt Rückschlüsse auf die Impedanz der zentralen Aorta zu, die pulsatile vaskuläre Nachlast und die Berechnung des zentral-aortalen Blutdrucks mittels dieser Analysen, der z.B. am Oberarm aufgezeichneten Pulswelle. Dies sind wichtige Größen, die das Ausmaß aortaler und kardialer Organschäden aufzeigen und determinieren. Der zentrale (aortale) Blutdruck kann dem konventionell in der Armarterie gemessenen Druck entsprechen, aber auch deutlich in beide Richtungen davon abweichen. Eine Therapiesteuerung nach Maßgabe des zentral-aortalen Drucks ist dem konventionellen Vorgehen wahrscheinlich überlegen. Auch dies ist ein weiterer interessanter Aspekt der Pulswellenanalyse.

Selbstverständlich können auch die vaskulären Spuren der anderen klassischen Risikofaktoren wie Rauchen, Lipid- und Glucosestoffwechselstörungen mit der Pulswellenanalyse verfolgt werden und die positiven Auswirkungen einer effektiven Therapie dokumentiert werden. Das nämlich ist die frohe Botschaft: Die Gefäßfunktion kann verbessert werden. Die Progredienz der Arteriosklerose zu stoppen bzw. sogar eine Regression herbeizuführen sind heute wichtige Therapieziele auf allen Ebenen der Prävention. Dies gilt für jeden einzelnen Patienten, dem der Therapieerfolg mittels Pulswellenanalyse aufgezeigt werden kann. Nach eigenen Erfahrungen liegt in der Verlaufskontrolle eine besondere Stärke der Methode. Die Motivation für eine konsequente dauerhafte Therapie kann so gestärkt werden.

Allerdings bleiben auch noch etliche Fragen undWünsche offen, die methodische Probleme und ein optimiertes Design in Therapie-Studien ansprechen.

Ehre und Dank gebührt den alten Physiologen.

Literatur

  • 1 Frank O. Der Puls in den Arterien.  Z Biol. 1905;  46 441-453
  • 2 Frank O. Die Elastizität der Blutgefäße.  Z Biol. 1920;  71 255-272
  • 3 Marey E J. Physiologie Medicale du Sang. Paris; 1863
  • 4 Mancia G, De Backer G, Dominiczak A. et al . Guidelines for the Management of Arterial Hypertension.  J Hypertens. 2007;  25 1105-18

Prof. Dr. med. Martin Middeke

Hypertoniezentrum München HZM

Dienerstr.12

80331 München

Email: info@hypertoniezentrum.de

URL: http://www.hypertoniezentrum.de

    >