Sprache · Stimme · Gehör 2010; 34(1): 1
DOI: 10.1055/s-0030-1253140
Der kleine Repetitor

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Verstärkungslernen: Operante Konditionierung

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Publication Date:
01 April 2010 (online)

Die Auswirkung von unmittelbarer Verstärkung auf Verhaltensweisen ist ein grundlegendes Lernprinzip (operante Konditionierung). Verstärkend wirkt ein Reiz, der unmittelbar (kontingent) auf eine Verhaltensweise folgt.

Verstärker Positive Verstärker sind angenehme Reize, die das Wiederauftreten einer Verhaltensweise wahrscheinlicher machen, weil sie als Belohnung oder Anerkennung erlebt werden (z.B. ein Lob, Geld, eine individuell begehrte Süßigkeit, zärtliche Geste). Auch das Krankheitsverhalten eines Menschen wird als sog. operantes Verhalten wesentlich durch soziale Konsequenzen bestimmt; soziale Rücksichtnahme auf die Krankenrolle kann als operanter Verstärker im Sinne sekundären Krankheitsgewinns wirken. Negative Verstärker erhöhen ebenfalls die Auftretenswahrscheinlichkeit eines Verhaltens, doch auf umgekehrtem Weg; es sind unliebsame (aversive) Reize, deren Wegfall die Wahrscheinlichkeit der vorangegangenen Verhaltensweise erhöhen. Beispiel: vergisst man bei der Abfahrt des Autos den Sicherheitsgurt anzulegen, ertönt ein unangenehmes Geräusch, das durch Anlegen des Gurts beendet bzw. von vornherein vermieden wird, oder die Einnahme einer Schmerztablette lindert bzw. beseitigt eine Schmerzempfindung. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit zum Anschnallen vor der Abfahrt bzw. zu einer Schmerzmitteleinnahme.

Strafreize Unangenehme Reize (Strafreize) hingegen reduzieren die Auftretenswahrscheinlichkeit einer Verhaltensweise. Folgt einem Verhalten eine unangenehme Konsequenz, spricht man von direkter Bestrafung Wird einem Verhalten in Folge eine angenehme Verstärkung entzogen, verringert sich ebenfalls die Auftretenswahrscheinlichkeit dieses Verhaltens (indirekte Bestrafung). Beispiel: Ein unerwünschtes Verhalten bei einem Kind wird von seinen Eltern durch Entzug des Taschengelds oder anderer Vergünstigungen (wie Fernsehen, Spielplatzbesuch) bestraft. Die Wirkweise von Bestrafung ist umstritten (Unwirksamkeit; zeitlich befristete Unterdrückung des unerwünschten Verhaltens; Angsterzeugung; Situationsvermeidung).

Sekundäre Verstärkung Generell wird zwischen primären und sekundären Verstärkern unterschieden. Positive (primäre) Verstärker befriedigen grundlegende angeborene Bedürfnisse, z.B. Nahrung, Schlaf, Zärtlichkeit. Negative (primäre) Verstärker sind aversive Reize, etwa unangenehme Geräusche, körperliche Angriffe oder andere Schmerzreize. Als sekundäre Verstärker werden neutrale Reize bezeichnet, die erst durch die zeitliche Paarung mit primären Verstärkern die Auftretenswahrscheinlichkeit von Verhalten verändern. Geht einem primären Verstärker in kurzem Zeitabstand ein bestimmter Reiz voraus, so erhält dieser ebenfalls verstärkende Wirkung auf das Lernverhalten.

Verstärkungspläne und Löschung Die Gabe von Verstärkung wird durch Verstärkungspläne bestimmt. Ein Verstärkungsplan kennzeichnet das Verhältnis zwischen operanten Verhaltensweisen und der kontingent gegebenen Verstärkung. Bei regelmäßiger (kontinuierlicher) Verstärkung wird ein Verhalten meistens schnell gelernt, aber auch wieder schnell verlernt. Bei unregelmäßiger (intermittierender) Verstärkung (hierfür existieren verschiedene Pläne: Quotenplan, Intervallplan) verlängert sich der Lernprozess, doch das Gelernte ist dauerhafter. Intermittierende (gelegentliche) Bestrafung ist wirksamer als kontinuierliche. Wird ein gelerntes Verhalten lange Zeit nicht verstärkt bzw. bestraft, wird seine Auftretenswahrscheinlichkeit geringer, bis es allmählich verschwindet. Dieser Prozess heißt Löschung.

Anwendung der operanten Konditionierung Die Mechanismen der operanten Konditionierung finden gezielt Anwendung in der Erziehung, Verhaltensmedizin und therapeutischen Verhaltensmodifikation (Aufbau eines erwünschten respektive Abbau eines störenden Verhaltens). Ein wichtiges Prinzip dabei ist die Verhaltensformung (Shaping durch schrittweise Annäherung). Hierbei wird jede Verhaltensweise, die sich dem gewünschten Endverhalten annähert, sofort positiv verstärkt. Vorher ist festzulegen, welche Verhaltensweise als Baustein für das Zielverhalten gilt, und welche Verstärker individuell wirksam sind.

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