Gastroenterologie up2date 2011; 7(3): 162-163
DOI: 10.1055/s-0030-1256626
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Kolorektales Karzinom: Überwachung bei familiärem Darmkrebs sinnvoll

Christian  Pox
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Publication Date:
23 September 2011 (online)

Kommentar zu: Hohe Detektionsrate von Adenomen bei familiärem Darmkrebs

High detection rate of adenomas in familial colorectal cancer

van der Meulen-de Jong AE, Morreau H, Becx MC, Crobach LF, van Haastert M, ten Hove WR, Kleibeuker JH, Meijssen MA, Nagengast FM, Rijk MC, Salemans JM, Stronkhorst A, Tuynman HA, Vecht J, Verhulst ML, de Vos tot Nederveen Cappel WH, Walinga H, Weinhardt OK, Westerveld BD, Witte AM, Wolters HJ, Vasen HF; Department of Gastroenterology, Leiden University Medical Center, Leiden, The Netherlands

Hintergrund: Personen mit einem Verwandten 1. Grades, der im Alter von unter 50 Jahren ein kolorektales Karzinom entwickelt hat, tragen ein erhöhtes Risiko, ebenfalls zu erkranken. Die aktuellen Leitlinien empfehlen, solche Familien koloskopisch zu überwachen. A.E. van der Meulen-de Jong et al. untersuchten in einer Studie die Effektivität einer solchen Überwachung.

Methoden: Für die Teilnahme an der niederländischen Studie kamen Personen im Alter zwischen 45 und 65 Jahren infrage, die frei von Symptomen waren und einen Verwandten 1. Grades mit kolorektalem Karzinom im Alter von unter 50 Jahren (Gruppe A) oder 2 Verwandte 1. Grades mit kolorektalem Karzinom, diagnostiziert zu einem beliebigen Alter (Gruppe B), aufwiesen. Die Aufnahme der Patienten in die Studie erfolgte zwischen 2002 und 2007. Personen mit einer früheren entzündlichen Darmerkrankung oder solche, die sich vorher einem kolorektalen Eingriff unterzogen hatten, wurden ausgeschlossen.

Ergebnisse: Insgesamt erfüllten 551 Personen europäischer Herkunft (davon 242 Männer) aus 119 Kliniken die Studienkriterien. Die Autoren schlossen 95 Probanden mit vorangegangener Koloskopie aus. Die verbliebenen 456 Personen verteilten sich auf 317 Familien. Zwei Studienteilnehmer (0,4 %) wiesen kolorektale Tumoren auf (1 kolorektales Karzinom, 1 Karzinoid). Adenome wurden bei 85 Probanden (18,6 %) detektiert, 37 (8,1 %) hatten fortgeschrittene und 30 (6,6 %) multiple Adenome (> 1) entwickelt. Bei Männern waren Adenome häufiger anzutreffen als bei Frauen (24 vs. 14,3 %, p = 0,01). Zudem traten diese in Gruppe B mit höherer Frequenz auf als in Gruppe A (22,0 vs. 15,6 %) – der Unterschied war allerdings nicht signifikant (p = 0,09).

Folgerungen: Die Detektionsrate von Adenomen bei familiärem Darmkrebs ist beträchtlich höher als die in der Allgemeinbevölkerung, so das Ergebnis der Studie. Personen, die 2 Verwandte 1. Grades mit kolorektalem Karzinom aufweisen, sind durch eine höhere Detektionsrate gekennzeichnet als Personen mit einem Verwandten 1. Grades, der im Alter von unter 50 Jahren an einem kolorektalen Karzinom erkrankt ist. Nach Meinung der Autoren sollten größere Anstrengungen unternommen werden, um die Identifizierung von Familien mit familiärem Darmkrebs zu verbessern.

Gut 2011; 60: 73 – 76

(zusammengefasst von Dr. Frank Lichert, Weilburg)

Darmkrebsrisiko. Das Auftreten von Darmkrebs hat auch ohne das Vorliegen von hereditären Darmkrebsformen wie dem HNPCC (hereditäres nicht polypöses kolorektales Karzinom) eine unmittelbare Auswirkung auf das Darmkrebsrisiko von Verwandten 1. Grades (Geschwister, Eltern, Kinder) des Erkrankten. So beträgt das Lebenszeitrisiko, an Darmkrebs zu erkranken, in der Normalbevölkerung etwa 5 %. Gibt oder gab es einen Patienten mit Darmkrebs in der Familie, so verdoppelt sich das Lebenszeitrisiko für die Verwandten 1. Grades auf 10 %. Bei 2 Darmkrebsfällen oder frühem Erkrankungsalter von 45 Jahren und jünger vervierfacht sich das Risiko sogar.

Beginn der Darmkrebsvorsorge. Abhängig vom Alter, in dem die Krebsdiagnose beim Indexpatienten gestellt wurde, kann es für die Verwandten 1. Grades erforderlich sein, deutlich früher als im sonst üblichen Alter von 50 Jahren mit der Darmkrebsvorsorge zu beginnen. So sollte eine erste Darmspiegelung 10 Jahre früher erfolgen, spätestens aber zwischen 40 und 45 Jahren. Mehrere Studien konnten zeigen, dass dieses Vorgehen sinnvoll ist, d. h. bei diesen Risikopersonen gehäuft und früher Neoplasien gefunden werden als in der Normalbevölkerung. Es ist davon auszugehen, dass durch die Abtragung von Adenomen und insbesondere fortgeschrittenen Adenomen (Adenome ≥ 10 mm, villöse Histologie oder hochgradige intraepitheliale Neoplasie) das Risiko einer Karzinomentstehung deutlich gesenkt werden kann.

Wichtigkeit der Familienanamnese. Leider erfolgt trotz großer Bemühungen einzelner Organisationen in den meisten Fällen weiterhin keine systematische Erhebung der Familienanamnese bzgl. kolorektaler Karzinome (und anderer Krebserkrankungen) in der allgemeinen Bevölkerung. Der Zeitpunkt für das erste Beratungsgespräch über Darmkrebsvorsorge mit 50 Jahren ist für viele Personen zu spät gewählt. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Die aktualisierte „S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom” trägt diesem Missstand Rechnung und betont zum einen die Bedeutung der ärztlichen Anamnese, zum anderen werden Links zu vorhandenen standardisierten Fragebögen aufgeführt. Auch in Zeiten, in denen der Molekularbiologie eine immer wichtigere Rolle zukommt, ist und bleibt die Familienanamnese ein unersetzlicher Bestandteil der ärztlichen Tätigkeit.

Dr. Christian Pox

Medizinische Klinik
Ruhr-Universität Bochum
Knappschaftskrankenhaus

In der Schornau 23–25
44892 Bochum

Email: christian.p.pox@ruhr-uni-bochum.de

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