Zeitschrift für Klassische Homöopathie 2011; 55(3): 152-153
DOI: 10.1055/s-0030-1257654
© Karl F. Haug Verlag MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Verifikationen, Falsifikationen, klinische Symptome

Hans Zwemke
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Publication Date:
10 October 2011 (online)

Symptomverifizierung: Sanguinaria canadensis

Sanguinaria canadensis (Sang.), eine zu den Papaveraceae (Opium, Chelidonium) gehörende Pflanze, wurde von dem amerikanischen Arzt Dr. G. Bute in die Homöopathie eingeführt. Dessen Prüfung, die bereits 1837 publiziert wurde, und einiges andere interessante Material zu dieser Pflanze wurde von C. Hering ins Deutsche übersetzt, in Stapfs Archiv publiziert und von K.-H. Gypser neu herausgegeben [1]. Auf S. 1002 findet sich hier die folgende Symptomatik:

„Schnupfen:
Viel Niesen.
220. Fließschnupfen mit oftem Niesen.
Starker Fließschnupfen in der rechten Nasenhälfte.
Wässriger, scharfer Fließschnupfen, der die Nase wund macht.
5 Stunden nach dem Einnehmen starkes Wässern des rechten Auges, es schmerzte besonders bei Berührung; bald darauf entstand heftiger Schnupfenfluß hellen Wassers aus dem re. Nasenloche; des Abends zwei Durchfallstühle und darauf waren alle Symptome vorbei.“

Auf S. 995 des Weiteren:

„Angesicht.
Vollheitsgefühl im Gesichte.
Aufgetriebenheit des Gesichts mit hoher Röthe und Steifheitsgefühl.
Heftiges Brennen, Hitze und Röthe des Gesichts.“

Ich hatte einer 59-jährigen Frau Lachesis C 200 (Gudjons) 2 Globuli verschrieben. 4 Tage nach der Einnahme rief sie mich an und berichtete über folgende Symptomatik:

„Gleich 10 Min. nach der Einnahme bekam ich ein Unruhegefühl, das ich nicht kenne, und ein Gefühl von Herzrasen, was aber gar nicht stimmte, denn der Puls war gar nicht so schnell. Es dauerte nur einen Tag, abends war es weg.
Dann hatte ich einen leichten Schnupfenanfall, bis gestern; dann aber kam ganz akut und nur einseitig eine Art Heuschnupfenanfall, der bis heute anhält (und den sie darauf zurückführte, dass sie sich in einem Raum aufgehalten hatte, in dem ein Primeltopf stand, obwohl sie bis dahin nie auf Primeln allergisch reagiert hatte).
Ich bekam Schmerzen unter und über dem rechten Auge mit Augentränen, heftigstem Niesreiz mit klarer Flüssigkeit aus dem rechten Nasenloch.“

Frage: Nur rechts? „Ja!“ Wund machend?

„Es macht etwas rot, aber das ganze rechte Gesicht war geschwollen und gerötet! Die rechte Nase juckte, und die Niesattacken gingen auch nur von der rechten Nase aus. Auch das Augentränen und die Kopfschmerzen waren nur rechts.“

Eine Gabe Sang. C 30 beseitigte die Symptome sofort und nachhaltig innerhalb weniger Stunden.

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Abb. 1: Kanadisches Blutkraut (Sanguinaria canadensis L.). © Gudjons.com

Kommentar

Dieser kleine, akute und doch sehr prägnante Fall stellt den Nutzen von Sanguinaria bei bestimmten, auf eine sehr individuelle Weise gearteten Heuschnupfenfällen heraus. Seine Wirksamkeit zeigt sich offenbar besonders bei strenger, einseitiger Rechtsseitigkeit der Symptomatik ganz ähnlich wie bei Chelidonium, einer anderen bedeutenden Papaveracea! Dies ist besonders bemerkenswert, weil physiologisch eine solche Einseitigkeit bei einem Heuschnupfen völlig unerklärlich ist, denn die Pollen bevorzugen auf ihrem Fluge ja nicht ausschließlich eine bestimmte Seite! Und doch sind solche einseitigen Symptome gerade bei allergischen Reaktionen nicht selten. Ich kann hierzu berichten, dass mir ein Fall einer Kreuzallergie begegnete, bei dem beim Essen von Möhren immer nur das eine und beim Essen von Äpfeln immer nur das andere Auge juckte! Leider gelang es mir nicht, das homöopathisch abzustellen.

Bemerkenswert ist ferner, dass die in obigem Fall beobachtete Symptomatik nach einer Gabe von Lachesis auftrat, einer Arznei mit hinwiederum teilweiser einseitiger Linksseitigkeit, was die Aussage von Hahnemann im § 182ff Organon unterstreicht, dass eine unvollständig homöopathische Arznei nicht selten Symptome hervorruft, die unmittelbar auf ein zweites, besser passendes Mittel hinweisen.

Es stellt sich hierbei die theoretisch interessante Frage, woher diese Symptome eigentlich stammen. Hahnemanns Behauptung im § 181 Org., sie stammten zwar von der zuvor gegebenen Arznei, seien aber Symptome, „zu deren Erscheinung diese Krankheit und in diesem Körper auch für sich schon fähig war, und welche von der gebrauchten Arznei – als Selbsterzeugerin ähnlicher − bloß hervorgelockt und zu erscheinen bewogen wurden“ [2], hat mich schon immer rätseln lassen. Denn sie wirft die berechtigte Frage auf, wie sich diese Ansicht mit der sicheren Annahme verträgt, die Arzneiprüfsymptome seien unbedingt nur von der geprüften Arznei herrührend. In der Konsequenz bedeutet Hahnemanns Behauptung nämlich für obigen Fall, dass Lachesis offenbar ebenfalls streng rechtsseitige Heuschnupfen-Symptome ähnlicher Art erzeugen können muss, sonst hätte es diese auf Sanguinaria hinweisenden Symptome nicht „hervorlocken“ können.

Anmerkung der Redaktion/Herausgeber: Der Autor legt Wert darauf, dass seine Patienten die Fallveröffentlichung bestätigen, und bittet um Veröffentlichung der Antwort seiner Patientin:

„Sie haben alles genau so beschrieben, wie es war. Nach wie vor bin ich völlig überrascht, wie schnell diese heftigen Symptome abgeklungen sind.“


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  • Literatur

  • 1 Gypser KH, Waldecker A (Hrsg.) Gesammelte Arzneimittelprüfungen aus Stapfs „Archiv für die homöopathische Heilkunst“ (1822−1848), Bd. 3 S−Z, S. 977–978.. Heidelberg: Haug; 1991
  • 2 Hahnemann S, Organon der Heilkunst. 6.. textkritische Aufl. Hrsg. Schmidt J. Heidelberg: Haug; 1992